Hamburg. Die Dokumentation gibt es seit 1868. Sie richtet sich an spätere Generationen, die etwas zur Geschichte von Hamburger Bauwerken erfahren möchten.
Vor 15 Jahren war von der HafenCity kaum etwas zu sehen, die Internationale Bauausstellung (IBA) in Wilhelmsburg lag in weiter Ferne, und auch das Thema Wohnungsbau hatte in Hamburg lange nicht den Stellenwert von heute. Seit 2000 aber hat die Stadt deutlich ihr Gesicht gewandelt. Die Einwohnerzahlen steigen wieder, Baulücken werden knapp, das Stadtbild ändert sich unaufhörlich, höher und enger – so wird gebaut. Und das sorgt auch für Streit: Bürgerbeteiligung, Runde Tische, Bürgerbegehren, das ist die Begleitmusik zur wachsenden Stadt. Kaum etwas dokumentiert diesen Boom besser als das neue Standardwerk „Hamburg und seine Bauten“, das nach vierjähriger Arbeit etlicher Autoren jetzt neu erschienen ist.
Seit 1868 schon wird dieser Wälzer, der eine Art Ausstellungskatalog des Hamburger Baugeschehens ist, von dem Architekten und Ingenieurverein (AIV) herausgegeben. Damals war der Wiederaufbau nach dem Großen Brand von 1842 das beherrschende Thema. Epochenweise dokumentieren die verschiedenen Bände die Neubauten, zuletzt jeweils über einen Zeitraum von 15 Jahren. Ausgewählt werden die Bauwerke durch Fachleute – Architekten oder Historiker – nach Relevanz für die Stadtentwicklung. Eine Art Hamburger Bau-Bibel, die in vielen öffentlichen Bibliotheken steht und sich zudem gezielt an spätere Generationen richtet, die etwas zur Geschichte von Hamburger Bauwerken erfahren möchten.
Wohnungsbau bedeutet auch Veränderung der Umgebung
Aber auch für die heutige Planer-Generation dürfte interessant sein, welche ihrer Bauten denn nun als relevant eingestuft werden – oder eben nicht. „So eine Dokumentation hat keine andere deutsche Stadt“, sagt Mathias Hein, AIV-Mitglied und federführender Mitautor des Projekts. Der Vergleich des neuen, 9. Bandes mit dem Vorgänger, der die Jahre 1985 bis 2000 erfasst, zeigt, wie rasant sich die Stadt zuletzt im Vergleich zu den Jahren davor gewandelt hat. Auf 720 Seiten sind jetzt 1200 Bauwerke beschrieben, die als bedeutsam eingestuft wurden. Der Band zuvor kam gerade auf 580 Seiten. „Viele Großprojekte wie HafenCity oder IBA fallen in diese jetzt beschriebene Zeit“, sagt Hein.
Ein Schwerpunkt im neuen Band nimmt der Wohnungsbau ein – auch bei den Begleittexten, die ebenfalls ein Abbild der heutigen Stadtentwicklungsdiskussion darstellen. Hamburg werde auf absehbare Zeit weiter wachsen“, schreibt etwa Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) „Dabei lernen wir, auf vorhandener Fläche kreativ zu verdichten, ohne den Charakter Hamburgs zu verändern“, so Scholz. Oberbaudirektor Jörn Walter, der 1999 sein Amt angetreten hatte, schreibt in diesem Zusammenhang von einer „ambitionierten Herausforderung“, denn Nachverdichtung bedeute für die Bürger oft eine Veränderung ihrer lang gewohnten Umgebung.
Mitbestimmung sorgt für Politisierung von Projekten
Mit den Auswirkungen beschäftigt sich der Architektur-Historiker Gert Kähler. Er erinnert an die Vielzahl von Bürgerbegehren und Beteiligungsformen, die mittlerweile nahezu jedes größere Bauprojekt begleiten. Wobei nie ganz klar sei, wie weit Mitbestimmung von betroffenen Bürgern gehen kann. Der Staat „ist vielfach unsicher in seiner Reaktion zwischen echter Beteiligung und Begöschen durch folgenloses Mitredenlassen“, schreibt Kähler und bringt den aktuellen Stand wohl deutlich auf den Punkt. Auch wenn noch nicht entschieden ist, wie weit Mitbeteiligung gehen kann, sieht Kähler einen Vorteil in den vielen Diskussionen: Positiver Aspekt sei, dass die von verschiedenen Bürgerinitiativen zur Abstimmung gestellten Fragen „die jeweiligen Themen politisiert“ haben, „in dem Sinne, dass viel mehr Menschen sich mit ihnen beschäftigen“.
Der Architektur-Kritiker Class Gefroi beschäftigt sich ebenfalls mit dem Wohnungsbau. Er bezeichnet das heutige Fehlen von Wohnraum als „vorhersehbare Krise“. Weil Ende der 90er Jahre die Einwohnerzahlen Hamburgs kurzfristig sanken, habe die Politik nicht genügend auf den Rückgang im Wohnungsbau reagiert. „Ein folgenschwerer Fehler“, wie Gefroi sagt. Mehr Einwohner, mehr Singles und mehr Wohnfläche pro Einwohner hätten in der Folgezeit zu der hohen Nachfrage und immer höheren Preisen geführt. Allein zwischen 2009 und 2014 seien in Hamburg die Preise für Wohnungen um 55 Prozent gestiegen. Noch heftiger die Preisentwicklung bei unbebauten Mehrfamilienhaus-Grundstücken: Laut Gefroi stiegen sie seit 2003 um 59 Prozent in mittleren und sogar um 137 Prozent in guten Lagen an.
Diese Situation verführe die Politik aber auch zu „Hektik“ im Wohnungsbau und einem Denken, das eher an der Zielzahl von 6.000 neuen Wohnungen pro Jahr denn an Qualität orientiert sei, so Gefroi. Die meisten der neuen Wohnquartiere würden heute ausschließlich dem Zweck-Wohnen dienen, vielfach fehle die Mischung. Künftig müsse folglich ein Mix konsequenter geplant werden, fordert Gefroi. Nur dann wäre bei der Herausgabe des nächsten Bandes „Hamburg und seine Bauten“ festzustellen, dass die Stadt nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ gewachsen ist.