Harvestehude. Monika Fuchs kocht in ihrer Harvestehuder Wohnung für fremde Gäste und spendet den Erlös einer Kinderhilfsorganisation.

„Kinder, ihr seid so mutig!“ Monika Fuchs verlässt ihre Küche kurz, um ihre Gäste zu begrüßen und ihnen mit diesen Worten die Scheu zu nehmen, eine Umarmung an der Wohnungstür, dann verschwindet sie wieder an den Herd. Die Menschen, die an diesem Freitagabend in der Altbauwohnung an der Isestraße erscheinen, kennen sich meist nicht. Nicht einmal die Gastgeberin weiß, wer zu ihr kommt. Am Ende des Abends aber, sagt sie, liegen sie sich alle immer in den Armen – zwischen Menschen, die sich noch vor einigen Stunden fremd waren, spielen sich Verbrüderungsszenen ab. In ihr Restaurant im Wohnzimmer lädt die 77-Jährige seit April regelmäßig unbekannte Menschen zum Essen ein.

Früher war Monika Fuchs fürs Catering bei Reinhold Beckmann zuständig

Claudia kommt aus Dassendorf im Sachsenwald, Antje und Martin sind aus Schnelsen, Sanni aus Eppendorf hat ihre Mutter Erna aus Bremen mitgebracht, und Georg ist Monikas Nachbar aus dem ersten Stock und ist mit Kumpel Reiner gekommen. Man duzt sich. Titel, Alter, Beruf sollen keine Rolle spielen. Drei Männer und acht Frauen stehen mit Namensschildern an ihren Pullovern, Hemden und Blusen sowie Campari-Orange in den Händen zunächst noch ein wenig verlegen herum und sind gespannt auf das, was sie an diesem Abend erwartet.

Es wird fünf Gänge an der langen Tafel im Wohnzimmer geben, unter anderem mit Scampi in Knoblauchbutter, Bœuf bourguignon mit Penne, Zitronencreme mit Fruchtsoßen und eine Käseplatte. Aber das gute Essen steht bei den Gästen nicht im Vordergrund. „Man trifft auf einen neuen Kreis an Menschen. Das Essen ist fast Neben­sache“, sagt Andrea, 50, aus Eppendorf. Die Kommunikationsberaterin ist allein gekommen, ohne ihren Partner. „Das mache ich ganz bewusst.“

Monika Fuchs in der Küche, in der sie fünf Gänge für ihre Gäste zubereitet
Monika Fuchs in der Küche, in der sie fünf Gänge für ihre Gäste zubereitet © Roland Magunia | Roland Magunia

Es ist diese Offenheit, die alle gemeinsam haben, und das Interesse an neuen Bekanntschaften. Sanni, 43, ist schon zum zweiten Mal dabei. Sicher, am Anfang stehen alle verlegen herum. „Mit dem Essen aber wird es entspannter. Man kann sich gut über Eck unterhalten, und es ist toll, wie sich das Leben der anderen in den Gesprächen entfaltet.“ Da wird von dem gerade erworbenen Ferienhaus im italienischen Piemont erzählt, ob das Leben mit Kindern in der Großstadt oder auf dem Land besser ist oder darüber, wie man sich beim Gassigehen mit den Hunden kennen- und lieben gelernt hat, und natürlich auch, was der andere beruflich macht.

„Aber das hat nichts mit Angeberei zu tun, sondern entsteht auch in einer Gesprächspause.“ Sanni hat es besonders Gastgeberin Monika angetan: „Statt sich zur Ruhe zu setzen, bewirtet sie fremde Personen. Und das alles extrem herzlich.“ In ihrem Alter könnte es die Mutter von vier erwachsenen Kindern und neun Enkelkindern ruhiger angehen lassen, nachdem sie 16 Jahre lang für das Catering bei Reinhold Beckmann, seinem Team und Gästen der ARD-Talkshow wie Elton John, Angela Merkel oder Senta Berger zuständig war. Bis zum Aus im September. Das Ende war auch für Monika ein Schock.

„Ich fühlte mich arbeitslos, starrte auf die kalten Töpfe und hatte Angst, bald mit dem Kühlschrank zu sprechen“, sagt sie. Sie probierte ehrenamtliche Arbeit im Hospiz aus, half beim Mitternachtsbus für Obdachlose und bei der Hamburger Tafel mit Annemarie Dose. „Die sagte zu mir, ich solle noch einmal richtig arbeiten gehen, bis ich alt bin“, sagt Monika mit ihrer rauen Stimme und dem trockenen Humor.

Zweieinhalb Tage Vorbereitungszeit braucht die Gastgeberin für den Abend

Sie ist ganz unprätentiös und trägt gern karierte Blusen, weiße Hosen und Leinenturnschuhe. „Das ist mein Markenzeichen, und ich hasse Schürzen.“ Von drei Wünschen, die sie hat, nämlich ein Buch zu schreiben, am Nordpol in der Kälte für die Forscher zu kochen und ein Restaurant im Wohnzimmer zu haben, hat sich der letztere erfüllt. Allein würde sie das nicht schaffen, also hilft ihre frühere Kollegin Manuela „Manu“ Sonneck. Und während Manu die Gäste nebenan bewirtet, steht Monika in ihrer Küche und hört laut einen Klassiksender. Sie macht das Ganze nicht kommerziell. Der Erlös – der Abend kostet inklusive Essen und Getränken 50 Euro – geht an das Projekt Waldpiraten in Heidelberg, einem Verein, der sich um die Geschwister krebskranker Kinder kümmert.

Zeit, sich mit ihren Gästen ausgiebig zu unterhalten, hat sie nicht. „Die wollen, dass ich zu ihnen komme, aber dazu bin ich zu sehr im Stress. Zweieinhalb Tage braucht sie zum Vorbereiten. Frühestens nach dem Dessert kann sie sich kurz zu ihnen setzen. Claudia aus Dassendorf ist es, die einfach in die Küche kommt und erzählt, wie sehr sie diesen Abend genießt. Angst, dass nach einem solchen Abend etwas fehlt, hat Monika Fuchs keine. Um 23 Uhr ist Schluss. Aus Fremden sind für einen Abend Freunde geworden.