Auf dem Ölgemälde, das seit 1603 in der Hauptkirche St. Petri hängt, ist auch ein Schwan zu sehen – Hinweis auf Jan Hus.
Als der Hamburger Maler Jacob Jacobs den Auftrag erhielt, für die Rathaus-Kirche St. Petri ein Luther-Gemälde zu malen, zögerte er nicht lange. Unbedingt wollte er den Reformator mit einem weißen Schwan schmücken.
Tatsächlich hängt dieses Ölgemälde von 1603 bis heute in der ältesten Pfarrkirche Hamburgs. Es zeigt den Talarträger Martin Luther, der in imposanter Pose auf die Heilige Schrift weist. Und rechts unten lugt ein Höckerschwan hervor. Die Allianz von Mensch und Schwan war bis dahin allenfalls in der griechischen Mythologie von Leda mit dem Schwan bekannt. Zudem gilt der Schwan als Symbol der Reinheit, der edlen Herkunft und des Mutes.
Aber Martin Luther, Sohn eines Hüttenmeisters, in künstlerischer Symbiose mit einem Schwan? Was für die Betrachter des Ölgemäldes aus dem frühen 17. Jahrhundert noch verständlich war, ist heute im kollektiven Gedächtnis kaum mehr präsent. So gibt das Bild in der Hauptkirche St. Petri dem modernen Zeitgenossen ein Rätsel auf, dessen Auflösung sich allerdings gerade in diesen Tagen lohnt.
Dazu muss man auf Ereignis blicken, das genau 600 Jahre zurückliegt. Konstanz am Bodensee, Anfang Juli 1415. Die 6000 Einwohner zählende Stadt erlebt den größten Kongress des Mittelalters. Beim Konstanzer Konzil von 1414 bis 1418 finden bis zu 70.000 Kirchenfunktionäre sowie Bedienstete von König Sigismund und anderen Herrschern Kost und Logis. 700 extra bestellte Huren kümmern sich um die fleischlichen Genüsse der hohen Herren. Es steht viel auf dem Spiel: Die katholische Kirche ist mit drei Päpsten tief gespalten. Sigismund dringt auf Einheit.
Und dann gibt es noch die Sache mit Jan Hus. Sie wird, ist sich Sigismund sicher, rasch entschieden. Mit kurzem Prozess. Hus wartet im Konstanzer Kerker auf den Tod. Er ist Theologe und Vorreformator aus Südböhmen und Anhänger des britischen Kirchenreformers John Wyclif. Hus hatte dessen Schriften verbreitet und war selbst Feuer und Flamme für die Ideen. Doch die kirchliche Strafe kam prompt. Weil Hus als Prediger der Prager Bethlehemskapelle kirchlichen Reichtum, Ämterkauf, Ablasshandel, Sittenverfall, Papsttum und die Praxis der Eucharistie (den Kelch gibt es nur für den Klerus) geißelte, war er kurz zuvor mit dem Großen Bann belegt worden. Auch seine Kollegen von der Prager Theologischen Fakultät hatten sich von ihm distanziert.
„Im Kerker und in Ketten“ schrieb Hus einen letzten Brief an seine Getreuen
Doch das Kirchenvolk empfindet Sympathie für Jan Hus aus Husinec, was so viel wie Gans bedeutet. Hus predigt auf Tschechisch, redet Klartext und nicht mehr Gelehrtenlatein. Nun aber kann ihn nur noch der Widerruf vor dem Tod auf dem Scheiterhaufen retten. Auf den König kann er ohnehin nicht vertrauen, denn der hatte das Versprechen eines sicheren Geleits gebrochen. Deshalb ist er nun als Ketzer von einem Konzil angeklagt, das eigentlich viel wichtigere Probleme zu lösen hat.
Jan Hus sitzt in seiner Kerkerzelle und schreibt „im Kerker und in Ketten“ den letzten Brief an die „treuen Böhmen in Erwartung des Todes“. Er werde seine Lehre nicht widerrufen, beteuert Hus. „Dies schreibe ich Euch, damit Ihr es wisst, dass sie mich durch keine Schrift, durch keinen Beweis überführt haben, nur durch List und durch Drohungen versuchten sie mich zum Widerruf und Abschwur zu bringen.“
Und dann ist noch jener Satz überliefert, der das Rätsel des Hamburger Ölgemäldes von Luther mit dem Schwan lösen kann. Jan Hus sagt vor seinem Feuertod: „Sie werden jetzt eine Gans braten, aber über hundert Jahre werden sie einen Schwan singen hören, den sollen sie leiden.“
Es war Martin Luther, der 1520, also gut 100 Jahre später, erkannte: „Wir sind alle Hussiten, ohne es zu wissen.“ Denn wie der Prager Vordenker kämpfte auch Luther gegen Ablasshandel und für eine Rückkehr zu den Quellen des Evangeliums.
Der Wittenberger Reformator hat sich in seiner Selbstdeutung unmittelbar in die Nachfolge der hussistischen Tradition gesetzt und sich damit allegorisch als jenen Schwan interpretiert. Luther zitierte häufig die Hussche Weissagung, und der Hamburger Reformator Johannes Bugenhagen nahm in seiner Trauerrede für Martin Luthers am 22. Februar 1546 in der Wittenberger Schlosskirche darauf Bezug. „Gott wird aber einen Schwan erwecken“, zitierte Bugenhagen die Weissagung von Jan Hus, „den werdet ihr nicht verbrennen noch braten. Du da sie gegen ihn viel schrien, soll er gesagt haben: Nach 100 Jahren will ich euch antworten. Das hat er redlich getan durch unseren lieben Vater Doktor Luther.“
Weihbischof Jaschke nennt Hus eine glaubwürdige christliche Persönlichkeit
Während Luther „nur“ mit einem Bann belegt wurde, starb Jan Hus als Ketzer. Vor genau 600 Jahren, am Sonnabend, den 6. Juli 1415, setzen sie ihm in Konstanz eine papierne Krone auf. Darauf steht: „Haeresiarcha“ (Erzketzer). Die Henker binden seine Hände mit nassen Stricken an den Pfahl, schichten Holz und Stroh von den Füssen bis zum Kopf. Der Scheiterhaufen beginnt zu brennen. Jan Hus betet unablässig. „Herr in deine Hände befehle ich meinen Geist.“
Die Asche wird sorgsam eingesammelt und in den Rhein geschüttet. Zeitgenossen meinen, dass sei deshalb geschehen, damit die Vögel die Asche nicht als Reliquie nach Prag führten.
600 Jahre nach der Verurteilung durch das Konzil hat Papst Franziskus den „tragischen Tod“ bedauert. Und Hamburgs Weihbischof Hans-Jochen Jaschke sagte sogar: „Es ist höchste Zeit und ein wichtiges Zeichen, dass unsere Kirche Jan Hus als glaubwürdige christliche Persönlichkeit anerkennt. Es gelte, ihm Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. In der evangelischen Hamburger Hauptkirche St. Petri erinnert immerhin ein Schwan an ihn.