Hamburg. Produkte mit Milchpulver sind knapp. Geschäftemacher bringen die begehrten Packungen von Hamburg nach Asien. Milupa baut neues Werk.
Für einen Einkauf im Drogeriemarkt gilt die Osterstraße in Eimsbüttel als ausgezeichnete Adresse. Die Filialen von Budnikowsky und dm liegen fast nebeneinander, die von Rossmann ist kaum einen Steinwurf weit entfernt. Ein Produkt, das in einem der Märkte ausverkauft ist, steht bei einem der anderen ziemlich sicher noch im Regal. Nur für Babynahrung auf Milchpulverbasis gilt das nicht. Da bietet sich in allen drei Märkten ein Bild wie einst in vielen Geschäften der DDR: Hinter den Preisschildern für bestimmte Produkte ist das Regal leer.
Lange Zeit war Aptamil von Milupa kaum zu bekommen, derzeit ist unter anderem HA Biocombiotik 1 von Hipp Mangelware. Wenn Packungen davon im Geschäft eintreffen, sind sie bei der Kundschaft besonders begehrt und meist schnell wieder ausverkauft. Alle drei Drogerieketten rationieren diese Ware deshalb. Im Gang mit der Babynahrung weisen Schilder darauf hin, dass die Produkte nur „in haushaltsüblichen Mengen“ abgegeben werden – höchstens drei Pakete pro Kunde. Budnikowsky-Sprecherin Wiebke Spannuth rät, angesichts eines leeren Regals, trotzdem das Verkaufspersonal anzusprechen. „Es ist durchaus möglich, dass die Ware im Lager liegt.“
Zur starken Nachfrage aus China kommt der Bedarf in Notunterkünften hinzu
Und wie einst in der DDR ist die Mangelwirtschaft keine vorübergehende Erscheinung, sondern zum Dauerproblem geworden. Die Verkaufsbeschränkungen in den Märkten gelten schon seit dem Frühjahr 2013. Und ein Ende ist nicht in Sicht. „Auch wenn zwischenzeitlich für einige Marken eine Entspannung eingetreten war, kann die Gesamtnachfrage nach Milchnahrung nach wie vor nicht voll gedeckt werden“, sagt etwa Sebastian Bayer, Mitglied der erweiterten Geschäftsleitung von dm. „Nach wie vor“, sagt auch Rossmann-Sprecher Josef Lange, gebe es „eine Verknappung bei Babymilchnahrung“.
Bei allen drei Ketten ist von einer hohen oder sogar „extrem hohen“ Nachfrage die Rede. Aktuell komme „zusätzlich der hohe Bedarf zahlreicher Notunterkünfte“ für Flüchtlinge hinzu, sagt Rossmann-Sprecher Lange. Aus Sicht von dm-Manager Bayer gibt es eine Hamstermentalität der Kunden. Weil die nicht wüssten, ob dauerhaft Ware vorhanden sei, kauften sie auf Vorrat, sobald die Regale gefüllt sind. „Resultat ist eine noch schnellere Erschöpfung des Warenbestandes.“ Ein Teufelskreis, aber eher ein Symptom als die Ursache des Mangels.
Die großen Hersteller wie Hipp und Milupa haben die Produktion zwar erheblich ausgeweitet und ihre Umsätze dadurch im deutlich zweistelligen Prozentbereich gesteigert, und viele Märkte haben Lösungen gefunden, Stammkunden zuverlässig zu bedienen. Das ist notwendig, weil in China die Nachfrage nach hochwertiger Babynahrung aus Deutschland nach mehreren Milchpulverskandalen im Lande weiterhin hoch ist. Und es gibt eindeutige Hinweise, dass sich hierzulande ein regelrechter Graumarkt etabliert hat, um diese Nachfrage zu bedienen.
Laut einem Bericht des Branchenblatts „Lebensmittel-Zeitung“ gehen pro Jahr Babynahrungsprodukte im Wert von mehr als 200 Millionen Euro von Deutschland aus ins Reich der Mitte. Dort ist eine Packung mindestens ein Drittel teurer als die knapp zehn Euro für einen 500-Gramm-Karton in der Bundesrepublik. Bei solchen Gewinnmargen lohnt es für die Zwischenhändler sogar, die Ware für China statt im Großhandel aus den Regalen der Drogeriemärkte herauszukaufen.
„Es sind Fälle vorgekommen, in denen Kunden sich mit großen Mengen eingedeckt haben“, sagt Budnikowsky-Sprecherin Wiebke Spannuth. Ernährungsexperte Armin Valet von der Verbraucherzentrale Hamburg spricht von einer „Schattenwirtschaft“ und hat deren Auswüchse schon selbst beobachtet. An der Kasse eines Drogeriemarkts in der Innenstadt, sagt Valet, hätten unlängst morgens kurz nach Geschäftsöffnung um 8.00 Uhr drei Männer mit großen Mengen Babynahrung vor ihm an der Kasse gestanden – und hätten diese auch kaufen können. „Die sahen nicht gerade aus wie treu sorgende, junge Väter, die für den häuslichen Bedarf einkaufen“, sagt Valet.
Auf welchem Weg solche Ware Deutschland offenbar verlässt, zeigte unlängst die „Bergedorfer Zeitung“ auf. Demnach gibt es in dem Bezirk auf Firmengrundstücken mindestens zwei regelrechte Sammelstellen für Kleinmengen Babynahrung. Dort erhalten die Lieferanten für jedes Paket bis zu drei Euro Aufschlag auf den Ladenpreis. Die Packungen würden vom Aufkäufer gesammelt und schließlich palettenweise exportiert. Laut Lieferschein, so die Zeitung, an Empfänger in China. Auch Onlinehändler für Babybedarf seien mit Milchpulvernahrung gut im Geschäft mit Fernost, heißt es in der Branche.
Zumindest Eltern von Säuglingen, die Aptamil-Produkte bevorzugen, dürfen sich jetzt aber doch etwas Hoffnung machen, dass sich die Versorgungslage bald entspannt. Obwohl der Hersteller Milupa nach Angaben von Unternehmenssprecher Stefan Stohl die Produktionsmenge bereits verdreifacht hat, ist eine weitere Ausweitung der Herstellung in Sicht. Im Milupa-Werk in Fulda soll noch in diesem Jahr eine neue Herstellungslinie die Arbeit aufnehmen. Voraussichtlich im April nächsten Jahres soll dann eine weitere Fabrik in Fulda in Betrieb gehen. „Momentan hätte jeder gern mehr Produkte. Wir verdoppeln die Tonnage in der Produktion“, sagt Stohl dem Abendblatt. Je mehr Ware auf dem Markt sei, desto seltener werde es vorkommen, dass bestimmte Produkte zeitweise nicht im Regal stehen, erwartet Milupa.
Auch weil der Hersteller selbst ein Interesse daran hat, dass die potenziellen Käufer seiner Produkte nicht vergeblich in den Drogeriemarkt laufen, betreiben dm und Milupa mittlerweile ein Reservierungsportal. Eltern können das Aptamil-Produkt ihrer Wahl im Markt vorbestellen und während der Öffnungszeiten abholen.
Auch Bundnikowsky will diesen Weg künftig gehen. In den Filialen der Hamburger Kette können Kunden von Mitte Dezember an Babymilch reservieren. Milupa und dm haben in ihr System eine Sicherung gegen Missbrauch eingezogen. Bei der Erstregistrierung müssen Eltern die Geburtsurkunde des Kindes vorlegen.