Hamburg. In einer Serie erkundet das Abendblatt vom Boot aus die Geheimnisse der Hamburger Gewässer.
Ohne Zweifel ist die Elbe heute der Hauptverkehrsstrom der Stadt, der Hafen liegt förmlich in der Zange zwischen Norder- und Süderelbe. Dazwischen breitet sich ein verwirrendes Geflecht von Hafenbecken aus, die aber so mit System angelegt wurden: Der große Ausbau des Hafens auf der Südseite der Elbe begann Ende des 19. Jahrhunderts. Das Prinzip dabei: Binnenschiffe und Seeschiffe sollten sich in Fahrt möglichst nicht begegnen, damit beide sicher manövrieren können.
Die hinteren Hafenbecken zeigen mit ihren Namen denn auch, woher diese Kanal- und Flussschiffer kamen: Spreehafen, Travehafen, Moldauhafen. Doch immer wieder hat sich das Bild auch verändert. Während man früher viel Kaifläche und Wasserfläche brauchte, werden für die Containerschifffahrt heute vor allem große Abstell-Areale benötigt. Das sieht man, wenn man von der Nordseite herüberschaut. Was man nicht sieht, sind die versteckten Wasserläufe wie den Reiherstieg, Kanäle und Hafenbecken dahinter. Diesen Hinterhof des Hafens erschließt man sich besten vom Boot aus. Eine andere Welt, die aber doch so überraschend nah ist. Durch die Ernst-August-Schleuse erreicht man auch die Kanäle Wilhelmsburgs, die teils für die Internationale Bauausstellung wieder bis zum alten Rathaus schiffbar gemacht wurden. Oder man tuckert mit dem Charterboot in den Spreehafen mit seinen Hausbooten. Ein ganz anderes Bild ergibt sich auf dem Nebenarm Dove Elbe, wo man hinter einer Schleuse bei immer gleichem Wasserstand mit dem Boot quasi in Augenhöhe mit den Kühen auf der Weiden bis nach Bergedorf gelangen kann.
Binnenhafen
Von der Süderelbe geht es durch eine große Schleuse in den Harburger Binnenhafen. Man kann hier gut zwei, drei Stunden herumtuckern oder paddeln und immer wieder neue Nischen entdecken. Die verwinkelte Lage der vielen Hafenbecken erklärt sich durch die Geschichte. Ursprünglich war das Gewässer ein vieleckiger Verteidigungsgraben des Schlosses, dessen Reste immer noch stehen. Im 19. Jahrhundert beherrschten die Palmöl- und Kautschukindustrie sowie Werften das Bild des Hafens. Mitte des 20. Jahrhunderts war er eine große Gewerbebrache. Seit den 90er-Jahren wandelt sich das Bild. Zu Bastlern an Schiffen, Yachthäfen, Hausbooten und Gewerbebetrieben kamen neue Hightechbüros und in jüngster Zeit sogar Wohngebäude. Ein Mix aus HafenCity, Yachthafen und Schrauberidylle ist so entstanden. Auch ohne Boot ist der Hafen einen Besuch wert: Sehr schön lässt sich diese besondere Atmosphäre im Beach-Club am Veritaskai 5 erfahren.
Neue Klappe
Auf dem Reiherstieg kommt bald ein bizarres Bauwerk in Sicht. An der Einmündung der Rethe baut die Hafenverwaltung Hamburg Port Authority (HPA) zurzeit eine neue Brücke, die immerhin die größte Klappbrücke Europas werden wird. Sie ersetzt von 2016 an die 1934 gebaute Rethe-Hubbrücke, deren technische Lebenszeit am Ende sei, wie es bei der HPA heißt. Der Neubau kostet mittlerweile 152 Millionen und hat wie jedes anständige öffentliche Bauwerk mit Verzögerungen zu kämpfen: Noch sind also das alte Hubteil und die jeweils 650 Tonnen schweren Klappen nebeneinander zu sehen, weil die alte Brücke noch funktionieren muss. Vier solcher Klappen gibt es, weil dort Schiene und Straße künftig getrennt über das Wasser geführt werden.
