Hamburg. Das Reeperbahn Festival feiert sein zehntes Jubiläum. Organisator Alex Schulz über Anfangsfehler und unvergessliche Auftritte.
In diesem Jahr feiert das Reeperbahn Festival seinen 10. Geburtstag. Zu den Gründern gehört Alex Schulz, 48, der die Veranstaltungsagentur Inferno betreibt und von Besuchen beim South By Southwest Festival in Austin/Texas so begeistert zurückkam, dass er in Hamburg 2006 erstmals ein Festival mit ähnlichem Konzept – viele Newcomer-Bands in vielen kleinen Clubs – durchführte. Nach Anfangsschwierigkeiten hat sich das Festival etabliert, muss bei der zehnten Auflage aber eine besondere Schwierigkeit bewältigen: In der Nacht zu Dienstag brannte die Westbühne auf dem Spielbudenplatz ab, auf der zahlreiche Konzerte stattfinden sollten.
Hamburger Abendblatt: Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie vom Bühnenbrand erfahren haben?
Alex Schulz: Nachdem klar war, dass keine Personen zu Schaden gekommen sind, habe ich natürlich zuallererst an unsere bevorstehende Veranstaltung gedacht und auf dem Weg zum Spielbudenplatz am Dienstagmorgen alle möglichen Szenarien durchgespielt. Zum Glück hat sich vor Ort schnell herausgestellt, dass der Brand in Bezug auf das Reeperbahn Festival Aufgaben hinterlassen hat, die wir lösen können, ohne dass Abläufe und Atmosphäre maßgeblich verändert werden.
Brand zerstört Reeperbahn-Bühne
Mit Problemen hatten Sie auch früher zu kämpfen. Haben Sie sich nach dem Debüt 2006 überhaupt vorstellen können, einen 10. Festival-Geburtstag zu feiern?
Alex Schulz: Nein, nach dem ersten Jahr nicht, da war es durchaus möglich, dass wir aufgeben. Immerhin hatten wir ein Minus von 380.000 Euro in der Kasse, das die beiden Gesellschafter, Karsten Jahnke Konzertdirektion und Inferno Events, tragen mussten.
Welche Fehler hatten Sie gemacht?
Schulz: 2000 kam ich euphorisch vom South by Southwest Festival in Austin/Texas und dachte, so was müssen wir in Hamburg auch probieren. Dann haben wir sechs Jahre an der Umsetzung gebastelt und in dieser langen Zeit ein wenig den Bezug zur Realität verloren. Unsere Premiere war völlig überdimensioniert. Wir hatten so viele Bands da, die noch niemand kannte, warum sollte uns jemand glauben, dass es sich trotzdem lohnt, ein Ticket zu kaufen? Das haben wir falsch eingeschätzt. Was wir brauchten, war Mund-zu-Mund-Propaganda. Leute, die die Veranstaltung besucht hatten und erzählen, dass es sich lohnt hinzugehen, gerade wegen der eher unbekannteren Künstler. Erst im dritten Jahr begann die Stimmung positiv zu kippen.
Das Reeperbahn Festival: Daten, Karten, Tipps
Wie war Ihre persönliche Stimmungslage während des ersten Festivals?
Schulz: Ich war enttäuscht, weil zu wenig Publikum kam. Der finanzielle Misserfolg war die eine Sache, aber hinzukam, dass ich drei Tage lang durch die Clubs gegangen bin und immer wieder gesehen habe: Es ist viel zu leer hier, meine Idee ist nicht verstanden worden. Das tat weh. 2006 hatten wir nur 8500 Besucher an drei Tagen. In diesem Jahr rechnen wir mit 30.000 Besuchern. Wir hatten das Festival damals mit insgesamt 25 Spielorten viel zu groß angelegt. Im zweiten Jahr haben wir auf 15 Spielorte reduziert.
Im ersten Jahr spielte Jazz noch eine große Rolle, später nicht mehr. Gibt es Genres, die beim Reeperbahn Festival nicht ankommen?
Schulz: Ja. Jazz und Klassik funktionieren nur an der Schnittstelle zu Elektro. Im Bereich Metal kooperieren wir seit vier Jahren mit den Wacken-Veranstaltern, die parallel in der Markthalle die Hamburg Metal Dayz abhalten. Alle Fachbesucher des Reeperbahn Festivals haben auch Zugang zu den Hamburg Metal Dayz.
Beim Reeperbahn Festival treten viele noch kaum bekannte Bands auf, bewerben sich manche auch direkt bei Ihnen?
Schulz: Früher haben sich 3000 Bands direkt beworben, heute vielleicht noch 1000. Wir hören uns die alle an. Am Ende spielen vielleicht 30 von denen dann auch tatsächlich auf dem Festival.
Nehmen Plattenfirmen Einfluss auf die Programmplanung?
