Hamburg. Kindergärtnerinnen bekommen mehr Geld. Das Abendblatt hat eine von ihnen bei der Arbeit begleitet.

Mats und Sarah, beide 4 Jahre alt, spielen mit „Sumi“ Friseur und klemmen der 52-Jährigen Spangen in die langen, welligen Haare. Sarah kuschelt sich dabei auf den Schoß ihrer Erzieherin. Wenn Mütter und Väter auf dem Weg zur Arbeit ihre Töchter und Söhne in die Kita bringen, sitzt Martina Sumesgutner – „Sumi“, wie sie von Eltern und Kindern genannt wird – im Raum der Igelgruppe auf ihrem roten Drehstuhl am Tisch unterhalb des Fensters und erwartet ihre „Igelkinder“. Fast immer kuschelt sich ein Kind gerade auf ihren Schoß. Wer ein großes Durcheinander erwartet, irrt. Heimelig ist es. Sie begrüßt jeden, der vielleicht noch etwas verschlafen in den Raum kommt, mit einem fröhlichen „Guten Morgen, Niek“ und „Guten Morgen, Sarah“, Peppa, Lilly, Pablo oder Bruno — alle bis zu 23 Kinder. Arbeitsbeginn von Frau Sumesgutner, Erzieherin in der Kita Wrangelstraße in Hoheluft-West.

Die rund 12.854 Pädagogen, die sich in den mehr als 1033 Kindertagesstätten um die kleinen Hamburger kümmern, sind für Eltern wichtige Menschen im Alltag. Nur wer seine Kinder gut und verlässlich betreut weiß, kann seinem Job nachgehen. Das wurde während des vierwöchigen Erzieherstreiks im Sommer deutlich. Am Mittwoch nun gab es in den Tarifgesprächen auf Bundesebene den Durchbruch. Das Abendblatt hat Martina Sumesgutner und ihre Kolleginnen begleitet, um zu erfahren: Wie sieht der Alltag einer Erzieherin aus? Wie stressig ist ihr Job? Wie ist es um die Anerkennung bestellt, die sie fordern?

Einmal trug Frau Sumesgutner noch nach Feierabend Hello-Kitty-Spangen in den Haaren und war mit ihnen in die U-Bahn nach Norderstedt gestiegen. Eben noch hatte sie Friseur gespielt, im nächsten Moment kam Pablo zu ihr und wollte aus dem Buch „Die Wilden Kerle“ vorgelesen bekommen. Flexibel muss die Erzieherin sein und sich jedem Kind widmen. Die Ablenkung ist groß. Immer ist da jemand, der etwas von ihr möchte.

Den Morgen, wenn die Kinder einzeln eintrudeln, mag die Erzieherin. „Alles ist so vertraut, und die Kinder sind so kuschelig.“ Ganz ruhig beginnt der Tag. Ab 9.30 Uhr sollten alle Kinder da sein, dann beginnen Angebote wie Musik, Tanzen, Lernwerkstatt. Die musikalische Früherziehung übernimmt eine Pädagogin von der Jugendmusikschule. Manche Kinder sind schon seit 6.15 Uhr da. Die letzten werden an diesem Tag um 18 Uhr aus der Kita abgeholt. Martina Sumesgutner ist von 8 bis 16 Uhr im Dienst. 31 Mitarbeiter kümmern sich im Elementar- und Krippenbereich um bis zu 185 Kinder.

Es ist ruhig bei den „Igeln“. Die meisten Kinder setzen sich an den Gruppentisch und malen, Mia, Sarah und Lilly verkrümeln sich in die Puppenecke unterhalb der Hochebene. Bruno, Niek und Kiya lassen Autos auf dem Teppich rollen. Nur Pablo ruft in regelmäßigen Abständen „Guck ma da!“ in den Raum, weil er etwas Spannendes im Wickie-Buch entdeckt hat. „Ich bin selbst ruhig und ausgeglichen“, sagt Frau Sumesgutner. Das übertrage sich auf die Kinder. Nebenbei hakt sie auf der Namensliste ab, welche Kinder da sind. Seit 32 Jahren macht sie diesen Job in der Kita Wrangelstraße.