Villa
Wer den sieben Kilometer langen Reiherstieg entlangfährt, erlebt Industrie- und Werftromantik pur. Diese Gelbklinker-Villa aus der Gründerzeit schmiegt sich an imposante Getreidesilos. 1897 baute hier in Wilhelmsburg Georg Plange die größte industrielle Mühle des Kontinents. Unmittelbar am Wasser bestand die Möglichkeit, den Qualitätsweizen aus Übersee direkt per Schiff zu bekommen; ebenso konnte Exportmehl verladen werden. Die Hamburger Mühle boomte so stark, dass 1907 in Düsseldorf eine zweite Mühle nach dem gleichen Konzept gebaut werden konnte. Als Symbol des Aufschwungs am Reiherstieg gilt auch die Reiherstiegwerft, deren Anfänge auf das Jahr 1706 zurückgehen. Noch heute ist ein Schiff aus dieser Werft im Einsatz: der Alsterdampfer „St. Georg“. Im Jahre 1876 für die Alsterreederei von H. E. Justus als „Falke“ gebaut, ist er inzwischen das älteste betriebsfähig erhaltene Fahrzeug des Hamburger Nahverkehrs und zugleich das älteste Dampfschiff Deutschlands. Aus der Wilhelmsburger Werft kommt eben deutsche Wertarbeit!
Schleuse
Wie von Geisterhand scheint sich das Tor zu öffnen, dann schließt es, und einen kleinen Moment später öffnet sich ein anderes Tor. Wie hier an der Ellerholzschleuse zum Travehafen gibt es im Hafen 28 Schleusen und Klappbrücken, die den Wasserverkehr dort ermöglichen – auch mit Sportbooten. Die Ellerholzschleuse gehört dabei zu vier besonderen Schleusen: Sie dient nur dazu, die Strömung zu lenken, damit einzelne Hafenbecken nicht versanden. Es wird also kein Wasser herein- oder herausgelassen, nur die Tore schließen und öffnen sich. Allerdings nicht von Geisterhand: Schleusenwärter erkennen die Schiffe per Wärmebildkamera, die die alte Radartechnik ablöst.
Skyline
Auch von der Wasserseite aus bietet die Elbphilharmonie – wie hier auf dem Reiherstieg – einen beeindruckenden Anblick. Die Skyline der Stadt lässt sich auf dem Boot und von den Hafenfähren ganz anders erleben als an Land. Regelmäßig sind hier und im Hafenbecken die Boote der Hamburger Wasserschutzpolizei unterwegs. Solche Perspektiven auf die „Elbphi“ sind für die Beamten Alltag. Für den Reihersteig ist das Kommissariat WSPK 2 zuständig. Neben dem Seegüterumschlag in Form von Containern und konventionellem Stückgut, dem Schiffbau bei Blohm + Voss sowie zahlreichen Binnenschiffs- und Sportbootliegeplätzen im gesamten Reviergebiet prägt der nördliche Hafenrand mit seinen touristischen und freizeitorientierten Angeboten sowie den beiden Kreuzfahrtterminals die Tätigkeit der Polizei. Das Reviergebiet des WSPK 2 umfasst die mittleren und östlichen Teile des Hamburger Hafens, den nördlichen Hafenrand mit den St.-Pauli-Landungsbrücken und der Überseebrücke. Weiterhin die Kanäle und Fleete der Speicherstadt und die Wasserflächen der Norderelbe aufwärts bis zur Bunthäuser Spitze mit ihren Nebenarmen Dove Elbe und Gose Elbe. Darüber hinaus nimmt das WSPK 2 die wasserschutzpolizeilichen Aufgaben auf der Bille, der Alster und ihren Kanälen wahr.
Pausenstopp
Da staunt der hungrige Skipper: Plötzlich leuchten gelbe Sonnenschirme am Ufer, und Tische laden zum Verweilen ein. Willkommen im Bistro und Biergarten Zum Anleger. Die Adresse an Land: Wilhelmsburg, Vogelhüttendeich 123. Wer in dieser Gegend wohnt und trotzdem in den Urlaub fährt, ist selbst schuld: Wenn das Wetter sich von seiner schönsten Seite zeigt, lässt sich der Abend wie im mediterranen Süden genießen. Dazu serviert das Haus frische saisonale Küche. Die Pizzeria hat italienische Weine auf Lager und lockt mit täglich wechselnden Pasta-Gerichten. Mehr noch: Tretboote und Kanus stehen am „Anleger“ für Bootstouren rund um die größte Flussinsel Europas zur Verfügung (ab 5 Euro). Der Biergarten der Familie Dreshaj ist inzwischen eine kleine Institution in Wilhelmsburg geworden. Nicht nur für Freizeitskippper.
