Hamburg. Ulla und David Feist gehören zu den Hamburgern, die jemanden aufnehmen möchten. Initiative bewirbt private Unterbringung.
Da leben Flüchtlingein Massenunterkünften und Zelten – Pritsche an Pritsche mit Fremden, ohne Privatsphäre und Rückzugsmöglichkeit. Und unter dem Dach steht ein Zimmer leer – nicht groß, sieben Quadratmeter, aber behaglich, mit schrägen Wänden und einem kleinen Vorraum. „Das fühlt sich irgendwie falsch an“, sagen David und Ulla Feist. „Deshalb haben wir uns entschieden, einen Flüchtling bei uns aufzunehmen.“
So wie dem Paar aus Bergedorf geht es derzeit vielen Hamburgern. Sie würden Flüchtlingen gern ein Zimmer oder eine Wohnung zur Verfügung stellen. Die meisten verbinden damit auch den Wunsch nach persönlichem Kontakt. So ersparen sie ihren neuen Mitbewohnern nicht nur eine schwierige Wohnsituation, sondern verbessern auch ihre Chance auf Integration.
„Flüchtlinge werden nicht auf der grünen Wiese, sondern nur in der Mitte unserer Gesellschaft integriert. Dort lernen sie den Alltag und die Lebensweise ihrer Nachbarn viel besser kennen“, sagt auch der Eppendorfer Pädagoge Götz von Crone. Er hat mit Vertretern von Kirchengemeinden, Schulen, Stadtteilinstitutionen und Mitbürgen die Initiative „Flüchtlinge nach Eppendorf“ gegründet. Sie wollen sich dafür einsetzen, Zuwanderer privat in Eppendorf und Hoheluft-Ost unterzubringen – unter anderem könnten leerstehende Wohn- und Büroräume genutzt, größere Wohnungen geteilt und Dachböden ausgebaut werden. Nach dem Königsteiner Schlüssel müsste Eppendorf 197 und Hoheluft-Ost 85 Flüchtlinge aufnehmen, hat von Crone ausgerechnet. Ab der kommenden Woche will die Initiative in den Stadtteilen gezielt für das Vorhaben werben. „Das muss doch zu schaffen sein“, sagt von Crone.
Flüchtlinge: Impressionen aus Hamburg und Europa
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Laut Sozialbehörde nimmt das Interesse an einer privaten Aufnahme von Geflüchteten zu. „Immer mehr Hamburger lernen Flüchtlinge über ihr Engagement persönlich kennen, knüpfen Freundschaft und helfen ihnen bei der Integration“, so Sprecher Marcel Schweitzer. Die Unterbringung der Zuwanderer sei aber primär eine staatliche Aufgabe, die Hamburg nicht auf seine Bürger abwälzen wolle. „Wir unterstützen aber jeden, der freiwillig Flüchtlinge aufnehmen möchte, durch Information und Aufklärung, damit das möglichst reibungslos funktioniert.“ Wer Wohnraum zur Verfügung stellen möchte, kann sich an die Fachstellen für Wohnungsnotfälle in den Bezirksämtern wenden. „Wohnungsangebote sind sehr willkommen“, sagt Sorina Weiland, Sprecherin den Bezirks Hamburg-Mitte. „Doch sie müssen realisierbar sein.“ Oft hätten Anbieter „unrealistische Mietvorstellungen“ oder wollten ihren Wohnraum nur befristet vermieten. Von einer zeitlich begrenzten Unterbringung ohne Anschlussperspektive sei aber abzuraten, so Marcel Schweitzer. „Wer Flüchtlinge bei sich zu Hause aufnimmt, übernimmt im Grunde auch eine Verantwortung.“
Die Feists hatten sich zunächst an die private Initiative „Flüchtlinge Willkommen“ gewendet, die bislang bundesweit 95 Schutzsuchende in Wohngemeinschaften vermittelt hat. Die Anbieter registrieren sich auf der Internetseite, machen Angaben zu dem zur Verfügung stehenden Zimmer und können Wünsche hinsichtlich Herkunftsland oder Geschlecht des Flüchtlings äußern. Über einen Ansprechpartner vor Ort sucht die Initiative dann nach einem geeigneten Mitbewohner und stellt den Kontakt her. Können sich beide Seiten vorstellen, unter einem Dach zu leben, wird ein privater Mietvertrag geschlossen.
