Hamburg. Kat Kaufmann, Saša Stanišic und Co.:Die Romane von Einwanderern sind preisgekrönt, wild und ein Geschenk für die Leser.

Natürlich ist da einer, den Izy liebt, auf den sie wartet immerzu. Er ist aber meistens nicht bei ihr, und so ist sie unterwegs im Dschungel Berlin, wird von sabbernden Typen begafft, hängt in Bars herum, erträgt insgesamt vor allem die Peinlichkeit des männlichen Teils der Menschheit. Und sie ist mit denen zusammen, die ihre Freunde sind, sentimentale Gesellen in einer unsentimentalen Wirklichkeit.

Wenn man kein Eingeborener ist, dann fühlt man sich so wie die Heldin in Kat Kaufmanns Roman „Superposition“, also ein bisschen als Einzelgänger, wenn es hart auf hart kommt. Nicht mehr allein ist man vor allem beim Geliebten. Und der Geliebte, ­Timur, ist Izys Heimat, weil er wie sie aus dem alten Riesenreich im Osten kommt, dem Land, das einmal „Sowjetunion“ hieß. Weil er das „R“ rollt wie sie. Aber Heimat kann er doch nie ganz sein – genau wie Berlin. Timurs richtige Freundin ist Deutsche. Izy ist nur die Verbindung zum Früher, die er nicht kappen kann. Sie ist auf Stand-by.

Kat Kaufmann verkörpert literarischen Zeitgeist

Im Literatur-Kehraus des Jahres 2015, mit dem sich die jüngste Buchsaison ordnet, bleibt der Blick bei Kat Kaufmann hängen. Im Falle der Debütantin des Verlags Hoffmann und Campe bündeln sich zwei Ströme der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur: Sie gehört zur mittlerweile üppigen Schar der Autoren, die in deutsche Sprache eingewandert sind und den Menschen mit „migrantischer“ Herkunft eine Stimme geben. Und sie gehört zur Gruppe der wahrhaft rotzigen und ­rebellierenden jungen Frauen, die es anders als Charlotte Roche keineswegs auf Krassheit anlegen, aber härter schreiben als der Durchschnitt.

Kat Kaufmann verkörpert den literarischen Zeitgeist idealtypisch – weshalb sich auf gewisse Weise die Saison am besten mit ihr abbilden lässt. Geboren wurde Kaufmann 1981 in Leningrad, das längst wieder St. Petersburg heißt. Sie ist Komponistin, vornehmlich für Soundtracks, spielt Jazz, fotografiert – und ist neuerdings eine mit dem „Aspekte“-Literaturpreis für das beste Debüt des Jahres ausgezeichnete Schriftstellerin, die fulminant ihre Identitätsthematik ins Werk setzt. Ihre dichterische Halb-Erfindung Izy Lewin, die in neuen, der Irgendwie-auch-Zwangsheimat Berlin mehr schlecht als recht ihr Auskommen als Musikerin hat, auf entwürdigenden Firmenfeiern auftritt, durch die Nacht wankt und Russisches Gedeck (Wodka und Kaffee) am Tresen bestellt, nur den lieben kann, der wie sie einst aus dem Osten kam, bleibt in allerletzter Konsequenz eine Fremde unter Vertrauten: Alles Pur-Deutsche ist auf Dauer zu deutsch für sie, und doch kennt sie nichts besser als dieses Deutschland.

Die Dramatikerin, Romanautorin und Theaterregisseurin Nino Haratischwili lebt in Hamburg
Die Dramatikerin, Romanautorin und Theaterregisseurin Nino Haratischwili lebt in Hamburg © dpa | Arno Burgi

Das ist bei Mirna Funk, die jüdische Wurzeln hat, in Berlin aufwuchs und wie Kaufmann gerade ihr literarisches Debütwerk geschrieben hat, ähnlich. Übrigens hat auch Kat Kaufmann jüdische Wurzeln, aber sie streift dieses Thema nur en passant. Wenngleich ihre hingeknallte Vorbemerkung so lautet: „Und der Jude ist nicht reich. Und der Russe ist nicht kalt. Und Berlin ist nicht Berlin.“

In Funks Roman „Winternähe“ wiederum, der auch in Tel Aviv spielt, herrscht eine noch deutlich brodelndere Identitätswut als in „Superposition“. Zwischen Juden und Nicht-Juden sind moralische und verbale Barrieren, weil der Holocaust nie vorbei sein kann oder eben gerade doch. Funks Heldin heißt Lola, und das Klima, in dem sie lebt, ist hier wie dort eines des Widerspruchs, des Streits – in Berlin herrschen Ignoranten, die Hitlerbärtchen malen, in Tel Aviv endet der Streit zwischen Palästina-Verstehern und Israel-Hardlinern nie. Zorn ist bei Funk und Kaufmann eine wichtige Kategorie.

