Hamburg . Staatsanwaltschaft wirft dem Sterbehilfevereinsvorsitzenden und einem Arzt Totschlag an zwei Seniorinnen vor. Richter sehen das anders.
Der ehemalige Hamburger Justizsenator Roger Kusch und der Nervenarzt Dr. Johann Friedrich S. werden sich womöglich doch nicht vor Gericht wegen Totschlags verantworten müssen. Wie das Hanseatische Oberlandesgericht mitteilt, hat die Große Strafkammer 1 die Anklage der Staatsanwaltschaft vom 5. Mai nicht zur Hauptverhandlung zugelassen.
Darin wirft die Staatsanwaltschaft ihnen vor, zwei 81 und 85 Jahre alten Frauen zum Tod verholfen zu haben, ohne sie in vollem Umfang über ihren Sterbewunsch aufgeklärt zu haben. Kusch soll den Frauen für die am 10. November 2012 durchgeführte Tötung das Malariamedikament Chloroquin beschafft, das kardiotoxische Mittel soll ihnen dann Johann-Friedrich S. verabreicht haben. Beide Damen starben an einer Überdosis.
Kusch ist Vorsitzender des Schweizer (StHD), der Sterbewillige unterstützt. Kusch und Johann Friedrich S. wird zur Last gelegt, ein Gutachten zum Sterbewunsch der betragten Frauen nicht wahrheitsgemäß weitergegeben und die Tötung entgegen der Grundsätze des Vereins durchgeführt zu haben. Vielmehr hätten die Beschuldigten geplant, einen „Präzedenzfall in der Sterbehilfe zu schaffen“ und Alternativen zum selbst herbeigefügten Ableben verschwiegen. Obgleich die beiden Frauen Bedenken über ihr Vorhaben geäußert hätten, sei die Tötung vollstreckt worden.
Tat hatte sich bereits 2012 ereignet
Die Große Strafkammer ist nun zu einer anderen Bewertung gekommen. Demnach bestehe keine „überwiegende Wahrscheinlichkeit“ dafür, dass die Verstorbenen ihren Entschluss zu sterben, nicht freiverantwortlich gefasst hätten, ein hinreichender Tatverdacht sei nicht gegeben. Gleichwohl bestehe der Verdacht, dass „die Angeschuldigten beabsichtigten, die Frauen für ihre gesellschaftspolitischen Ziele zu instrumentalisieren“, so das Gericht.Da die Tat sich bereits 2012 ereignete, war für das Gericht eine Strafbarkeit nach dem am 3. Dezember 2015 in Kraft getretenen Gesetz zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung entsprechend irrelevant.
Auch wenn der Nervenarzt ihnen keine Alternative zum Umgang mit ihren Erkrankungen aufgezeigt habe, gebe es keine Hinweise darauf, dass die geistig regen Damen „naheliegende Behandlungsmöglichkeiten oder Verhaltensalternativen außer Acht gelassen hätten“, so das Gericht. Im Gegensatz zur Staatsanwaltschaft geht die Große Strafkammer nicht davon aus, dass die beiden Beschuldigten die „Tatherrschaft über die Selbsttötung“ der Frauen hatten. Zudem seien keine Belege ersichtlich, wonach Kusch das Malariamedikament auch wirklich beschafft habe.
Staatsanwaltschaft hat Beschwerde eingelegt
Die Staatsanwaltschaft will gegen die Nichteröffnung des Hauptverfahrens sofortige Beschwerde beim Oberlandesgericht einlegen. Das bestätigte die Sprecherin der Staatsanwaltschaft, Nana Frombach, dem Abendblatt auf Anfrage.