Schulz: Plattenfirmen, aber auch Musikexportbüros aus aller Welt haben natürlich ein Interesse, ihre Bands bei uns einem großen Publikum zu präsentieren, und wir kooperieren da gern. Als Warner Music uns 2013 James Blunt anbot, waren wir allerdings skeptisch. Der zieht normalerweise 5000 Fans, sollte bei uns aber im Schmidt’s Tivoli, Kapazität 600, spielen. Doch das Reeperbahn-Festival-Publikum ist nicht so sehr an Headlinern interessiert. Es gab keine Schlangen vor dem Tivoli, und Blunt hat eine wunderbare Clubshow gespielt, aus der ein Live-Mitschnitt auf seiner folgenden EP landete.
Gab es auch mal Schwierigkeiten, weil eine Location zu klein war?
Schulz: 2009 trat Deichkind an einem Sonnabend in der Großen Freiheit auf. 1500 konnten rein, viele Tausend wollten rein. Dazu kamen die normalen Reeperbahn-Besucher aus Pinneberg und Co., die für noch größere Enge und Anspannung sorgten. Da entstand eine unangenehme Stimmung, die zu einem großen Polizeieinsatz führte.
Gab es ein „schönstes Erlebnis“?
Schulz: 2013 war ich mit meinem damals fünf Jahre alten Sohn bei einer Show: die Hip-Hopper Deine Freunde im Schmidt Theater. Das war einfach toll. Ich hab mir richtig Zeit genommen. Sonst sehe ich im Laufe eines Festivals ja nur drei bis fünf Künstler, auch die auch nur zum Teil, weil ich so viele andere Termine wahrnehmen muss
Steht das Reeperbahn Festival inzwischen finanziell auf sicheren Beinen?
Schulz: Wir müssen jedes Jahr wieder Gas geben, um Partner und Sponsoren zu halten oder neue zu gewinnen. Andererseits gehören wir inzwischen zu den fünf Veranstaltungen weltweit, bei denen Plattenfirmen und Konzertagenturen ihre neuen Acts präsentieren wollen. Das Budget wird in diesem Jahr bei etwa zwei Millionen Euro liegen, aus dem Land Hamburg erhalten wir gut 400.000 Euro, vom Bund 200.000 Euro. Beim Bund ist ein fester Haushaltstitel eingestellt, die Landesmittel müssen jedes Jahr neu beantragt werden. Ich bin zuversichtlich, dass die auch in Zukunft bewilligt werden.
Vertraut Ihnen das Publikum inzwischen? Oder warten viele mit dem Kartenkauf, bis das Line-up komplett ist?
Schulz: Bevor wir auch nur einen einzigen Künstler bekannt gegeben hatten, waren in diesem Jahr bereits ca. 4000 Tickets verkauft. Ein Vertrauensbeweis.
Ist das Publikum mit dem Festival gealtert?
Schulz: Nein, es ist eher jünger geworden. Was vielleicht auch daran liegt, dass das Format des Festivals in gewisser Weise dem Hörverhalten jüngerer Besucher entspricht, die sich im Internet von Song zu Song klicken. Sie bewegen sich mit den Füßen auf dem Reeperbahn Festival wie sonst mit der Maus im Netz und sind daran gewöhnt, etwas auszuprobieren. Besucher, die ihren Spotify-Account freigeben, erhalten in unserer App sogar genaue Konzert- und Location-Empfehlungen. Schade nur, dass die heutige Hörer-Generation mehrheitlich mit diesem MP3-Schund-Sound groß wird. Viele haben zuhause keine richtige Hifi-Anlage mehr.
Gibt es Bands, die durch das Reeperbahn Festival groß geworden sind?
Schulz: Es gibt einige, die das behaupten, aber ich halte das eigentlich für etwas übertrieben. Was stimmt, ist, dass wir Künstlern häufig eine größere Bühne bieten, als sie normalerweise am Anfang ihrer Karriere erhalten würden. Und dass aufgrund unserer Partnerschaft mit dem NDR viele Dutzend Konzerte aufgezeichnet und gesendet werden – auch viele von Newcomern. Bon Iver, Janelle Monae, Ed Sheeran, Jake Bugg oder Philipp Poisel, Andreas Bourani und Tim Bendzko konnte man bei uns sehen, bevor sie groß wurden. Cro hatten wir im Januar für eine klitzekleine Clubgage gebucht. Dann ging er durch die Decke, wir rechneten alle damit, dass das Konzert kurzfristig abgesagt wird. Aber er hat bei uns gespielt.
Ist das Reeperbahn Festival ein Beweis dafür, dass die Musikszene immer noch quicklebendig ist?
Schulz: Auf jeden Fall, aber wichtig sind nicht nur viele neue Bands, sondern auch Bands und Künstler mit einem langen Atem, die eine klare ästhetische und gesellschaftspolitische Haltung einnehmen. Die Toten Hosen sind so eine Band, die würden auch gut aufs Reeperbahn Festival passen. Ich habe Campino sogar schon gefragt, die Antwort steht noch aus. Eine Band dieser Größe könnte auf dem Reeperbahn Festival zwar nicht jeder sehen, aber klug geregelter, beschränkter Zugang klappt beim South by Southwest in Texas mit Bands wie REM oder Metallica ja auch.