Hamburg. Bei den Martinstagen, dem Hamburger Luther-Lesefestival, gibt es zehn Veranstaltungen, die seine Thesen zu unserer Zeit in Bezug setzen.

Bei den „Martinstagen“ geht es diesmal nicht um die Gans, sondern ums Ganze: Gemeint ist damit das Luther-Lesefestival, das morgen, einen Tag vor dem Martinstag, in der Hansestadt beginnt und bis Sonnabend dauert. Es will ausgewählte Texte aus dem Gesamtwerk des Reformators Martin Luther (1483–1546) zur Sprache und vor allem zu Gehör bringen. Bekannte Autoren, Schauspieler und Wissenschaftler lesen Originaltexte des Wittenberger Reformators, der mit seiner Bibelübersetzung wesentliche Impulse für die deutsche Sprache vermittelte. Und sie bringen diese Texte mit Gegenwartsthemen in Verbindung.

Mit dabei sind unter anderen die Ohnsorg-Theater-Schauspielerin San­dra Keck, die Autorin Dörte Hansen und der Wissenschaftler Thomas Kaufmann. Die zehn Veranstaltungen finden auf Hamburger Bühnen, in Kirchen und Bars statt. Schließlich hat Luther dem Volk „aufs Maul geschaut“. Im Abendblatt erklären prominente Akteure, warum sie sich bei den Lese­tagen engagieren.

Auf der Bühne des Ohnsorg-Theaters geht es am Donnerstag um „Luther op Platt“. Obwohl der Reformator kein plattdeutsches Werk geschrieben hat, wurden seine Texte ins Plattdeutsche übersetzt. Schauspielerin und Regisseurin Sandra Keck wird eine kleine Auswahl vorlesen. „Ich bin katholisch, allerdings nur noch auf dem Papier und aus humanen Gründen in der Kirche.“ Dennoch macht sie bei den Martinstagen mit. „Was ich immer mehr zu schätzen weiß, ist: ein kritischer Geist, der sich wehrt, stoisch zu akzeptieren, der hinterfragt, einlenkt oder widerspricht.“ Ganz wie Martin Luther, fügt sie hinzu. Er habe Kirche, Bibel und Dogmen infrage gestellt und kritisiert.

Originales
Übersetzungsmanuskript
Luthers zum
Alten Testament
von 1530
Originales Übersetzungsmanuskript Luthers zum Alten Testament von 1530 © picture-alliance

Auch die Bestsellerautorin Dörte Hansen („Altes Land“) ist im Ohnsorg-Theater mit von der Partie und von Luthers Lebensleistung begeistert: „Durch seine Bibelübersetzung ins Deutsche wurde aus Herrschaftswissen Volkswissen. Dem Klerus hat er die Deutungshoheit entrissen.“

Luthers Gesamtwerk umfasst rund 80.000 Druckseiten in 120 Bänden – eine wahre Fundgrube für eine öffent­liche Lesung, die von der Nordkirche veranstaltet und von der Kulturmanagerin Barbara Heine mit der Arbeitsstelle Reformationsjubiläum entwickelt wurde.

Die Organisatoren konnten auch den Hamburger Autor und Wüstenwanderer Achill Moser gewinnen. Der Vielreisende liest am Freitag im Thalia Nachtasyl aus Luthers „Sermon von der Bereitung zum Sterben“. Luther schrieb ihn 1519, und darin auch das: „Im Sterben öffnet sich der schmale Pfad zum Leben; darauf muss sich jeder fröhlich wagen.“ Wie Achill Moser sagt, war Luther ein „wortgewaltiger Redner und ausgezeichneter Schreiber“. Sein Denken und Handeln habe das gesellschaftliche Leben verändert. „Er ermöglichte den Weg vom Leibeigenen zum mündigen, selbstverantwortlichen Individuum.“

Im Blick auf das 500. Reformationsjubiläum 2017 will sich Moser mit seinem Sohn im nächsten Jahr auf Spurensuche begeben. Der Hamburger Autor plant, per pedes zu Luthers historischen Lebensstationen zu wandern.

Um die „Strafsache Luther“ – seinem lebensgefährlichen Kampf gegen den Papst und seine Getreuen – geht es bei der Lesung am Mittwoch im Ziviljustizgebäude. Der Schauspieler Julius Feldmeier („Tatort“) trägt dort kaiser­liche Texte vor. „Ich finde es gut, Lesungen zu veranstalten, in denen die Geschichte im Vordergrund steht“, sagt er. Luther habe mit der Übersetzung der Bibel damals etwas Großartiges geleistet. Auf diese Weise konnten sich die Menschen eine eigene Meinung bilden, fügt er hinzu.

Sandra Keck vom Ohnsorg-Theater
liest Luther-Texte
Sandra Keck vom Ohnsorg-Theater liest Luther-Texte © picture alliance

Mit dem anspruchsvollen Versuch, das Böse zu erkunden, befasst sich die Hamburger Autorin Tina Uebel („Last Exit Volksdorf“). Die Lesung unter dem Motto „Und wenn die Welt voll Teufel wär“ findet am Freitag im Lichthof der Staatsbibliothek statt. Der Name „Martinstage“, sagt die Atheistin, klinge eher beschaulich. „Dase berührt aber eine zeitlos wie brennende Frage: Inwieweit ist unser Weltverständnis von Religion geprägt?“

Bischöfin Kirsten Fehrs sagt, mankönne Luther „entdecken“

Mit dabei ist, passend zum Thema „Das Böse“, auch Axel Petermann, Kriminalist, Profiler und Autor „(„Auf der Spur des Bösen“). Ihn fasziniert an dem Reformator, dass er jemand war, der nicht mit dem Strom schwimmen wollte und der Freiheit der Gedanken folgte. Darin lägen auch die Impulse für die Gegenwart. „Das heißt für mich: Freiheit der Gedanken, gegen das Duckmäusertum. Und wir sollten uns nicht so darauf konzentieren, bei anderen das Böse zu suchen.“

Auch der Schauspieler, Theologe und Musiker Julian Sengelmann („Reformation Songs“) hat sich entschieden, bei den Lesetagen mitzumachen. Luthers Texte seien brandaktuell – „weil sie oft eine Schönheit, Tiefe und lebensnahe Klugheit“ haben, sagt der Hamburger.

Für den Göttinger Theologie­professor Thomas Kaufmann bilden Luther und die Reformation derweil einen wesentlichen Teil seiner Forschungsarbeit. Der Kirchenhistoriker wird am Donnerstag im Logensaal der Kammerspiele Texte lesen, die Luthers Antisemitismus verdeutlichen. „In den Gesprächen über Luther und seine Texte sehe ich auch eine Chance, Forschungsthesen in verständlicher Form vorzutragen und die Chance, Zerrbilder des Refomators infrage zu stellen.“

Wie Bischöfin Kirsten Fehrs unterstreicht, sollte Luther nicht verehrt, sondern „entdeckt“ werden. Sein Denken und Wirken gehöre „in die Mitte der Gesellschaft und unserer Kultur“. Die Martinstage böten dafür eine ausgezeichnete Gelegenheit, betont Fehrs.

So können Sie dabei sein

Wie man Tickets bekommt
Die Martinstage sind der Hamburger Auftakt für das Reformationsjubiläum 2017. Mehr zur Veranstaltung, zu weiteren Akteuren und zum Kauf der Tickets (zehn Euro) finden sich im Internet unter www.martinstage.de