Rotherbaum. Die Sängerin über die große Tournee zu ihrem 50. Bühnenjubiläum – und warum sie wieder zwischen Hamburg und Berlin pendelt.
Wenn eine Künstlerin oder ein Künstler ein neues Album veröffentlichen und die PR-Maschinen der Plattenfirmen angeworfen werden, braucht es für gewöhnlich ein griffiges Verkaufsargument. Auch wenn es sich um eine sehr erfolgreiche Künstlerin wie Vicky Leandros handelt, die im Frühjahr 2016 auf ihrer geplanten „Das Leben und ich“-Tournee ihr 50. Bühnenjubiläum feiern wird und die auf mehr als 55 Millionen verkaufter Tonträger zurückblicken kann, etwa 80 Gold- und Platinalben inklusive.
Und so trägt ihr neues Album als Titel ein bekanntes Sokrates-Zitat („Ich weiß, dass ich nichts weiß“) und die 63-Jährige sagt, dass es bislang „ihr persönlichstes Werk“ sei. Es ist also wieder einmal Interviewmarathon angesagt. Vicky Leandros sieht blendend aus, wirkt tiefenentspannt – und das, obwohl sie ziemlich erkältet ist.
Hören wir doch einmal kurz rein in den Titelsong ihres neuen Albums: „Zur Weisheit führt ein langer Weg, doch der ist mir zu lang (...) Vernunft und Spaß sind zweierlei, das hab auch ich erkannt (...) O ja, ich weiß, dass ich nichts weiß, schon die Erkenntnis hat ihren Preis.“
„Ich bin in den letzten Jahren oft gefragt worden, ist man weiser, wenn man älter wird? Nach kurzem Überlegen musste ich das verneinen. Ich habe eine größere Lebenserfahrung, bin aber kein bisschen weise.“ Vicky Leandros lässt offenbar tatsächlich einen tieferen Einblick in ihre Seele zu. Sie nippt an ihrem Cappuccino. „Es ist ja so, dass ich als Mensch immer wieder in die gleichen Fehler hineintapse, weil ich mehr mit dem Herzen als mit dem Verstand entscheide.“ Und da sich der Charakter eines Menschen nun einmal nicht verändere, passiere das beinahe zwangsläufig. „Ich wollte deshalb einen Text kreieren, mit dem ich mich humorvoll selbst ein bisschen auf den Arm nehme. Und es ist nicht das einzige Lied, das eine Portion Selbstironie enthält.“
Doch eine gesungene Biografie – eine Art Lebensbilanz – sollten ihre Fans auf ihrer anstehenden Tournee nicht erwarten. „Ich würde eher sagen, es ist eine Zeitreise, mit neuen und mit älteren Liedern, und zwischendurch möchte ich auf der Bühne dann schon ein paar Geschichten erzählen, die von Bildern und kleinen Filmen untermalt werden. Aber ich werde bestimmt nichts über große Erfolge erzählen, sondern über Situationen, die nicht so gut geklappt haben, vielleicht sogar ein bisschen peinlich waren. Das finde ich jedenfalls viel interessanter.“
Eine weitere Erkenntnis war, dass der Ohrwurm „Theo, wir fahr’n nach Lodz“, den die Radiostationen damals in den 70er-Jahren zunächst nur sehr zurückhaltend spielten (weil der ja so gar nicht zu Vicky Leandros passen wollte), ihr das Label „Schlagersängerin“ bescherte. „Ja“, sagt sie, „aus dieser Ecke bin ich dann plötzlich nicht mehr herausgekommen. Dabei war auch auf der Platte, die ich vor fünf Jahren mit Xavier Naidoo produziert habe, kein einziger Schlager zu hören.“
Aber man müsse natürlich auch trennen: „Die Menschen, die meine CDs kaufen und meine Konzerte besuchen, haben einen Anspruch. Sie wissen, dass ich Chansons singe, auch in verschiedenen Sprachen, und dass ich dabei immer verschiedene Musikstile miteinander verbinde – aber natürlich auch Schlager.“ Räumlich verbindet Vicky Leandros zurzeit zwei Städte miteinander: Sie pendelt zwischen Hamburg und Berlin. Was wohl auch dem neuen Partner an ihrer Seite geschuldet ist. Aber bei diesem Thema bleibt Vicky Leandros so verschlossen wie der Reißverschluss ihres Daunenmantels: „Es gibt jemanden. Ich bin jedenfalls nicht alleine – und ich spiele auch noch kein Golf.“ Privates bleibt nun privat. Punkt.
Am 27. November gibt Vicky Leandros ein Weihnachtskonzert in der Kirche
Was ihr griechisches Herz richtig schmerzte, waren die Berichte und Reaktionen in der Presse auf die Griechenland-Krise in jüngerer Zeit. „Denn es gibt sie nicht, die ‚bösen Griechen‘. Sie sind ein herzliches, offenes und ungeheuer gastfreundliches Volk. Es war absolut gerechtfertigt, die Politik zu kritisieren, doch stattdessen wurde häufig alles über einen Kamm geschoren.“ Allerdings müsse man auch einfach nur die unterschiedlichen Mentalitäten der Deutschen und der Griechen berücksichtigen – und begreifen lernen. Mit ihrer Musik gelänge ihr das schließlich schon seit Jahrzehnten ...
Auf ihrem neuen Album findet man ein Dutzend eher ruhiger, getragener, manchmal melancholischer und nachdenklich stimmender Songs, von denen nur zwei („Ich weiß, dass ich nichts weiß“, „Ich will alles“) dank der zirpenden Bouzouki zum – wenn überhaupt – dezenten Mitklatschen einladen.
Ihre „Das Leben und ich“-Tour startet im kommenden Jahr am 7. Mai im „Mehr! Theater“ am Hamburger Gemüsegroßmarkt. Wer Vicky Leandros bereits vorher live hören möchte, der sollte am 27. November in die St.-Marien-Kirche in Basthorst zu ihrem Weihnachtskonzert kommen, wo übrigens wieder Weihnachtsbäume versteigert werden, die von Udo Lindenberg, Scooter-Frontmann HP Baxxter, Otto Waalkes, Johannes B. Kerner und anderen Künstlern und Prominenten geschmückt wurden – zugunsten der Aktion „Ein Herz für Kinder“.