Hamburg. Von wegen Öko: Der Verpackungsmüll nimmt dramatisch zu. Nur wenige Unternehmen steuern gegen. Umweltschützer fordern eine Zwangsabgabe.
Der Duft von Glühwein zieht durch die Gassen des Weihnachtsmarktes vor dem Hamburger Rathaus. Die Besucher trinken aus bunten Porzellanbechern. Die leeren Becher geben sie zurück und kassieren das Pfandgeld, lassen sie erneut auffüllen oder behalten sie als Andenken. Kein Trinkbecher landet im Müll. Der Grund: Die meisten Hamburger Bezirke schreiben bei Großveranstaltungen Mehrweggeschirr vor, um die Flut von Einwegprodukten einzudämmen. Auch manche Unternehmen suchen nach Alternativen zu Wegwerfverpackungen. Doch sie sind noch die Ausnahme.
Nur wenige Schritte vom Weihnachtsmarkt entfernt halten Passanten ebenfalls Becher in der Hand. Kaffeeduft strömt aus den Trinkgefäßen, die typische Wegwerf-Produkte sind: beschichtete Pappbecher mit Einweg-Rührstäbchen und Plastikdeckel. Der Trend zum „Coffee to go“ und zu anderen Lebensmitteln, die schnell mal unterwegs konsumiert werden, ist einer der Hauptgründe, weshalb die durchschnittliche Menge an Verpackungsmüll pro Bundesbürger innerhalb von zehn Jahren um 25 Kilo anstieg, von 187,5 auf 212,5 Kilo.
Kaffeebars sind in den vergangenen Jahren wie Pilze aus dem Boden geschossen, nach Angaben der Deutschen Umwelthilfe (DUH) gibt es deutschlandweit rund 2200 Läden. Hinzu kommen Angebote in Bäckereien, an Tank- und Raststätten – und Automaten. Etwa 70 Prozent der Verbraucher geben an, häufig oder gelegentlich mobil Kaffee zu trinken. „Bundesweit werden jährlich rund 2,8 Milliarden Becher verbraucht. Macht gut 34 Becher pro Bundesbürger“, sagt Thomas Fischer, Experte für die Kreislaufwirtschaft bei der DUH in Berlin. Umgerechnet auf gut 1,7 Millionen Hamburger plus Touristen landen in der Stadt rund 60 Millionen Becher im Müll.
Fischer appelliert an die Kaffeefans: „Es gibt wunderbare Mehrwegbecher. Sie sind auslaufsicher, verschließbar und halten den Kaffee warm, sodass man ihn nicht gleich komplett austrinken muss.“ Der Einzelhandel sollte Kunden, die ihren mitgebrachten Thermobecher füllen lassen, belohnen, sagt Fischer. „Der Anbieter Starbucks gewährt bereits einen Preisnachlass von 30 Cent.“
Auch eine Abgabe auf Einwegbecher von mindestens 20 Cent könne das Käuferverhalten beeinflussen, sagt Fischer. „Ein Aufschlag von 20 Cent würde es Vieltrinkern erleichtern, auf Thermobecher umzusteigen.“ Eine wichtige Zielgruppe seien die 20- bis 40-Jährigen. Wenn sie zum „stylischen Mehrwegbecher mit Firmenlogo“ greife, habe dies zudem einen deutlich besseren Werbeeffekt als weggeworfene Pappbecher, so Fischer.
Der Hamburger Kaffeeröster Tchibo bietet standardmäßig Porzellangeschirr und Gläser an und greift nur zur Pappvariante, wenn die Kunden auf dem Sprung sind und den Kaffee nicht an einem Stehtisch trinken wollen. Seit Mitte des Jahres werden auch bei Tchibo mitgebrachte Mehrwegbecher befüllt. „Das ist nicht trivial, denn es gilt Hygienestandards einzuhalten“, sagt Tchibo-Sprecher Andreas Engelmann. Das Unternehmen denke derzeit zudem darüber nach, Kunden, die eigene Mehrwegbechern mitbringen, über Rabatte oder anderen Vergünstigungen zu belohnen, so Engelmann.
„Mehrweg statt Einweg“ lautet die Lösung im Kampf gegen Verpackungsabfälle, auch bei den Plastiktüten. Im Frühjahr hatte die EU den Kunststoffbeuteln Grenzen gesetzt: Die Zahl der Einwegtüten, die jeder EU-Bürger durchschnittlich pro Jahr verwendet, soll von heute 180 innerhalb von fünf Jahren halbiert werden. Bis 2025 ist eine „Tüten-Diät“ auf 40 Stück pro EU-Bürger und Jahr geplant. Allerdings sind diese Vorgaben nicht bindend.
