Sexuelle Gewalt in Hamburger Flüchtlingsunterkünften
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Hamburg. Mindestens elf weibliche Flüchtlinge wurden in Frauenhäuser verlegt. Hohe Dunkelziffer. Zum Schutz gehen Frauen Beziehungen ein.
Die Affäre war der letztes Ausweg der jungen Frau aus Syrien. Seit Wochen musste sie in der Flüchtlingsunterkunft Schnackenburgallee gierige Blicke, Pfiffe, Sprüche von männlichen Bewohnern ertragen. Schließlich suchte die Frau sich einen Albaner und ließ sich mit ihm ein. Reden können sie nicht miteinander, sie kennen kaum ein Wort in der Sprache des Anderen. Aber er schützt sie vor den Augen und Händen auf dem Hof.
Erzählungen wie diese häufen sich im Umfeld von Hamburger Flüchtlingsunterkünften. „Es gibt Berichte von Frauen, die gezwungenermaßen sexuelle Beziehungen mit Männern nur deshalb eingehen, um vor Übergriffen anderer Männer in den Unterkünften geschützt zu sein“, sagt Tülin Akkoc, Harburger Bezirksabgeordnete der Grünen, bewusst vorsichtig.
Akkoc weiß, das Thema „Gewalt gegen Frauen“ in Flüchtlingsunterkünften ist sensibel. Kaum eine Betroffene habe den Mut, Anzeige zu erstatten. Dennoch wurden von Januar bis September neun Vorfälle von sexueller Gewalt in Hamburger Unterkünften bei der städtischen Gesellschaft „Fördern & Wohnen“ aktenkundig, wie eine Kleine Anfrage der FDP-Bürgerschaftsabgeordneten Jennyfer Dutschke an den Hamburger Senat ergab.
Im ersten Halbjahr 2015 mussten demnach elf weibliche Flüchtlingein Frauenhäuser verlegt werden. Zehn weitere wurden nach Gewalttaten in den Unterkünften von Beratungsstellen betreut. Die Dunkelziffer dürfte deutlich höher liegen, sagen auch Mitarbeiter von „Fördern & Wohnen“. „Es liegt im Wesen dieser schrecklichen Vorfälle, dass sie schwer zu entdecken sind.“ Charlotte Nendza, Projektleiterin bei der Türkischen Gemeinde Hamburg, ist oft in der Einrichtung an der Schnackenburgallee unterwegs und bestätigt, dass die Übergriffe – vor allem auf alleinreisende Frauen – in den vergangenen Wochen zugenommen haben. Dabei gehe es um anzügliche Bemerkungen, unsittliche Berührungen oder die fehlenden Intimsphäre in den Zelten. „Was soll eine Frau machen, die ihr Kind stillen will und 30 Männer starren sie dabei an?“, sagt Nendza.
Betroffene Frauen neigen oft dazu, sich den andauernden Sprüchen lieber durch Isolation zu entziehen, als sich zu beschweren. „Ich bleibe einfach im Container, oft den ganzen Tag“, sagt Barauszka, 19, eine Serbin aus der Erstaufnahme am Schwarzenbergplatz in Harburg. Sie ist mit ihrem Freund nach Deutschland gekommen, zunächst beschützte er sie gegen aufdringliche Mitbewohner. „Aber die anderen Männer wurden mit jedem Tag aggressiver, auf dem Hof ist es schlimm“, sagt Barauszka.
Der Betreiber „Fördern & Wohnen“ schult seine Mitarbeiter vor Ort seit Langem entsprechend, um die Gefahr von Übergriffen zu reduzieren. „Grundsätzlich werden alleinstehende Frauen und Männer nicht unter einem Dach einquartiert“, sagt Sprecherin Susanne Schwendtke. Nur vereinzelt und sehr kurzfristig sei es in der Vergangenheit zu Mischbelegungen gekommen. „Wir halten zudem genügend weibliches Sicherheitspersonal vor, das ein besonderes Auge auf diese Thematik hat“, sagte Schwendtke.
In den Folgeeinrichtungen sind meist Flure oder ganze Gebäude nur mit Frauen belegt. Oft gibt es reservierte Bereiche, in denen Muslima ihr Kopftuch ablegen dürfen. Dagegen existieren in Erstaufnahmen keine speziellen Schutzräume, wie eine Antwort des Senates auf eine Kleine Anfrage der Linken ergab. Diese sind in Erstaufnahmen demnach auch nicht geplant.
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Die Linke kritisiert den fehlenden Schutz der Frauen. „Frauenschutzräume sind dringend notwendig, vor allem für alleinstehende geflüchtete Frauen“, sagte Linken-Fraktionschefin Cansu Özdemir dem Abendblatt. „Vor dem Hintergrund der sexualisierten Gewalt im Krieg und während der Flucht ist eine sensible Betreuung und separate Unterbringung enorm wichtig.“
Nendza und Akkoc fordern Einrichtungen ausschließlich für weibliche Flüchtlinge und ihre Kinder. „Frauen sollen nicht nur eigene Räume, sondern auch getrennte Sanitäreinrichtungen und Küchenbereiche haben, damit sie sicher sind“, sagt Akkoc. Nendza schlägt Einrichtungen vor, die Frauenhäuser zum Vorbild haben.
Die Harburger Grünen sind in der Bezirksversammlung vor einigen Tagen mit einem Antrag, getrennte Unterkünfte einzurichten, am Widerstand von SPD und CDU gescheitert. Die große Koalition in Harburg sei der Meinung, man müsse zunächst den Bedarf ermitteln und Fachleute anhören, kritisierte Gudrun Schittek, frauenpolitische Sprecherin der Grünen. „Dabei besteht dringender Handlungsbedarf.“
Die Politikerinnen ärgert die Ablehnung von SPD und CDU vor allem deshalb, weil eine getrennte Unterbringung keine Mehrkosten verursachen würde. „Man müsste nur die Flüchtlingsunterkünfte anders belegen“, sagt Nendza. Nach Angaben von „Fördern & Wohnen“ waren Ende August etwa ein Fünftel der Flüchtlinge in den Erstaufnahme-Unterkünften Frauen.
Wie der Senat in der Antwort auf die Anfrage der Linken schreibt, ist die Gewaltprävention vor Ort der Polizei und den Sozialarbeitern von „Fördern & Wohnen“ überlassen. Prospekte mit Ansprechpartnern seien in mehreren Sprachen verfügbar – allerdings oft nicht auf Arabisch, der Sprache eines Großteils der Flüchtlinge. Material mit weiteren Übersetzungen soll nun „verstärkt erarbeitet“ werden.
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