Hausboote
Der Spreehafen ist ein breites, an einen kleinen See erinnerndes Hafenbecken zwischen dem Kleinen Grasbrook und der Veddel. Ursprünglich war der Hafen einmal ein Überwinterungshafen für Binnenschiffe – daher erklärt sich seine Größe. Hier hat sich trotz vieler Widerstände der Behörden eine kleine Hausbootszene entwickelt, die an Amsterdam oder Paris erinnert. Allerdings ist das Wohnen im Hafen verboten, offiziell sind die Hausboote daher meist Gewerbebetriebe. Man findet hier umgebaute Hafenlieger, auf denen früher Werkstätten und Hafenbüros untergebracht waren. Aber auch fantasievolle Umbauten von Schiffen oder gar schwimmende Blockhäuser schaffen ein buntes Bild. Ohne Boot nimmt man am besten die S 3 und steigt an der Station Veddel aus. Ein Rundweg führt seit der Internationalen Bauausstellung einmal herum.
Café am Strom
Der Hamburger Modemacher Thomas Friese (Thomas I Punkt) steht auf einem alten Ponton auf der Norderelbe. Hier hat der von ihm und seiner Tochter initiierte Verein Entenwerder Elbpiraten vor Kurzem erst ein neues Café eröffnet. Hier ist auch der Stützpunkt für ein Kinder-Segelprojekt des Vereins, der Kunst und Kultur in Rothenburgsort fördert und den fast vergessenen Park wieder mehr ins Blickfeld der Stadt rücken will. Die Verbundenheit mit dem Stadtteil ist nicht zufällig, Thomas I Punkt lässt in Rothenburgs-ort seine Textilien produzieren. Auf dem neuen Radweg am Großmarkt lassen sich Ponton und Park einfach erreichen – sollte man mal kein Boot zur Hand haben.
Die Bucht
Alte Speicher prägen in der Billwerder Bucht das Bild über der Wasserfläche der Elbe. Doch was gibt es darunter? Kaum vorstellbar, aber das Fachmagazin „Fisch & Fang“ ist voll des Lobes über den Artenreichtum. Speziell Weißfischangler können in der Billwerder Bucht voll auf ihre Kosten kommen. Nicht nur, dass da viele dicke Brassen schwimmen, auch große Alande und Rotaugen lassen sich in diesem Revier angeln. Im vom Sediment getrübten Wasser der Billwerder Bucht fühlt sich der Zander besonders wohl, schreibt das Magazin. Was die Industriearchitektur verdeckt: Inzwischen gibt es auch im Hamburger Hafen ein Naturschutzgebiet – den Holzhafen an der Billwerder Bucht. Das nicht mehr genutzte Hafenbecken ist ein Süßwasserwatt nicht nur mit vielfältigem Fisch-, sondern auch Vogelleben. Auf der Billwerder Insel lebt die größte Kolonie von Kormoranen in Hamburg. Mehr noch: Das stillgelegte Wasserwerk auf der Halbinsel Kaltehofe bietet feuchte Biotope für Vögel und Amphibien in den zahlreichen und noch immer vorhandenen Filterbecken. In den alten Schieberhäuschen haben sich Fledermäuse angesiedelt.
Kreuzfahrt
Erwischt: Dieses Flusskreuzfahrtschiff fährt auf der Norderelbe Richtung Hamburg. Das ist freilich kein einmaliges Ereignis, sondern inzwischen normal geworden. Reiseveranstalter steuern mit ihren Binnenschiffen regelmäßig auf dem Strom den Hamburger Hafen an. Oder sie starten in der Hansestadt und fahren elbaufwärts. Während sich Lauenburg, Dömitz und Tangermünde romantisch ans Elbufer schmiegen, begeistert als nächste Station Magdeburg die Passagiere. In Wittenberg können die Gäste der Geschichte Martin Luthers nachspüren. Weiter gehts nach Torgau und schließlich nach Dresden. Und dann sind die acht luxuriösen Tage an Bord auch schon zu Ende.
Das Tor
Wer hier durchfahren will, braucht etwas Geduld. Dann öffnet sich das Tor der Tatenberger Schleuse und macht den Weg für die Durchfahrt frei. Gut 30 Fahrminuten vom Hamburger Hafen entfernt ist die Tatenberger Schleuse, das Tor zur Dove Elbe. Gut 200 Boote werden hier pro Tag in der Hauptsaison befördert. Wer die Schleuse häufiger passiert, hat eine Jahreskarte. Das Bauwerk entstand zwischen 1949 und 1952. Vor zehn Jahren ließ Hamburg Port Authority die Schleuse auf Vordermann bringen. Dafür wurden insgesamt 12,5 Millionen Euro investiert. Das Tor zur Dove Elbe garantiert eine tideunabhängige Binnenschifffahrt bis nach Bergedorf.
