In den Unterkünften bauen Mediziner Sprechstunden auf. Welche besonderen Probleme sie dabei zu bewältigen haben.
Wenn die Flüchtlinge in Hamburg ankommen, haben sie bereits eine lange und harte Reise hinter sich. Die Menschen leiden nicht nur unter den psychischen Belastungen der Flucht, sondern auch unter körperlichen Krankheiten oder den Folgen von schweren Verletzungen. Um sie medizinisch zu versorgen, haben jetzt Ärzte in den Zentralen Erstaufnahmen (ZEA) in Hamburg Sprechstunden eingerichtet.
Einer der Mediziner ist Dr. Michael Trautmann. Er ist Arzt für Innere Medizin und Notfallmedizin und hat jahrelang in der Pharmaindustrie an der Entwicklung von Diabetes-Medikamenten gearbeitet. „Seit drei Jahren arbeite ich nur noch halbtags als Berater für Pharmafirmen und verbringe viel meiner restlichen Zeit mit sozialer Arbeit“, sagt der 59-Jährige. Anfang August erkundigte er sich bei dem stadteigenen Unternehmen „Fördern und Wohnen“, in welcher Unterkunft es den größten medizinischen Bedarf gab. Das war in der Schule am Grellkamp in Langenhorn. „Wir haben dann aus der Einrichtung der Schule das zusammengetragen, was für die Sprechstunde verwendbar ist. Die medizinische Ausrüstung habe ich gekauft oder von zu Hause mitgebracht.“
Jetzt hat Trautmann dort eine kleine Praxis eingerichtet, die aus zwei Räumen besteht, einem Warte- und einem Sprechzimmer, mit den wichtigsten Geräten, die ein Hausarzt braucht. „Ich untersuche die Patienten und entscheide dann, welcher Arzt für die Weiterbehandlung nötig ist, zum Beispiel ein Zahnarzt oder ein Frauenarzt.“ Viele Menschen, die zu ihm kommen, haben Erkältungen, Zahnprobleme, aber auch tropische Krankheiten oder Kriegsverletzungen. „Einen Patienten mit einem nicht verheilten Knochenbruch nach einer Explosion überweise ich zur Operation ins Krankenhaus und übernehme dann die ambulante Nachbehandlung“, sagt Trautmann. Mit Medikamenten versorgt der Arzt die Patienten direkt oder über eine Apotheke, mit der er zusammenarbeitet. Die Kosten für die Arzneimittel trägt die Stadt.
Aber viele von Trautmanns Patienten brauchen auch eine Facharztbetreuung. „Da die meisten noch nicht krankenversichert sind, können wir jetzt für 24 Stunden eine Ersatzkarte ausstellen, mit der die Flüchtlinge einen Facharzt aufsuchen können. Diese können die Behandlung dann mit der AOK abrechnen. Es ist theoretisch geregelt, aber praktisch ist noch etwas Sand im Getriebe, weil die Fachärzte mit diesem Verfahren noch nicht vertraut sind.“ Viele Ärzte behandeln die Flüchtlinge auch kostenlos. „Es gibt bei den Kollegen eine große Bereitschaft zu helfen“, sagt Trautmann.
Die Verständigung mit den Flüchtlingen ist nicht immer einfach. Am Grellkamp sind vor allem Menschen aus dem Irak und aus Syrien, aus Eritrea, Albanien und dem Kosovo untergebracht. „Manchmal bekomme ich Unterstützung durch Dolmetscher oder durch andere Flüchtlinge, die schon besser Deutsch sprechen. Manchmal geht es nur mit Händen und Füßen“, erzählt der Mediziner.
Zweimal pro Woche hält Trautmann die Sprechstunde ab und wird dabei auch von einer medizinischen Fachangestellten unterstützt. Demnächst wird auch eine Kinderärztin einmal in der Woche in der Unterkunft am Grellkamp eine Sprechstunde anbieten. Sie alle sind freiwillige Helfer, die mit „Fördern und Wohnen“ einen Honorarvertrag abgeschlossen haben und für ihre Tätigkeit eine Aufwandsentschädigung erhalten.
Wenn die Flüchtlinge zu Trautmann in die Sprechstunde kommen, haben sie bereits die erste medizinische Untersuchung hinter sich. Denn die Erstuntersuchung wird in Harburg gemacht. „Dort werden die Flüchtlinge registriert und medizinisch untersucht. Dabei wird auch ein Röntgenbild von der Lunge erstellt, um eine Tuberkulose auszuschließen, und ein Test auf Hepatitis durchgeführt. Der Impfstatus wird überprüft und, wenn nötig, vervollständigt“, erklärt Trautmann. Erst danach werden die Flüchtlinge auf die Zentralen Erstaufnahmen verteilt.
Nach der Einschätzung von Trautmann ist die medizinische Versorgung mittlerweile schon gut geregelt. „Wir brauchen aber noch mehr Ärzte. Wenn die Belegung hier in nächster Zeit verdoppelt wird, werden zwei Sprechstunden in der Woche nicht mehr reichen“, sagt der Mediziner. Im Moment sind in der Schule 400 bis 500 Menschen untergebracht.
