Hamburg. Anett Arnold wurde mit dem Titel Handwerkerin des Jahres ausgezeichnet. Erst vor zwei Jahren machte sie sich selbstständig.
Anett Arnolds Ladengeschäft und Werkstatt an der Alstertwiete in St. Georg liegen ein bisschen versteckt. Ein Nachteil ist das nicht. Laufkundschaft hat sie ohnehin eher selten, und wer zu ihr will, der findet sie auch. Was die 51-Jährige in ihrer Werkstatt tut, ist auch nicht auf den ersten Blick zu erkennen. Auf den großen Arbeitstischen liegen alte und oft etwas zerfledderte Bücher, in Regalen stapelt sich Papier, mitten im Raum stehen eine Schneidemaschine und mehrere Pressen. Der Schriftzug auf dem Schaufenster gibt Auskunft: Buchbinderei Hartmann.
Anett Arnold hat den Betrieb erst vor zwei Jahren übernommen. Trotzdem hat sie Kunden aus ganz Deutschland, aus Belgien, Holland und Frankreich. „Sogar aus Paris, obwohl es dort nun wirklich viele sehr gute Buchbindereien gibt“, sagt sie.
Die Handwerkskammer und die Hamburger Sparkasse (Haspa) haben die Quereinsteigerin jetzt zur Hamburger „Handwerkerin des Jahres“ gekürt. Anett Arnold zeige, „wie man Handwerksbetriebe übernimmt und erfolgreich weiterführt“, sagte Haspa-Vorstandssprecher Harald Vogelsang in der Laudatio. „Die Kombination von handwerklichem Können und unternehmerischem Mut ist weiterhin ein goldener Boden.“
Anett Arnolds Weg zum Handwerk und in die Selbstständigkeit verlief auf Umwegen: Die Mecklenburgerin studierte Landschaftsarchitektur und arbeitete auch viele Jahre in diesem Beruf. „Er hat großen Spaß gemacht und manchmal vermisse ich das heute noch.“ Doch als ihr Sohn vor knapp zehn Jahren zum Studium nach Berlin ging, war das für Anett Arnold ein guter Zeitpunkt, bei ihrem Arbeitgeber in Rostock zu kündigen und beruflich ein zweites Mal zu beginnen. „Ich hatte das Glück, eine Firma zu finden, die einen 42 Jahre alten Lehrling nimmt.“
Sowohl die Buchbinderei Anke Metz in Hummelsbüttel als auch die Auszubildende mit abgeschlossenem Studium wussten, worauf sie sich einlassen. Schon viele Jahre lang hatte
Anett Arnold das Handwerk als Hobby betrieben und Kurse belegt – unter anderem bei Metz in Hummelsbüttel. „Eine sehr klassische und eine Restaurierwerkstatt.“ Genau das ist es, was sie an der Buchbinderei besonders interessiert. Die Lehre zog sie in eineinhalb statt in den üblichen drei Jahren durch, wechselte dann als Gesellin in die Firma der Hamburger Innungs-Obermeisterin Karen Begemann und übernahm zum 1. September 2013 die Buchbinderei Ingeborg Hartmann. Ein gutes Dutzend dieser Handwerksbetriebe existieren noch in Hamburg.
„Einen festen Kundenstamm zu haben, hat mir in der Anfangszeit Sicherheit gegeben, mittlerweile habe ich aber sehr viele neue Kunden gewonnen“, sagt Anett Arnold. Sie freue sich über jeden Studenten, der seine Bachelorarbeit von ihr binden lasse, auch, wenn sie mehr auf das „gehobene Segment“ und teurere Arbeiten spezialisiert ist.
Oft sind es private Sammler, die mit einem Buch zu ihr kommen. „Machen Sie was Schönes draus“, lautet dann der Auftrag. „An Büchern interessiert mich zuallererst der Inhalt. Um die äußere Hülle zu gestalten, muss ich ihn kennen. Die Art des Einbandes und speziell das Papier werden danach ausgewählt.“ Das kann dann auch mal eine Tapete sein. Einem Gedichtband des amerikanischen Lyrikers Walt Whitman gab sie einen Einband aus Steinfurnier. Es ist eines der privaten Projekte, die Anett Arnold auf Messen zeigt und in denen das Handwerk zur Kunst wird.
Handwerkskunst sind die Restaurierungen alter Unikatbände, die einen Großteil des Betriebsumsatzes ausmachen. Gerade hat die Buchbinderin einen alten Atlas der weltweiten Seefahrtsrouten in Arbeit. „Er war über und über mit Paketklebeband beklebt. Das musste ich erstmal vorsichtig lösen.“ Dann geht es darum, so viel wie möglich der alten Substanz zu erhalten. Anett Arnold kennt die alten Bindetechniken, sie weiß, wo man nach Materialien suchen muss, die heute gar nicht mehr hergestellt werden, und sie kennt die Papiermacher, die mit den alten Techniken und nach historischem Vorbild Papier schöpfen können. Zu einem solchen Auftrag gehört viel aufwendige Handarbeit, deshalb kostet er den Kunden sehr schnell mehrere Hundert Euro. „Und wenn es nicht ganz eilig ist, kann es auch mal ein halbes Jahr dauern.“
Denn Anett Arnold arbeitet allein, und den Betrieb zu erweitern, Personal einzustellen, ist für sie derzeit keine Option. Und eine deutliche Umsatzsteigerung auf mehr als 100.000 Euro pro Jahr ist nicht das vorrangige Ziel. „Ich bin sicherlich Perfektionistin und sitze lieber drei Stunden länger an einem Auftrag, als ihn schnell, schnell wegzuarbeiten.“ Das Geschäft habe hohe Fixkosten, ihre privaten Projekte drückten den Betriebsumsatz, aufgeben wolle sie diese deshalb aber nicht. „Es bleibt nicht viel übrig“, sagt die Buchbinderin, „aber das wusste ich schon vorher.“