Einwanderer portraitieren unser Land anders als Eingeborene

Kaufmann wird dereinst, in den Standardbänden zur deutschen Literaturgeschichte des 21. Jahrhunderts, im üppigen Kapitel der Migrantenliteratur auftauchen, als zur Gruppe der Autoren gehörend, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts vornehmlich aus Osteuropa einwanderte und einem bestimmenden Faktor des Gegenwartsschreibens wurde. Die Autoren nichtdeutschsprachiger Herkunft sind seit Jahren Kritiker- und Leserlieblinge, sie räumen Literaturpreise ab, und sie porträtieren unser Land anders als sie es täten, wenn sie hier geboren wären: die in Hamburg lebenden Nino Haratischwili (geboren 1983 in Tiflis) und Saša Stanišic (geboren 1978 in Višegrad, Jugoslawien), Alina Bronsky (geboren 1978 in Jekaterinburg am Uralgebirge), Olga Grjasnowa (geboren 1984 in Baku), Terezia Mora (geboren 1971 in Soporn, Ungarn), Ilija Trojanow (geboren 1965 in Sofia) und der Kieler Feridun Zaimoglu (geboren 1964 in Bolu, Türkei) sind hier in erster Linie zu nennen.

Mit Zaimoglu, Bronsky und Trojanow standen drei Autoren dieser Neuen deutschen Literaturwelle auf der Longlist des Deutschen Buchpreises. Den Terezia Mora 2013 mit „Das Un­geheuer“ gewann, und 2014 holte sich Stanišic mit dem Uckermark-Roman „Vor dem Fest“ den Preis der Leipziger Buchmesse – die jeweilige Siegerkür wurde zu Recht als Nobilitierung der Einwandererliteratur verstanden.

Auch der Schriftsteller Sasa Stanisic ist in Hamburg Zuhause
Auch der Schriftsteller Sasa Stanisic ist in Hamburg Zuhause © picture alliance / dpa | dpa Picture-Alliance / Arno Burgi

Dass – siehe Stanišic – Migranten über Urgermanisches schreiben und sich den Sujets deutscher Geschichte annehmen, ist nicht die Regel. Auch wenn Maxim Biller (geboren 1960 in Prag) vor anderthalb Jahren gegen hybriddeutsche Autoren wütete und ihnen vorwarf, zu angepasst über allzu Deutsches zu schreiben – so ist es keineswegs, wie jetzt nicht nur Kat Kaufmann mit ihrer dissonanten literarischen Großstadtsinfonie beweist. Die deutsche Migrantenliteratur ist ein ­Gemischtwarenladen, in dem Autoren mit Brüchen in ihren Lebensläufen ­jene globalen Existenzen zu glänzenden Auslagestücken verdichten. Bronsky reist in ihrem neuen Roman „Baba Dunjas letzte Liebe“ in die Tschernobyl-Gegend, wo sie ein Dorf und seine Bewohner besucht und von ihnen berichtet. Und Zaimoglu schreibt mit „Siebentürmeviertel“ seine Version eines historischen Romans, in dem zwei deutsche NS-Flüchtlinge nach ­Istanbul emigrieren.

Welthaltig, geschichtsbewusst – und vor allem bei Olga Grjasnowa („Der Russe ist einer, der Birken liebt“) und Kaufmann im persönlichen Such­modus befindlich: Das sind die klassischen Attribute, die die Migrantenliteratur auf sich vereint. Ihr Einzug in die deutsche Literatur hat diese frischer, wilder und reichhaltiger ­gemacht. Und, um auf Kaufmanns „Superposition“ zurückzukommen, sie schenkt dieser Literatur unvergessliche Frauenfiguren, die melancholisch sind und voll nach vorne. Die sich auslaugen im Nachtleben und tagsüber auch, die nach Hause tanzen oder sich auf der Parkbank ausruhen, während andere erst gar nicht vor die Tür gehen.

In ihrer ­Gesamtheit sind Kaufmann und die Einwanderer: ein Geschenk an die deutsche Literatur.