„Auf der Reeperbahn nachts um halb eins“: Der Hit aus dem Hans-Albers-Film lebt heute noch weiter. Vor 70 Jahren feierte Hamburg die Premiere.

Die Warteschlange vor dem Waterloo-Kino in der Dammtorstraße reichte bis auf den Gänsemarkt. An der Kasse gingen die Karten zu drei Reichsmark weg wie warme Semmeln, Kassiererinnen wurden sogar mit Zigaretten und Schokolade bestochen. „Die Karten wurden natürlich auch auf dem Schwarzmarkt gehandelt“, erinnert sich Heinrich Jürgen Rehder, damals 20 Jahre alt und vormals Marinesoldat. „Da musste man aber schon Butter oder Zigaretten zum Tauschen bieten. Es war alles möglich, wenn man nur die richtigen Leute ölte.“

Die Hamburg-Premiere von „Große Freiheit Nr. 7“ am 19. Oktober war das Filmereignis des Jahres 1945. Obwohl in der Stadt Not herrschte und sich die Hamburger auf einen harten Winter vorbereiteten. Lebensmittel waren streng rationiert, fast 200.000 Menschen lebten in Notunterkünften, die britische Militärregierung hatte gewarnt, dass es in den kalten Monaten weder Kohlen noch Brennstoff für private Haushalte geben werde.

Trotzdem – oder vielleicht gerade deshalb – waren die Hamburger wild darauf, den Hamburg-Film nun endlich zu sehen. „Das war ja eine Liebesgeschichte mit sehr beliebten Schauspielern“, sagt Klaus Esemann, damals 18 Jahre alt, „und Hans Albers war ein Hamburger Jung. So etwas hat man gebraucht.“

Der Film-Gassenhauer „Auf der Reeperbahn nachts um halb eins“ ist heute noch der ultimative Kiez-Song. Aber an die Filmhandlung erinnern sich fast nur noch Ältere. Hans Albers spielt den alternden Ex-Matrosen Hannes, der als Stimmungssänger im halbseidenen „Hippodrom“ arbeitet und immer noch von der weiten See träumt. Am Sterbebett seines leichtsinnigen Bruders verspricht er, sich um dessen Mädchen Gisa (Ilse Werner) zu kümmern.

Es kommt, wie es kommen muss: Hannes verliebt sich in Gisa, zeigt ihr auf einer Barkassenfahrt stolz den Hafen und die Schiffe und möchte sie vom Rotlichtmilieu schön fernhalten. Aber während er bereits Hausrat für Gisa anschafft und plant, als Barkassenkapitän sesshaft zu werden, verliebt sich Gisa in den Werftarbeiter Georg Willem (Hans Söhnker), der sie bei einem Ausflug nach Blankenese in Sagebiels Fährhaus bezirzt. Als Hannes merkt, was los ist, gibt es wilde Blicke und eine zünftige Kneipenschlägerei.

Hamburg-Premiere war im Waterloo-Kino Dammtorstraße
Hamburg-Premiere war im Waterloo-Kino Dammtorstraße © Staatsarchiv Hamburg | Staatsarchiv Hamburg

Aber in einem symbolhaften Traum erkennt er, dass er Gisa verloren hat. Am Ende heuert er mit seinen Kumpels Fiete und Jens (Gustav Knuth, Günther Lüders) wieder auf der „Padua“ an. „Im Grunde war es ein Hans-Albers-Film“, sagt Peter Tamm, Gründer des Internationalen Maritimen Museums Hamburg. „Albers war sympathisch, den hätte man gern als Kumpel gehabt.“ Die „Padua“ als stolzer Flying P-Liner der Reederei Laeisz, der blonde Hans, Hafen, Seeleute – mehr Hamburg ging nicht. Regisseur Helmut Käutner, der zusammen mit Richard Nicolas auch das Drehbuch schrieb, wollte eine zeitlose, menschliche Geschichte erzählen; keine von kernigen Draufgängern, die dem Endsieg entgegenfiebern, sondern von kleinen Leuten und ihren großen Träumen von Freiheit, Unabhängigkeit und Glück; die oft Träume bleiben, erst recht in der „Großen Freiheit“.

