Opposition attackiert: "Flüchtlingskrise überfordert Scholz"
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Hamburg. Die CDU wirft dem Bürgermeister vor, abzutauchen. Der Senat habe den seit Jahren absehbaren Zulauf von Flüchtlingen verschlafen.
Die CDU hat dem rot-grünen Senat schwere handwerkliche und politische Fehler beim Umgang mit dem Flüchtlingszustrom vorgeworfen und eigene Vorschläge zur Bewältigung der Krise vorgelegt. „Mit dem Beschlagnahmegesetz hat der Unmut in der CDU über das Verhalten von Olaf Scholz seinen Höhepunkt erreicht“, sagte der CDU-Fraktionsvorsitzende André Trepoll dem Abendblatt.
„Es ist völlig inakzeptabel, dass Scholz bei der größten Herausforderung, die Hamburg in den letzten Jahrzehnten zu bewältigen hat, kein einziges Mal Stellung im Parlament bezogen hat. Bei dem Thema, das die Menschen am stärksten bewegt, taucht er seit Monaten als Regierungschef völlig ab, wenn man mal von ein paar warmen Worten auf dem SPD-Parteitag absieht.“
Der Bürgermeister habe keine Regierungserklärung abgegeben und sich zu den „immensen Mehrkosten für die Flüchtlingshilfe“ oder zum Plan, Privatgebäude zu beschlagnahmen, nicht „mit einer einzigen Silbe erklärt“, so Trepoll. „Er erweckt den Eindruck, als habe er mit den Problemen nichts zu tun.“ Nachdem Scholz in seiner ersten Amtszeit als Bürgermeister mit guter Konjunktur, steigenden Steuereinnahmen und sinkender Arbeitslosigkeit politisch kaum etwas auszuhalten gehabt habe, zeige er sich „in der ersten ernsthaften Krise, die er zu managen habe“, überfordert. „Seinem Image als vermeintlicher Macher wird er nicht gerecht“, so Trepoll.
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So habe Scholz nicht rechtzeitig auf die Entwicklung reagiert. Auch habe er Kirchen und Wohlfahrtsorganisationen nicht in die Planung eingebunden, obwohl diese über viel Erfahrung verfügten. „Die städtischen Institutionen sind in dieser Ausnahmesituation nicht in der Lage, die Aufgaben alleine zu stemmen“, so Trepoll. „Dies werfen wir dem Senat im Übrigen auch nicht vor. Aber diese Herausforderung können nur Staat und Zivilgesellschaft gemeinsam bewältigen. Dies wurde viel zu spät erkannt.“ Auch seien Flächenvorschläge aus den Bezirken monatelang ungeprüft geblieben und, wenn sie sich nicht für die Erstaufnahme eigneten, auch nicht an die Sozialbehörde für die Folgeunterbringung weitergegeben worden.
Scholz habe es versäumt, rechtzeitig das Personal aufzustocken
„Ein Grundproblem ist, dass Olaf Scholz lange nicht bereit war, trotz großen Bedarfs an zusätzlichem Personal von seiner Doktrin struktureller Personaleinsparungen abzurücken. Das Ergebnis ist, dass die Ausländerbehörde kaum noch arbeitsfähig und in der Lage ist, die Ausländerverfahren und aufenthaltsbeendende Maßnahmen wie die Rückführung von Menschen ohne Bleiberecht durchzuführen.“ So habe es lediglich 38 Abschiebungen und 69 überwachte Ausreisen im vergangenen Monat gegeben – „bei fast 8000 ausreisepflichtigen Personen“. Hamburg müsse aber „endlich konsequent abschieben“, so der CDU-Fraktionschef. „Auch die Verfahrensdauer in Ausländer- und Asylverfahren vor dem Verwaltungsgericht steigt stetig und zugleich wächst die Zahl unerledigter Fälle rasant. Dennoch blieben Richterstellen lange unbesetzt. „Fördern & Wohnen“ hat inzwischen überhaupt keine Kapazitäten mehr, um einen angemessenen Betrieb der Flüchtlingsunterkünfte gewährleisten zu können, weil versäumt wurde, rechtzeitig genügend Personal einzustellen.“
Die CDU halte für Flüchtlinge mit Bleibeperspektive eine schnelle Eingliederung in Bildung und Arbeitsmarkt für notwendig. „Für uns ist es aber ebenso wichtig, konsequent zwischen denjenigen Flüchtlingen, die unserer Hilfe unbedingt bedürfen, und denjenigen, die keine Bleibeperspektive haben, zu unterscheiden.“