Wegen der großen Nachfrage gibt es momentan Wartezeiten. Die Initiative, die überwiegend von ehrenamtlichen Helfern getragen und durch Spenden finanziert wird, kommt mit ihrer Arbeit kaum hinterher. Auch die Feists haben wochenlang auf ein Feedback gewartet. „Dann kam eine Absage. Uns wurde gesagt, dass Zimmer erst ab acht Quadratmetern vermittelt werden“, sagt David Feist. Das habe ihn überrascht. „Es ist ein tolles Zimmer.“ Außerdem stünde dem Flüchtling auch das ganze Erdgeschoss und der Garten zur Verfügung. „Der Bewohner wäre ein gleichberechtigter Mitbenutzer“, so der Sportredakteur, „und hätte das Haus tagsüber für sich“.
Vor zwei Wochen haben die Feists ihr Gästezimmer der Sozialbehörde angeboten, per E-Mail an das eigens dafür eingerichtete Postfach angeboteoeffentlicheunterbringung@basfi.de. „Es ist uns ernst“, sagt Ulla Feist. „Wir möchten wirklich gern einem Flüchtling eine unzumutbare Wohnsituation ersparen.“ Um den Mietzuschuss gehe es ihnen nicht, der sei ohnehin gering. „Was die Stadt übernimmt, nehmen wir gern an. Viel wird das bei der Zimmergröße aber nicht sein.“ Wenn der Flüchtling seine Miete selbst zahlt oder diese durch Dritte übernommen wird, muss die Ausländerbehörde nur informiert werden. Lebt er noch in einer Gemeinschaftsunterkunft, muss sie seinem Auszug zustimmen.
Soll die Stadt die Miete übernehmen, muss der Flüchtling wohnberechtigt sein
Soll die Stadt die Mietkosten übernehmen, müssen die Flüchtlinge eine Wohnberechtigung haben. Dafür gibt es unterschiedliche Kriterien. So muss der Flüchtling bereits ein Bleiberecht haben und eine Sozialleistung beziehen, eine Duldung oder Aufenthaltsgestattung haben, seit mindestens sechs Monaten in einer Gemeinschaftsunterkunft leben und mindestens noch ein Jahr in Deutschland bleiben – oder aus einem Land kommen, das auf der Abschiebe-Stopp-Liste der Innenbehörde aufgeführt ist. Wohnberechtigt sind auch Familien, sobald ein Mitglied ein eigenes Einkommen hat, und Flüchtlinge, denen eine Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft aus gesundheitlichen Gründen nicht zumutbar ist, etwa Hochschwangere. Zudem darf die Miete nicht im Missverhältnis zur vermieteten Wohnfläche stehen, sondern sich innerhalb der „Grenzwerte für angemessenen Wohnraum“ bewegt. Für einen Single-Haushalt gilt beispielsweise eine Obergrenze von 50 Quadratmeter und eine Nettokaltmiete von 348,50 Euro, für einen Vier-Personen-Haushalt 90 Quadratmeter und 594,15 Euro.
Leicht gemacht haben sich die Feists ihre Entscheidung, einen Flüchtling aufzunehmen, nicht. „Da werden zwei unterschiedliche Kulturen und vermutlich auch Lebensweisen aufeinandertreffen“, sagt Ulla Feist. „Aber das kann auch eine Bereicherung sein.“ Da sie selbst zwei kleine Söhne haben, wäre ihnen ein alleinerziehendes Elternteil mit Kind willkommen. Den Gedanken, einen unbegleiteten minderjährigen Flüchtling aufzunehmen, haben sie wieder verworfen. „Da gilt eine besondere Fürsorgepflicht“, so die Reiseredakteurin. „Einen volljährigen Jugendlichen dagegen könnten wir uns gut vorstellen.“
Erste Bekanntschaft mit Flüchtlingen hat die Familie bereits gemacht, bei einem Welcome Dinner mit einer syrischen Familie.
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