Hamburg. Es geht um die Milliarden-Risiken bei der Rettung: Werner Marnette wirft Peter Tschentscher „schweren Pflichtenverstoß“ vor.

Das Schriftstück, das am Dienstagmorgen bei den Staatsanwaltschaften in Hamburg und Kiel einging, war recht umfangreich. 27 Seiten, plus Anlagen. Doch gemessen an der langen Vorgeschichte war das noch wenig. Denn mit der Strafanzeige, die Werner Marnette jetzt in Sachen HSH Nordbank gegen Hamburgs Finanz­senator Peter Tschentscher (SPD), Schleswig-Holsteins Finanzministerin Monika Heinold (Grüne) sowie den Vorstandsvorsitzenden der HSH Nordbank, Constantin von Oesterreich, und den Aufsichtsratsvorsitzenden Thomas Mirow gestellt hat, erreicht ein mehr als sechs Jahre andauernder Feldzug seinen Höhepunkt.

Im Prinzip begann alles 2008. Von 1994 bis 2007 hatte Marnette als Vorstandschef die Norddeutsche Affinerie zum größten Kupferproduzenten Europas gemacht. Sein Abgang im Streit hatte ihn tief getroffen. Doch dann kam ja die neue Herausforderung: Im Juli 2008 holte der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) seinen Parteifreund Marnette als Wirtschaftsminister in sein Kabinett. Als kurz darauf die Finanzkrise ausbrach und die HSH Nordbank, damals zu gut zwei Dritteln im Besitz Hamburgs und Schleswig-Holsteins, am Abgrund stand, hätte Marnettes Stunde schlagen können.

Seinen Sachverstand als Mann der Wirtschaft werde man jetzt brauchen – dachte er. Weit gefehlt. Carstensen zeigte wenig Interesse an der Erfahrung seines Ministers und verwehrte Marnette – der offiziell auch nicht zuständig war – wichtige Informationen. Das im Februar 2009 geschnürte Rettungspaket, das seitens der Länder eine Kapitalspritze in Höhe von drei Milliarden Euro sowie eine Garantie über zehn Milliarden Euro vorsah, trug Marnette zwar noch mit. Aber kurz darauf, am 29. März 2009, trat er zurück.

Der Finanzsenator von Hamburg Peter Tschentscher (SPD)
Der Finanzsenator von Hamburg Peter Tschentscher (SPD) © Bertold Fabricius | Bertold Fabricius

„Man bekommt keine sauberen Informationen, es wird immer nur das zugegeben, was gerade an die Öffentlichkeit kommt, man streut bestimmte Detailinformationen, die dann doch nicht das ganze Bild ergeben. So habe ich das Management des Themas HSH Nordbank erfahren“, klagte er kurz darauf im Interview mit dem Abendblatt. Doch das Thema ließ Marnette nicht los. Keine wichtige Entscheidung zur HSH erfolgte, ohne dass sich der Ex-Minister zu Wort meldete. Gefragt oder ungefragt. Kein Jahr verging, in dem er nicht prognostizierte, dass es mit der Bank wohl zu Ende gehe und der Schaden für die Bundesländer – denen seit 2009 sogar 85 Prozent der Bank gehören – Milliarden betragen werde.

Die Regierungen reagierten, und zwar unabhängig ob CDU- oder SPD-geführt, zunehmend gereizt auf den sendungsbewussten Minister a. D. „Seit sechs Jahren weiß er alles besser, dabei ist keines seiner Untergangsszenarien eingetreten“, sagt ein Insider. Ähnlich ist die Stimmung in Kiel. Marnette sei „ein rotes Tuch“, heißt es im Regierungslager. „Er hat damals die Entscheidungen mitgetragen, und wir räumen heute seine Scherben weg.“

Tatsächlich ist das heutige Rettungspaket zum Teil eine Folge des Vorgängers aus dem Jahr 2009: Die Zehn-Milliarden-Garantie wird nun um eine Kreditermächtigung ergänzt, um diese Garantie im Bedarfszahl auch auszahlen zu können. Außerdem nehmen die Länder der HSH Schiffskredite im Umfang von maximal 6,2 Milliarden Euro ab – ein Teil der Altlasten, die 2009 in der Bank verblieben waren und sie bis heute schwer belasten.

Welche Kredite das sein werden, was die Länder dafür bezahlen, wie groß die Verluste aus diesem Portfolio und aus der Garantie für die Länder tatsächlich sein werden – das ist alles noch offen. Auch viele andere Fragen, etwa zur künftigen Eigentümerstruktur der Bank und zum geplanten Verkauf 2018, sind ungeklärt. Insofern trifft Marnette einen wunden Punkt, wenn er den Regierungen und der Bank vorwirft, den Parlamenten wichtige Informationen vorzuenthalten – die Opposition in Hamburg und Kiel hatte diesen Vorwurf auch erhoben.

Und in einem zentralen Punkt behielt er recht: Während die Regierungen in Hamburg und Kiel, insbesondere die CDU-geführten, lange behauptet hatten, es handele sich ja nur um Garantien, und es sei offen, ob die Länder jemals einen Cent zahlen müssen, hatte Marnette sich schon 2009 festgelegt: „Die Zehn-Milliarden-Garantie der Länder wird bestimmt in Anspruch genommen werden.“ So kommt es nun.

Ob der ganze Vorgang aber eine strafrechtliche Dimension hat, zumal für die jetzt Verantwortlichen, die mehr mit der Lösung beschäftigt sind, als dass sie das Problem HSH verursacht hätten – das steht auf einem ganz anderen Blatt. Die Antwort muss nun die Staatsanwaltschaft geben.