Plastiktüten sollten an der Ladentheke nicht mehr kostenlos herausgegeben werden, fordert Thomas Fischer von der DUH. Wenn sie etwas kosten, überlege der Kunde, ob er den Beutel wirklich brauche oder nicht. Fischer nennt das Beispiel Irland. Dort sank der Tütenkonsum nach Einführung einer staatlichen Abgabe (2003) von 22 Cent pro Stück drastisch: von 328 Beuteln pro Ire und Jahr auf heute 16 Beutel. Auch Schottland, Wales und seit Kurzem England erheben Abgaben auf Einwegtüten. In Frankreich sollen Kunststoffbeutel ab 2016 mindestens 20 Cent kosten.
Der Handel sollte verschiedene Typen von Mehrwegbeuteln als Alternative zum Wegwerfprodukt anbieten, sagt Fischer: Leichte Polyestertaschen für den Spontaneinkauf, die zusammengelegt nicht größer als eine Packung Taschentücher sind, oder stabilere Mehrweg-Tragetaschen. Die Hamburger Drogeriekette Budnikowsky hat bereits vor einem Jahr die kostenlosen Abreiß-Plastiktüten aus den rund 180 Filialen in der Metropolregion verbannt. Die Kunden können stattdessen eine Kunststoff-Pfandtasche aus recycelten PET-Flaschen erwerben. Der Mehrwegbeutel wird in jeder Filiale gratis ausgetauscht, wenn er verschmutzt oder verschlissen ist.
Eher gewöhnungsbedürftig sind Wasch- und Spülmittel, die Budni-Kunden in vereinzelten Filialen in selbst mitgebrachte Gefäße einfüllen können. „Eine Abfüllstation steht in der Filiale in der Rindermarkthalle. Dort werden solche fortschrittlichen Sachen eher angenommen“, sagt Budni-Sprecherin Wiebke Spannuth.
Die dritte Verpackungslawine kommt gerade beim Weihnachtsgeschäft richtig ins Rollen, und sie ist aus Pappe. Immer mehr Ware wird im Internet bestellt und aufwendig verpackt versendet. So stieg die Zahl der Kartonageabfälle von 82,3 Kilo pro Bundesbürger und Jahr (2003) auf 97,3 Kilo (2013). Jeder Online-Konsument hat vermutlich schon erlebt, dass er das georderte Produkt vor lauter Füllmaterial kaum findet. Grund sind Normkartons. Viele Versender nutzen nur wenige Schachtelgrößen und stopfen die Kartons mit Pappschnipsel oder Kunststoffchips voll, wenn die Normhülle zu groß für den Inhalt ist.
T-Shirts von Otto reisen ohne Karton in Kunststoffbeuteln zur Kundschaft
Der Hamburger Otto-Konzern arbeite kontinuierlich an bedarfsgerechten Verpackungen für seine mehr als 125 Millionen Sendungen pro Jahr – auch um Kosten zu sparen, sagt Unternehmenssprecher Frank Surholt. „Wir testen ununterbrochen. T-Shirts versenden wir inzwischen in blickdichten Beuteln in der Stärke von Gefrierbeuteln. Kleider und Anzüge werden, durch dünne Plastikhüllen geschützt, in den Lieferfahrzeugen an Kleiderstangen gehängt und den Kunden direkt übergeben.“ Die Verpackungen sollten möglichst maßgeschneidert für ihre Inhalte sein, betont Surholt. Davon profitiere neben der Umwelt auch die Logistik: „Wir können mehr Sendungen pro Zustellfahrzeug ausliefern.“ Dort, wo Pappkartons nötigt seien, enthielten diese einen hohen Recyclinganteil, versichert Surholt.
Umweltexperte Thomas Fischer lobt diese und die Anstrengungen weiterer Versender, etwa die Wiederverwendung der Kartonage von Rücksendungen. Aber ihm reicht dies nicht aus: „Eine Ressourcensteuer, die fällig wird, wenn Verpackungen von den Herstellern verkauft werden, könnte den Kostendruck erhöhen, sodass es sich für die Händler mehr lohnt, möglichst kleine Verpackungen zu verwenden.“
Davon profitiert auch die Kundschaft. Sie muss weniger Pappabfälle zu den Altpapiercontainern schleppen.