Vorbild des Film-Hippodroms war ein Vergnügungslokal an der Großen Freiheit 10-12, das 1928 von Schlachtermeister Hermann Bartels, dem Vater des späteren St.-Pauli-Unternehmers Willi Bartels, übernommen wurde. „Die Pferde wurden angestachelt, alles wartete johlend, dass Sie runterfielen“, erinnert sich Peter Tamm. „Die Viecher hörten weder auf ,hart backbord‘ noch auf ,hart steuerbord‘. Wer aus dem Sattel flog, musste eine Lokalrunde ausgeben.“

Propagandaminister Joseph Goebbels, selbsternannter „Schirmherr des deutschen Films“, schätzte Käutner („der Avantgardist unter unseren deutschen Filmregisseuren“). Er erhoffte sich einen unterhaltsamen Kassenschlager, wie es zuvor „Münchhausen“ oder die Komödie „Wir machen Musik“ waren. Trotz der Geldknappheit in Kriegszeiten genehmigte er rund 1,5 Millionen Reichsmark für den Film und sorgte dafür, dass die Rohstoffe für Agfacolor bereit standen. Nicht zu vergleichen mit den 8,5 Millionen, die er für Veit Harlans „Kolberg“ locker gemacht hatte, aber immerhin. „Auch die Unterhaltung ist heute staatspolitisch wichtig, wenn nicht sogar kriegsentscheidend“, schrieb Goebbels im Februar 1942 in sein Tagebuch.

Als am 5. Mai 1943 die Dreharbeiten zur „Großen Freiheit“ begannen, wurde Unterhaltsamkeit auch immer nötiger. Die 6. Armee hatte in Stalingrad kapituliert, deutsche Truppen unterlagen in Nordafrika, der Luftkrieg über Deutschland wurde immer härter. Im September klangen Goebbels’ Tagebucheinträge deutlich resignierter: „Der breiten Massen hat sich eine gewisse Skepsis, um nicht zu sagen Hoffnungslosigkeit bemächtigt.“

Die Lage verschärfte sich auch für die Filmcrew. Anfangs wurden die Große Freiheit und das Hippodrom im Berliner Studio in Babelsberg nachgebaut, ab Mitte Juli in den Ufa-Ateliers in Tempelhof. Als hier die Bomben einschlugen, musste die Crew umziehen und in den Barrandov-Ateliers in Prag für St.-Pauli-Flair sorgen. Goebbels nahm Einfluss: Er verlangte, dass die Hauptfigur statt „Johnny“ in „Hannes“ umbenannt wurde. Am 7. Juli meldete der „Film-Kurier“, dass der Filmtitel „Große Freiheit“ noch den Zusatz „Nr. 7“ erhalte.

Große Freiheit im Nationalsozialismus – das war den Wächtern der Filmindustrie denn doch zu „missverständlich“. In Hamburg wurden im Oktober 1943, also nach den schweren Bombenangriffen der „Operation Gomorrha“, nur die Außenaufnahmen für die Barkassenfahrt und die Sagebiel-Szene gedreht. Dabei gelang Kameramann Werner Krien das Kunststück, Bilder der im Feuersturm zerstörten Straßenzüge und der Tarnnetze über den Hafenbecken auszublenden. Käutner achtete auch darauf, keine Hakenkreuze zu zeigen – alle Schiffe, die zu sehen sind, haben die Hamburger Flagge gesetzt. Nur in der Szene im Garten von Sagebiels Fährhaus entdeckte Zeitzeuge Rehder später im Kino noch Sperrballons über der Elbe.

Während der Hamburger Drehtage soll Hauptdarsteller Albers bei nächtlichem Alarm in den Kellergewölben des Hotels Atlantic Zuflucht gefunden haben, wo sich zufällig auch die Weinkeller befanden. Das hat ihn vielleicht getröstet. Tröstlich war sicher auch, dass er mit Max Winkler, dem „Reichsbeauftragten für das deutsche Filmwesen“, eine Monatsgage von 40.000 Reichsmark aushandeln konnte. Sodass er zuletzt für „Große Freiheit Nr. 7“ astronomische 460.000 Reichsmark kassierte.

Goebbels mochte Albers („Ein lieber Junge! Kess und anständig“), der kein Nazi-Freund war und seine jüdische Ehefrau Hansi Burg rechtzeitig nach England gebracht hatte. Aber als er von Albers’ Honorar erfuhr, soll Goebbels geschäumt haben. Am 15. August 1944 war der Film fertig produziert und wurde der Reichsfilmintendanz zur Prüfung vorgelegt. Man warf dort jetzt ein genaueres Auge darauf, ob Filme zum Siegeswillen beitrugen oder womöglich den Defätismus begünstigten. So auch bei „Große Freiheit Nr. 7“: Für die Inlandsfassung wurden Änderungen gefordert. Eine Exportfreigabe erteilte Goebbels hingegen sofort. Nach der Uraufführung am 15. Dezember 1944 vor ausgewähltem Publikum in Prag wurde der Film in Schweden, Dänemark und der Schweiz gezeigt, um schon mal einen Teil der Produktionskosten hereinzuspielen.

