Großstadt oder Umland? Wir vergleichen Hamburger Stadtteile mit angrenzenden Kommunen. Heute: Finkenwerder und Jork.

Es ist gar nicht so einfach, mit Thomas Wylezich über Finkenwerder zu reden. „Kommen Sie gegen 10 Uhr, dann ist etwas weniger los“, hatte er am Telefon gesagt. Gut, der Pott Kaffee steht schnell auf dem Bistrotisch im Dampfer Imbiss. Der 52-Jährige setzt sich dazu. Auf Finkenwerder ist er geboren, später Linksaußen der Ersten Herren beim Tus Jahn Finkenwerder gewesen und seit gut 25 Jahren Chef in dem Gastro-Pavillon am Anleger der Fähre 62, dem „Dampfer“ wie man hier sagt.

„Das ist unser Bus in die City“, sagt Wylezich und muss dann wieder aufstehen. Zeitung, Kaffee, Brötchen zum Mitnehmen, immer wieder kommen auf dem Weg zur Fähre Kunden herein. „Moin, Wolfgang“, Moin, Thomas“ – so geht das im steten Wechsel. Der Dampfer Imbiss ist eben die große „Drehscheibe“ dieses besonderen Hamburger Stadtteils.

Zwar war Finkenwerder nur bis zur großen Flut von 1962 wirklich eine Insel – gefühlt ist sie das bei den Bewohnern aber immer noch. Eine Insel mit mehreren Gesichtern.

© Roland Magunia | Roland Magunia

Noch heute kennt man die Trennung in Lüneburger und Hamburger Siet: Seit dem 15. Jahrhundert schon ist die Hamburger Seite an der Elbe ein Teil Hamburgs und eng mit dem Bezirk Mitte verbunden. Eben durch den Dampfer. Was man auch beibehalten will auf Finkenwerder. Als 2005 im Zuge der Bezirksreform Finkenwerder Harburg zugeschlagen werden sollte, gab es einen regelrechten Aufstand, vor dem der Senat schließlich einknickte. Alles andere hätten viele als Kulturbruch gewertet. Andere Feste, andere Sitten. Mehr Stadt als Land und doch Insel – das ist die besondere Finkenwerder Mischung. Schützenfeste wie in Harburg oder Jork kennt man auf Finkenwerder nicht, dafür die Karkmess, ein Volksfest mit viel Tradition aus der Seefahrt.

Allerdings gab es bis zum Groß-Hamburg-Gesetz von 1937 auch einen preußischen Teil der Insel, der eben nach Harburg orientiert war. „Da wohnen die Bauern“, sagen die Leute im Imbiss, als sie das Gespräch mithören. Was zum Teil noch immer stimmt. An der Alten Süderelbe, dem nach der Flut abgesperrten Elbarm, stehen meist Bauernhöfe, wächst Obst auf den Plantagen. Dort ist Finkenwerder ganz Teil des Alten Landes, ländlich, weitläufig.

Finkenwerder in Zahlen

 

Einwohner: 11.662 Einwohner leben auf 28,6 Quadratkilometern

 

Über 65­-Jährige: 19,2 Prozent

 

Unter 18­-Jährige: 16,7 Prozent

 

Hartz­IV­-Empfänger: 9,1 Prozen

 

Durchschnittliche Familiengröße: 1,9 Personen in 6148 Haushalten

 

Durchschnittseinkommen/Jahr: 29.837 Euro

 

Kita­-Preis: Ganztagsplatz maximal 204 Euro/Monat, bis zu fünf Stunden kostenlos

 

Zahl der Kitas: fünf

 

Betreuungsschlüssel: Krippe 1:5,1, Elementar: 1:8,7

 

Kita­-Öffnungszeiten: unterschiedlich: 8 bis 16 Uhr und 6 bis 18 Uhr

 

Durchschnittlicher Grundstückspreis: 236 Euro pro Quadratmeter

 

Durchschnittliche Mietforderung (bei Neuvermietung): 7,40 Euro pro Quadratmeter

 

Durchschnittliche Wohnungsgröße: 75,3 Quadratmeter

 

Nahverkehr: Die Fähre der Linie 62 fährt im Halbstundentakt nach Altona und zu den Landungsbrücken, die Linie 64 rüber nach Teufelsbrück. Der 150er-Bus fährt nach Altona.

 

Preise: Im Dampfer Imbiss kostet das kleine Astra 2 Euro. Mittagstisch gibt’s für rund 7 Euro. Brötchen im Ort kosten um 30 Cent, ein Hamburger Rundstück der Finkenwerder Bio-Demeter-Bäckerei Bahde 45 Cent.

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Anders am Hauptstrom. Hier war der Ort lange eine Fischersiedlung. Eine große Hochseeflotte war hier einmal zu Hause, doch seit etwa den 1990er-Jahren gibt es keinen großen Fischkutter mehr; im Kutterhafen liegen heute Traditionsschiffe. Aber von der alten Seefahrerromantik ist in den verwinkelten Gassen dahinter noch viel zu spüren. Kleine Häuser, romantische Hinterhofgärten, Stockrosen, Anker vor den Haustüren – hier hat Finkenwerder viel vom Blankeneser Treppenviertel, das auch einmal ein Fischerdorf war. Und hier hat die Insel auch ihr kleines Zentrum mit Lebensmittel­läden, Restaurants und einer Eisdiele, die, wie könnte es anders sein, Eis-Insel heißt.

Und dann ist da das dritte Finkenwerder: Einst war bis in die 70er-Jahre auf der Insel die 1918 gegründete Deutsche Werft beheimatet – lange Zeit eine der größten Werften der Welt: Viele Tausend Jobs fanden Arbeiter dort, die meist in den eher schlichten Mehrfamilienhäusern aus dunklem Backstein wohnten, die heute noch weite Teile der Finkenwerders prägen.

Später ersetzte die Luftfahrtindustrie die Werfttradition. Airbus hat dort sein größtes Werk, gut 12.000 Menschen arbeiten hier. Noch immer werden gut qualifizierte Leute gesucht, weiß Wylezich. Und wenn sie schlau sind, meint er, dann versuchen sie, mit ihren Familien gleich auf Finkenwerder zu wohnen. Warum auch sollten sie weiter ins Umland? Wylezich schaut seinen Besucher fragend an. Man wohne hier schon mitten im Grünen, hat die Elbe und das Alte Land vor der Haustür. Ja, und wenn man schnell in die City will – dann sei da ja noch der „Dampfer“. „Wo gibt’s das schon?“, fragt er. In dieser Kombination, das sei doch einzigartig. Man denkt kurz nach – und muss ihm recht geben.

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