Normalerweise betreut Martina Sumesgutner zusammen mit einer Kollegin die Kinder der Igelgruppe. Aber Erzieherin Marlies ist im Urlaub. Wenn Frau Sumesgutner zwischendurch auf die Toilette muss, holt sie eine Kollegin aus der Eisbärengruppe, damit die Kinder nicht unbeaufsichtigt sind.

Elterngespräche gehören ebenso zu ihrer Arbeit wie die Dokumentation. Frau Sumesgutner fotografiert die Kinder, heftet Mal- und Bastelarbeiten in einem Hefter ab. Jedes Kind hat solch ein Portfolio, das die Zeit in der Kita dokumentiert. Außerdem müssen Entwicklungsberichte geschrieben werden – das sind jeweils drei DIN-A-4-Seiten. Eine halbe Stunde braucht sie für jeden Bericht. „Ich mache mir nebenbei immer Notizen zu jedem Kind“, sagt die Erzieherin. Sonst könnte sie das kaum leisten. Hinzukommen Elternnachmittage sowie Elternabende, die organisiert werden müssen.

Vor 20 Jahren, sagt Frau Sumesgutner, hätten die Eltern ihre Kinder abgegeben und das war es, weiteres Interesse an der Kita und den Erziehern gab es häufig nicht. Das sei heute anders. Bei 180 Eltern, sagt Kita-Leiterin Birgit Makowski, gebe es 360 Meinungen und Wünsche. Auch die Ansprüche der Eltern hätten zugenommen. Manche wollten nicht, dass ihre Kinder sich in der Kita dreckig machen. Es gebe Kinder, die Englisch lernen, aber sich nicht allein die Schuhe zubinden.

Und immer stehen auch die Erzieher unter Beobachtung. Die Zusammenarbeit untereinander sei ein großes Thema, sagt Kitaleiterin Birgit Makowski. „Die Erzieher sollten sich möglichst selbst organisieren. Das lernt man aber auf keiner Schule und nicht in der Ausbildung.“

Bei den 18 Igelkindern ist es immer noch überraschend ruhig. Die Kinder spielen frei. Nur selten wird Martina Sumesgutner streng, weil die Jungs die Treppe von der Hochebene herunterhüpfen, oder weil sie Spielzeugautos hinunterwerfen. Alle kennen die Regeln, aber manchmal ist es schwer, sich auch daran zu halten. Dann sagt „Sumi“: „Jetzt bin ich mal wieder gemein und streng.“ Es wirkt. Meistens. „Innerlich muss ich manchmal schon grinsen. Wenn ein Kind stur ist, kann ich das auch sein.“ Dann muss ein Streit zwischen Mats und Marlene geschlichtet werden, weil sie ihn nicht mitspielen lassen wollte. Der kleine Szubair, 3, kommt zu ihr, weil er auf Toilette muss. Und Sarah sagt, sie muss mal groß. Die beiden verschwinden auf der Toilette im Raum gegenüber. Nachher springt die Erzieherin auf, weil sie Szubair vergessen hat. Als sie zur Toilette geht, sitzt Szubair brav auf dem Klo und wartet, dass ihm der Po abgewischt wird.

„Ihr großen Igelkinder“, ruft Martina Sumesgutner, „zeigt mal, wie toll ihr schon aufräumen könnt!“ Der Trick funktioniert. Nur nicht so sehr bei Ida und Pablo. Zeit für ein gemeinsames Spiel. Die Lütten hatten sich Schuhsalat gewünscht. Dabei verstecken alle ihre Schuhe unter einer Decke und jeder darf einen abwechselnd herausziehen und muss raten, wem der Schuh gehört. „Pablo guckt heimlich unter die Decke!“, Sarah ist empört.