Fünf der zurzeit rund 20 Zentralen Erstaufnahmen (ZEA) in Hamburg werden vom Trainingszentrum für Erste Hilfe und Notfallmedizin medizinisch betreut. Das sind die Unterkünfte in Jenfeld, an der Schnackenburgsallee, an der Bredowstraße, in den Messehallen und in Ohlstedt.
30 Prozent der Flüchtlinge haben psychische Störungen
Für diese Einrichtungen hat Dr. Alexandra Jablonka in den vergangenen Wochen die Fachberatung der Kollegen und die Koordination mit dem Gesundheitsamt übernommen. Die Medizinerin arbeitet in der Medizinischen Hochschule Hannover in der Inneren Medizin mit dem Schwerpunkt Rheumatologie und Infektiologie. Dass sie von Hannover aus in die Flüchtlingsbetreuung nach Hamburg kam, lag daran, dass sie schon einmal bei dem Zentrum gearbeitet hat und auch schon viele Erfahrungen bei der Hilfsorganisation der Malteser gesammelt hat.
Auch Jablonka und ihre Kollegen betreiben in den Unterkünften so eine Art „spartanische Hausarztpraxis“, ausgerüstet mit einem EKG, Stethoskop, einem Otoskop für Untersuchungen der Ohren sowie Möglichkeiten für Laboruntersuchungen.
In der Sprechstunde haben die Ärzte auch die Möglichkeit, ihre Patienten mit Medikamenten zu versorgen. Das sind im wesentlichen Schmerzmittel, Antibiotika und Arzneimittel zur Behandlung von Hauterkrankungen. „Hauterkrankungen wie Krätze oder Läuse sind ein häufiger Grund dafür, dass die Flüchtlinge in die Sprechstunde kommen. 30 Prozent der Patienten leiden unter Erkältungskrankheiten. Häufig sind auch Magen-Darm-Beschwerden oder Schmerzen im Bewegungsapparat wie etwa Rückenschmerzen“, sagt Jablonka. Zusätzlich haben 30 Prozent der Flüchtlinge psychische Störungen.
Wenn jemand so krank ist, dass er im Krankenhaus behandelt werden muss, wird er über den öffentlichen Rettungsdienst ins Krankenhaus eingewiesen. Die Kosten für diese Notfallversorgung trägt die Stadt. „Schwierigkeiten gibt es noch bei der Behandlung von chronisch Kranken wie zum Beispiel Epileptikern, die spezielle Medikamente benötigen, oder Schwangeren, die einen Vorsorgetermin brauchen. Auch für kranke Kinder eine Versorgung durch einen Kinderarzt zu organisieren, ist schwierig“, sagt Jablonka.
In allen Zentralen Erstaufnahmen sollen Sprechstunden eingerichtet werden
Ein weiteres Problem ist die gesamte Logistik, damit in der Erstaufnahme die medizinische Versorgung funktioniert. Denn jeden Tag müssen die Ärzte die gesamte Ausrüstung für ihre Sprechstunde wieder in Kisten verpacken. Das dauert zusätzlich zur Sprechstunde noch mal eine halbe Stunde. In den fünf ZEA sind zurzeit 150 Ärzte tätig. „Am letzten Wochenende waren 70 Ärzte gleichzeitig im Einsatz, um die Flüchtlinge gegen Krätze zu behandeln. Diese Therapie ist jetzt abgeschlossen. Aber es gibt immer wieder neue Infektionen. Meistens bringen die Flüchtlinge die Erkrankung schon mit, die in den Herkunftsländern relativ häufig ist“, sagt Jablonka. In der Regel reiche eine einmalige Behandlung aus, um die Infektion zu beseitigen.
Die Arbeit unter der Regie des Trainingszentrums für Erste Hilfe und Notfallmedizin soll Stück für Stück abgelöst werden durch das Gesundheitsamt in Altona, das die Koordination aller medizinischen Sprechstunden übernehmen soll. Träger aller Maßnahmen ist „Fördern und Wohnen“.
Nach Aussage von Rico Schmidt, Sprecher der Hamburger Gesundheitsbehörde, sollen in allen Zentralen Erstaufnahmestellen allgemeinmedizinische Sprechstunden für Flüchtlinge eingerichtet werden. In der Erstaufnahme an der Oktaviostraße hat die Bundeswehr in dieser Woche bereits damit begonnen.
Auf einen Aufruf von Ärzteverbänden haben sich in Altona 150 freiwillige Helfer, überwiegend Ärzte, gemeldet. Zunächst sollen die Freiwilligen im Gesundheitsamt Altona registriert werden. Dort sollen auch Gespräche mit ihnen geführt werden, um zu klären, ob und wo sie am besten einsetzbar sind.
Ärzte und andere medizinische Fachkräfte, die sich an der Versorgung von Flüchtlingen beteiligen wollen, können sich beim Gesundheitsamt Altona melden, per E-Mail: gesundheit@altona.hamburg.de