Um die Inlandsfassung folgte ein langes Gezerre. Einspruch kam vom Hamburger Gauleiter Karl Kaufmann, etwa zeitgleich soll auch Großadmiral Karl Dönitz protestiert haben: „Ein in höchstem Maße wehrkraftzersetzendes Machwerk mit dauernd besoffenen Seeleuten.“ Sie sahen das Ansehen der traditionsreichen Seefahrt und der Kriegsmarine in den Schmutz gezogen. Aus der Sicht vieler Hamburger, vor allem der Seeleute, machten sich die beiden damit höchstens als „Reichs-Seegurken“ verdient.

Sicher, da versucht zum Beispiel Gustav Knuth als Matrose „Fiete“, im Hippodrom hackebreit zehn Runden lang, im Sattel zu bleiben, und nicht weniger hackebreite Mädchen machen es ihm nach, wobei natürlich jeder Zuschauer auf die wippenden Oberweiten guckte. Aber konnte man einem Film über St. Pauli St. Pauli vorwerfen? „Der Film war gefördert worden, weil er gewissermaßen eine heile Welt zeigte – das Vergnügen im Hippodrom, schöne Segelschiffe, ,unsere Heimat ist die Welt‘ und so weiter. Albers konnte diese Romantik sehr gut rüberbringen“, sagt der Zeitzeuge Rehder. „Aber eine heile Welt gab’s ja nicht mehr. In der Wirklichkeit gab’s nur noch Dünnbier.“

Gestritten wurde auch um den Ort der Uraufführung. Hans Albers war für Königsberg, der dortige Gauleiter Albert Forster für Danzig. Nur die Reichsfilmintendanz plädierte in seltener Hellsichtigkeit dafür, den Film unbedingt in Hamburg zu starten; „wenn … kein luxuriöser Filmpalast mehr vorhanden ist, wird er in fünf oder zehn Nottheatern anlaufen, um der so hart betroffenen Hamburger Bevölkerung ihren Film zuerst zu zeigen“.

Goebbels stimmte nicht zu. Er fand den Film trotz der wunderbaren Songs wie „La Paloma“ oder „Beim ersten Mal, da tut’s noch weh“ insgesamt so düster und weder als Durchhalteparole noch zur Ablenkung tauglich, dass er auch die geänderte Fassung nicht freigab. Deshalb durften die Deutschen den Film erst nach Kriegsende sehen, als die Alliierten die Kinos wieder öffneten, zuerst am 6. September 1945 in Berlin in der „Filmbühne Wien“ am Kurfürstendamm. Zwar regten sich die beiden Kirchen lautstark auf über das unmoralische Treiben, „die Hingabe vor der Ehe“ und die Untreue auf dem Kiez. Filmkritiker waren hingegen begeistert: Hans Albers sei „in der besten Form seines Lebens“ und schaffe „eine Volksfigur aus einem Guss“, schrieb „Der Morgen“.

Auch in Hamburg gab es lobende Kritiken. „Knalliges und Sentimentales sind im Sinne der Paloma-Melodie wirkungsvoll gemischt“, schrieb die „Neue Hamburger Presse“, ein Wochenblatt der Militärregierung (Lizenzen für Tageszeitungen wurden erst 1947 vergeben). Das „Nachrichtenblatt“, ebenfalls ein Erzeugnis der britischen Heeresgruppenpresse, machte sich Gedanken über das So-Sein von Männern und Frauen: Der Film zeige „nur Ausschnitte St. Paulis ... Männer der See und des Hafens müssen nicht so sein (man kann ruhig darüber reden), auch die Frauen nicht“. Aber wer las damals schon Kritiken?

Für Alfred Kupczik, damals 15 Jahre alt, war es der erste Farbfilm seines Lebens. „Man musste Holz mitbringen, damit es im Kino schön warm war“, sagt er. „Woran ich mich besonders erinnere: In einer Hippodrom-Szene lagen Schokoladen-Tafeln auf dem Tresen. Da kriegte ich einen unheimlichen Hunger auf Schokolade. Wir hatten jahrelang keine mehr gegessen.“ Die Briten hatten das Waterloo-Kino kurz nach der Einnahme Hamburgs im konfisziert. Sie waren froh, bei der Bevölkerung mit einem bisher verbotenen Unterhaltungsfilm voller Lokalkolorit punkten zu können. Zumal sich am 19. Oktober 1945 auch die Ufa-Stars Ilse Werner, Gustav Knuth und Hans Söhnker zur Premiere einfanden.

Knuth hielt eine Ansprache, die in dem mutmachenden Motto gipfelte: „Jungs, holt fast!“ („Jungs, haltet durch“!)

Das verstanden die Hamburger.