Im Laufe des Vormittages steigt der Geräuschpegel. „Mats, ihr könnt spielen, aber nicht so kreischen. Du weißt doch, dann klingeln mir die Ohren.“ Der Lärm, sagt Frau Sumesgutner, sei das Anstrengendste. Umso mehr freut sie sich auf ihre halbe Stunde Pause am Tag, die sie beim Bäcker an der Ecke mit Kollegen verbringt.

Wenn Zeit ist, macht Martina Sumesgutner Sprachspiele, gerade auch mit denen, die Förderungsbedarf haben. Tägliches Vorlesen aus Büchern ist selbstverständlich. Nach der Zwischenmahlzeit um 11.30 Uhr geht es hinaus in den Garten. In solchen Momenten sieht man häufig Erzieherinnen auf den Bänken sitzen. Manchmal scheinen sie sich mehr zu sonnen als sich um die Kinder zu kümmern. Aber wenn die Kinder spielen, ist das nur eine kurze Gelegenheit zum Durchatmen. Niek möchte, dass der Schuppen mit den Spielgeräten aufgeschlossen wird. Szubair hat die falsche Jacke an. In der Eisbärengruppe ist an diesem Tag ein Kind in Ohnmacht gefallen und musste von der Mutter abgeholt werden.

Beim Mittagessen im Essenraum helfen die Kinder mit, schieben die Wagen mit den Schüsseln heran, decken den Tisch. Selbst zum Essen kommt Frau Sumesgutner nicht, sie geht von Tisch zu Tisch und hilft. „Die Zeiten haben sich geändert. Früher gab es weniger Allergien, heute hängt ein Zettel im Essraum mit den Nahrungsmittelunverträglichkeiten der Kinder.“ Nach dem Essen müssen sich alle ihre Zähne putzen. Um 14 Uhr werden die ersten abgeholt, die letzten Igelkinder um 16 Uhr. Zwischen Tür und Angel spricht Frau Sumesgutner mit den Eltern über den Tag. Die Arbeit mit den größeren Kita-Kindern sei ihr Ding, sagt die Erzieherin. „Die Kleinen in der Krippe sind niedlich, aber körperlich ist das sehr anstrengend. Dafür bewundere ich meine Kolleginnen.“

Das sind beispielsweise Yvonne „Yvi“ Struve, 48, und Korinna „Koko“ Leutzwo, 48, von den „Krabbelzwergen“. 15 Kinder zwischen knapp einem und drei Jahren betreuen sie. In diesem Raum wird gespielt, gegessen und werden die Windeln gewechselt. Was auffällt: Die Erzieherinnen sprechen nahezu ununterbrochen mit den Kindern. Zur Ruhe kommen sie nicht: Alva läuft die Nase, Helene steht an der Tür, weint und möchte raus, Vinzent hat die Windeln voll, Sophie reißt Postkarten von der Schranktür ab und Livi schubst Mattis weg, Remy klettert die Treppe zur Hochebene hoch. „Kinder in dem Alter sind kleine Egoisten. Jeder versucht, sein Recht zu fordern“, sagt Yvi. Sie sagt, sie sei Mama, Kuscheltier, Krankenschwester, Lehrerin und Psychologin in einem. „Es ist eine Wahnsinnsverantwortung, die wir bekommen. Wir sind immer präsent und auch häufig Seelsorger für die Eltern.“ Ihre Arbeit sei wohl Berufung, sagt sie. Denn körperlich sei es sehr anstrengend und psychisch auch: „Du bekommst acht Stunden lang Input von den Kindern und musst darauf reagieren.“ Sie fordert mehr Personal und kleinere Gruppen. Bei aller Anstrengung: „Du gibst viel und bekommst viel zurück, die Erfolge deiner Arbeit siehst du an den Kindern.“