Charter
Wer eine Bootstour auf der Elbe unternehmen will, kann sich auch ein kleines Schiff mieten. Zum Beispiel bei Thalmann (Moorfleeter Deich 316, 22113 Hamburg, 040/737 20 05). Die Bootstour der beiden Abendblatt-Redakteure über Alster, Bille und Elbe erfolgte auf dieser „Necko 535“ mit 60 PS Außenbordmotor. Mit 30 Wasserliegeplätzen, einer 700 Quadratmeter großen Wartungs- und Ausstellungshalle sowie großzügiger Landstellfläche bietet Thalmann an der Dove Elbe reichlich Platz. Es stehen sowohl führerscheinfreie als auch führerscheinpflichtige Boote zur Verfügung. Ein „ChillBoat“ mit 30 LBS Elektromotor kostet ab 80 Euro am Tag. An Bord lässt sich dann bei gutem Wetter wirklich bestens „chillen“.
Wasser Paradies
Nicht weit hinter der Tatenberger Schleuse öffnet sich die Dove Elbe zu einer großen Bucht samt Insel. Im Sommer ankern hier viele Boote, man trinkt an Deck einen Kaffee, döst in der Sonne oder springt auch ins Wasser. Anders als auf der eigentlichen Elbe gibt es keine Strömung, und dank der Schleuse bleibt der Wasserstand gleich, was das Gewässer zu einem sehr zahmen macht. Familien tuckern deshalb gerne hierher, manches Boot wird einfach ans Ufer gefahren, wo die Kinder ihren eigenen kleinen Strand finden. Wegen dieser friedlichen Idylle nennen Spötter die beliebte Ankerbucht vor Tatenberg auch „Rentnerbucht“. Aber sie ist wohl eine, die offensichtlich wie ein Jungbrunnen wirken kann. Die kleinen Inseln dort werden auch „Liebesinseln“ genannt.
Regatta
Hier trainiert, wer Meister werden will: Die Regattastrecke in Allermöhe ist eine moderne Anlage, die den Anforderungen des Weltruderverbands FISA entspricht. Sie wurde 1985 eröffnet und 2010 grundlegend überholt und ergänzt. Jedes Jahr finden hier zahlreiche nationale und internationale Regatten statt. Die Anlage dient ebenso als zentraler Standort für den Leistungssport in Norddeutschland. Wenn Hamburg den Zuschlag für Olympia erhalten sollte, könnten hier auf der Dove Elbe im Jahr 2024 die Wettkämpfe der Weltklasse stattfinden.
Rundfahrt
Gemütlichkeit ist auf „Serrahn Deern“ Trumpf. Sie gehört zur Bergedorfer Schifffahrtslinie. Mit ihr können die Passagiere die schönsten Seeseiten Hamburgs auf drei Touren erleben. Eine davon führt durch den Hamburger Hafen einmal um die Insel Wilhelmsburg, entlang der Bunthausspitze, am Containerterminal Altenwerder, den Landungsbrücken, Speicherstadt und HafenCity. Auch die Bergedorf-Fahrt beginnt mit einer kleinen Rundfahrt im Hamburger Hafen. Nach dem Passieren der Tatenberger Schleuse durchquert das Schiff die reizvolle Natur der Marschlande und endet schließlich im Bergedorfer Hafen. Die Hafen City-Tour führt von Bergedorf hinein in die Hafen City und Hamburgs Speicherstadt mit ihren Attraktionen wie dem Hamburg Dungeon. Weitere Informationen: Bergedorfer Schifffahrtslinie Buhr GmbH, Alte Holstenstraße 64, 040 73 67 56 90.
Schöner Wohnen
In Allermöhe nutzt Gerhard Posewang sein Schiff „Andrea Doria“ gelegentlich als erweiterte Gartenterrasse. Denn direkt am Wasser wohnt er auch. „Schöner als in Blankenese, da würde ich nie tauschen“, sagt er. Wenn Besuch kommt, können die Posewangs mit ihrer schwimmenden Terrasse einfach einmal ablegen und auf dem ruhigen Flusslauf tuckern. Der Senior hat mit diesem Schiff in den vergangenen Jahren nicht nur die Elbe, sondern auch Nord- und Ostsee erkundet. „Wir haben viel gesehen“, sagt er.