Hamburg. Die Ausstellung im Völkerkundemuseum Hamburg öffnet den Blick auf vielfältige Vorstellungen davon, was Schönsein bedeutet.

Am Kopf des pinkfarbenen Laufstegs lächelt die schöne Iman, das erste afrikanische Topmodel, aus ihrem goldenen Paillettenanzug, feines Näschen, „glatte“ Locken – Schönheit nach europäischem Maßstab. Doch dann, am anderen Ende des Laufstegs sehen wir, wie Miss Awoulaba ihren Bauch kreisen lässt. Barfuß und fröhlich lachend tanzt sie vor der hingerissenen Jury; mit kräftigen Beinen und wogendem Busen, ein Bild von einer Frau ...

Bewusst wurde für die neue Sonderausstellung „Africa’s Top Models“ die Gegenwart einbezogen, wurden die unterschiedlichen Auffassungen von Schönheit gegenübergestellt. Entgegen den weltweit noch immer so starken kolonialen Denkmustern, versucht das Kuratorenteam des Museums für Völkerkunde, sich „als erste Museums­ausstellung den afrikanischen Blickwinkeln auf das Thema zu nähern“.

Dabei wird vor allem eines deutlich: die große Vielfalt in den Kulturen Afrikas. Auch wenn man der Ausstellung schmerzlich anmerkt, dass dem Museum ein Afrikaspezialist fehlt, der diese Spitzenstücke der Sammlung näher erklären könnte, die jetzt hier vielfach zum ersten Mal zu sehen sind, ist diese Schau doch ein großer Gewinn.

Die vielen Vorstellungen von Schönheit

Für jede Kultur und jeden wichtigen Aspekt wurde ein eigener Glaskasten aufgestellt, dazwischen leuchten wunderschön bedruckte Stoffe von den Wänden. In den Kästen sind oft nur wenige Masken, Figuren oder Skulpturen präsentiert und von griffigen Schlagworten umgeben. An den Seiten findet man dann knappe ethnologische Erläuterungen.

Die Qualität der Ausstellung liegt in der Qualität der Exponate und darin, dass alle Vorstellungen von Schönheit zusammengenommen im Kopf weiterarbeiten, lange nachdem man das Museum verlassen hat. Die Herrero-Frauen zum Beispiel schmückten früher ihre Unterschenkel und den Bauch mit schweren Eisenketten, die einen langsamen, majestätischen Gang erzwangen. Solchen Kettenschmuck kann man hier betrachten.

Eine besonders große Vitrine zeigt die Vielfalt in afrikanischen Menschendarstellungen aus fünf Jahrhunderten. Auch hier sieht man weibliche Figuren, mit Ziernarben, kräftigen Beinen und großen Füßen, die stark und unumstößlich auf dem Boden stehen und sogar jeweils noch eine zweite Figur auf den Schultern tragen.

Ein Video führt vor, was die wichtigsten Designerinnen in Dakar entworfen haben und wie man aus einem Haufen Satinstoff eine königliche Kopfbedeckung wickelt. Fotos kongolesischer „Sapeurs“ zeugen vom exzellenten Geschmack junger Afrikaner, die den Stil ihrer ehemaligen Kolonial­herren farbenfroh und kreativ weiterentwickelt haben. Und man bekommt eine Ahnung davon, dass Afrika der Kontinent der Stoffe ist und eine reiche Tradition besitzt.

Äußere trifft auf innere Schönheit

Doch dann wird es wieder historisch, auch wenn oft die Jahreszahlen fehlen. Eine ausdrucksvolle Holzmaske der Mende hat eine sehr hohe Stirn, halb geschlossene Augen und einen schmalen Mund, außerdem steht hier eine kleinere Holzstatuette mit gerilltem Hals und vergrößertem Nabel, ebenfalls ein Schönheitsideal bei diesem Stamm. Die halb geschlossenen Augen sind ein Zeichen von Sittsamkeit. Der kleine Mund signalisiert, dass es besser sei zu schweigen, als zu schwatzen – ein Zugeständnis an die Vormachtstellung der Männer. Einzigartig ist die Tat­sache, dass bei den Mende die Frauen die Macht haben, beim Tanz selbst solche Masken zu tragen und die Rituale zu praktizieren, die sonst nur Männern vorbehalten sind.

„Wir haben ganz normale Afrikaner, aber auch Wissenschaftler aus Daressalam und Botswana nach ihrem Begriff von Schönheit befragt“, sagt Museumsdirektor Wulf Köpke. „Die Antwort lautete oft: ‚Für Schönheit haben wir kein Wort. Nur für ‚gut‘. Moral und innere Schönheit sind für uns tausendmal wichtiger als äußere Schönheit.‘“ Bei den Ibibo beispielsweise ist das Wort „schön“ gleichbedeutend mit „moralisch gut“, und in vielen afrikanischen Sprichwörtern wird davor gewarnt, sich von bloßer Schönheit blenden zu lassen.

Und die Männer?

Die schönste Frau, die eine Art Anbetung erfährt, ist eine Mutter, die Mona Lisa unter den Frauen, so Köpke. Auch dafür gibt es eine Vitrine, in der neben anderen eine prächtig geschmückte Maske in Gestalt einer Mutterfigur zu finden ist, die ihr Kind trägt. In ihren Rock sind Löcher hinein­gebohrt, durch die derjenige hindurchsehen kann, der sie bei großen Festen auf dem Kopf trägt. Es ist eine Maske für Initiationsfeiern der Kuba (Kongo).

Es gibt in Afrika auch wenige Stämme, in denen sich die Männer um die Frauen bewerben: Fotos der westafrikanischen Wodaabe, Rinderhirten und Nomaden, zeigen feingliedrige Männer, die sich schmücken, schminken und sorgfältig kleiden, denn hier sind es die Frauen, die beim Tanzfest ihren Gefährten auswählen.

Bei den Sonynge ist eine Lücke in der Mitte einer Zahnreihe ein Zeichen für Symmetrie und Schönheit, Bärte und Augenbrauen sind häufig gezackt geschnitten.

Leuchtende Augen machen einen guten Kämpfer attraktiv für die Frauen

Ein Mann sollte bei den Senufo ein guter, tapferer Kämpfer sein, mit leuchtenden Augen und kräftigem Gebiss. Spannend ist hier ein Paar hölzerne Ahnenfiguren, eine „Mannfraueinheit“ von gleichartiger Schönheit. Die Chokwe, aber auch viele andere, feilen sich die Zähne spitz und legen Wert auf aufwendige Flechtfrisuren und Perlenschmuck auf der Stirn.

Ein Minikapitel ist sogar der Kosmetik gewidmet, schließlich gibt es auch in Hamburg eine Menge Afroshops. Erbleichend erfährt man hier, dass sich 77 Prozent der Frauen in Nigeria ihre Haut chemisch aufhellen.

Aussehen und Ausstrahlung allein sind in Afrika aber eben nicht das Entscheidende. Sogar bei der Siegerin eines Schönheitswettbewerbs muss mehr dahinter sein: Die Kandidatinnen zur Wahl der Miss Awoulaba wurden auch auf innere Werte hin beurteilt, man fragte sie zu ihrer Meinung über gesellschaftliche und politische Themen. Dann erst kam die Siegerehrung, und ein Tänzchen dazu. Barfuß, versteht sich.

Africa’s Top Models“ Ausstellung bis 6.11.2016. Völkerkundemuseum, Rothenbaumchaussee 64
(U Hallerstr.), Di-So 10.00–18.00, Do bis 21.00. Eintritt 8,50, erm. 4 Euro