Besonders scharf kritisierte Trepoll die aus seiner Sicht unklaren Verantwortungsbereiche im Senat. „Unfassbar ist das Zuständigkeitswirrwarr zwischen Innen- und Sozialbehörde bei der Prüfung geeigneter Unterbringungsflächen“, so der CDU-Politiker. „Hier hat Scholz nichts unternommen, obwohl der Missstand lange bekannt ist und weiter besteht. Das Vorgehen der zuständigen Behörden ist systematisch chaotisch.“ Selbst in Zeiten deutlich geringerer Flüchtlingszahlen seien wie in Jenfeld über Nacht Zelte für 800 Flüchtlinge aufgebaut worden, ohne die Bürger vor Ort vorab zu informieren. „Unglaublich waren auch die Zustände in den Zentralen Erstaufnahmen Bergedorf und Am Aschenland.“
Die CDU halte die „ungeklärte Kompetenzfrage zwischen den Behörden für ausgesprochen misslich“ und wünsche sich „eine klare Verantwortlichkeit und eine bessere personelle Ausstattung“. Auch sei die Partei der Auffassung, „dass es falsch ist, bei der Flüchtlingsunterbringung nur noch auf Massenunterkünfte bevorzugt in ohnehin sozial belasteten Stadtteilen zu setzen“, sagte Trepoll. „Zudem kritisieren wir die unzureichende Informationspolitik und die schlechte Gesundheitsversorgung in den Massenunterkünften. Der Bürgermeister muss endlich von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch machen, das Kompetenzwirrwarr der Behörden beenden und die Flüchtlingsbetreuung zur Chefsache machen.“ Die CDU fordere „eine Zuständigkeit für Erst- und Folgeunterbringung und einen Krisenstab mit weitreichender Entscheidungskompetenz, der in der Senatskanzlei angesiedelt ist“. Es gehe „um das Wohl der Stadt in einer ernsten Krisensituation“.
Als „schlichtweg abenteuerlich und inakzeptabel“ bezeichnete Trepoll das „Hau-Ruck-Verfahren“, in dem das Gesetz zu Sicherstellung privaten Eigentums beschlossen worden sei. „Ganze fünf Tage Beratungszeit wurden der Opposition eingeräumt. So schnell wurde in den letzten zehn Jahren kein einziges Gesetz verabschiedet. So geht es nicht mehr weiter. Als CDU ist uns insbesondere daran gelegen, dass die Regierungskoalition die überwältigende Hilfsbereitschaft der Hamburger nicht durch solche übereilten und unausgegorenen Maßnahmen aufs Spiel setzt.“ Dass man mit einer Einschränkung des Eigentumsrechts sehr sorgsam umgehen müsse, zeigten auch die Bedenken von Ex-Verfassungsgerichts-Präsident Hans-Jürgen Papier. Dieser halte „die Voraussetzung einer Gefahrenlage momentan für nicht gegeben“, so Trepoll. „Bevor man zu dieser Ultima Ratio greift, ist eine Regierung dazu verpflichtet, Auskunft zu geben, wieso ein solcher Schritt alternativlos ist.“
Die CDU fordert die rasche Vorlage eines Integrationsplans
Bei allen Schwierigkeiten trete „Bundeskanzlerin Merkel deutlich couragierter und verantwortungsvoller auf“ als Scholz, sagte Trepoll. „Sie stellt sich Parlament und Öffentlichkeit, auch wenn es kräftig Gegenwind gibt.“ Auch beim Umgang mit der Opposition könne sich Scholz „eine Scheibe von der Bundeskanzlerin abschneiden“, so Trepoll. „Sie hat es geschafft, beim Asylkompromiss alle an einen Tisch zu holen und wichtige Maßnahmen im Konsens zu erreichen.“ Scholz dagegen habe bei der Einbringung „seines Beschlagnahmegesetzes vorab kein einziges Mal das direkte Gespräch mit der Opposition gesucht, um gemeinsame Lösungen zu finden“.
Der Senat müsse nun „zeitnah einen konkreten Plan vorlegen, wie die Integration der vielen nach Hamburg geflohenen Menschen gelingen kann“, so der CDU-Fraktionschef. „Dabei geht es um Sprache, Kindertagesbetreuung, berufliche Qualifizierung und die Frage, wie die Akzeptanz unserer Grundwerte sichergestellt werden kann.“ Wenn man zu lange warte, würden „die Versäumnisse für unsere gesellschaftliche Entwicklung und unser Zusammenleben verheerend sein“, so Trepoll. „In der jetzigen Situation erweisen sich der Hang zu Alleingängen des Bürgermeisters und sein teilweise absolutistischer Regierungsstil als schwere Bürde für Hamburg. Dennoch wollen wir ihm die offene Hand ausstrecken und stehen für Gespräche jederzeit bereit.“
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