Hamburg. Jeder Vierte schmeißt sein Studium. Handelskammer startet Initiative „Neuland“ zur Vermittlung von Abbrechern.

Patrick Leube wagt einen Neuanfang. Seit wenigen Tagen lernt der 26-Jährige Kaufmann für Groß- und Außenhandel bei dem Hamburger Schiffsausrüster EMS Seven Seas. Nach dem Abbruch des Chemiestudiums an der Uni Hamburg hat er umgesattelt. „Ich habe großes Interesse an Sprachen, Wirtschaft und Finanzen, da kommt mir die neue Ausbildung sehr entgegen“, sagt Leube. Franz Peter Drogis hat einen ähnlichen Schritt bereits vor einem Jahr gemacht. Statt Medien-, Sport- und Eventmanagement zu studieren, lernt er jetzt Fachinformatiker für Systemintegration. „Events organisiere ich nur noch in meiner Freizeit“, sagt der 23-Jährige.

Aus dem Hörsaal in die Lehrlingsausbildung: Deutschlandweit bricht mehr als jeder vierte Bachelorstudent (28 Prozent) sein Studium ab. „Früher oder später entdecken sie die duale Ausbildung“, sagt Fin Mohaupt, Leiter Aus- und Weiterbildung der Handelskammer Hamburg. „Wir wollen diesen Prozess beschleunigen, uns stärker als Alternative für verzweifelte Studenten profilieren.“ Die Firmen haben angesichts vieler unbesetzter Lehrstellen großes Interesse an Studienabbrechern. Diesen Begriff möchte Mohaupt aber am liebsten streichen. „Wir sprechen von Studienaussteigern.“

Mit einer neuen Initiative „Neuland - Deine Alternative zum Studium“ sollen Studienaussteiger klarer angesprochen werden. Werbung in öffentlichen Verkehrsmitteln und Plakate in den Universitäten machen auf die Perspektiven für Studienausteiger aufmerksam. Für das schon begonnene Ausbildungsjahr gibt es noch knapp 140 unbesetzte Lehrstellen, darunter auch in gefragten Berufen wie Fachinformatiker oder Kaufmann für Groß- und Außenhandel. „In vielen Fällen ist der Einstieg in die Ausbildung noch bis zum 1. Oktober möglich“, so Mohaupt.

Die Handelskammer lockt die Aussteiger mit einer verkürzten Ausbildungszeit, einer strukturierten Ausbildung mit festem Zeitplan und einer monatlichen Ausbildungsvergütung, die häufig mehr als 500 Euro im ersten Lehrjahr erreicht. „Das sind Vorteile, die viele Aussteiger überzeugen“, sagt Mohaupt.

Zusätzlich bewirbt sich die Handelskammer um Fördermittel des Bundes. Dann könnte das Beratungsangebot ausgebaut, das INTAS-Team (Integrierter Ausbildungsservice) aufgestockt werden. „Wir beraten Studienaussteiger, testen ihre fachliche Eignung für den Wunschberuf und geben Hilfestellung bei Bewerbungen“, sagt Stephanie Anders von INTAS.

Dreimal scheiterte Leube an der Prüfung zu einem Modul der Physikalischen Chemie. „Ein extrem theoretischer Stoff mit sehr komplizierten Formeln“, sagt er. Einen Versuch hätte er noch gehabt, doch er suchte lieber nach Alternativen. „Es ist besser, einen Holzweg nicht weiter zu verfolgen“, sagt er. Eine schwere Entscheidung nach neun Semestern. In das Chemie-Studium an der Universität Hamburg war er mit ganz anderen Erwartungen gestartet. „Schon in der Schule hatte ich ein ausgeprägtes naturwissenschaftliches Interesse, dachte sogar an die Promotion in Chemie“, sagt Leube.

An der TU Harburg schafft es jeder Zweite nicht bis zum Master

Wie viele Studenten in Hamburg ihr Studium vorzeitig aufgeben, ist nicht bekannt. Die Universität Hamburg und die HAW Hamburg haben keine Zahlen, weil man nicht wisse, warum Studierende ausscheiden. „Die Gründe für eine nicht erfolgte Rückmeldung zum Studium können auch ein Wechsel des Fachs oder des Studienortes sein“, sagt eine Sprecherin der Universität Hamburg. Nur die TU Hamburg-Harburg (TUHH) legt ihre Zahlen offen. „Der Anteil der sogenannten Studienabbrecher liegt ungefähr bei 50 Prozent eines Jahrgangs im Verlauf des gesamten Studiums bis zum Master-Abschluss, der bei uns als regelhafter Abschluss betrachtet wird“, sagt Ruediger Bendlin, Sprecher der TUHH. Darunter fallen aber nicht nur Studenten, die an Prüfungen scheitern, sondern auch Studienfachwechsler oder Studierende, die an ein anderes Hochschulsystem wechseln. Dennoch soll die Abbrecherquote an der TUHH bis 2017 um 15 bis 20 Prozent reduziert werden. „Künftig müssen die Hochschulen die Gründe bei Exmatrikulationen erfassen“, sagt Julia Offen, Sprecherin der Wissenschaftsbehörde. „Ergebnisse werden erst 2016 vorliegen.“

Zu hohe Anforderungen, Geldsorgen oder mangelnde Studienmotivation sind häufige Gründe für einen Abbruch. Drogis war mit seinem Studium des Medien- und Eventmanagement nicht zufrieden und konnte sich die hohen Studiengebühren nicht mehr leisten. Der Wechsel in ein ganz anderes Fach als Fachinformatiker kam nicht unvermittelt, denn nebenberuflich hat er in diesem Bereich gearbeitet. „Für den Ausbildungsplatz habe ich weniger als zehn Bewerbungen abgeschickt“, sagt Drogis. Jede zweite Bewerbung brachte ein Vorstellungsgespräch.

Die meisten Betriebe haben mit den Studienaussteigern kein Problem. „Sie sind älter, zielorientierter und haben schon einen Leidensweg hinter sich“, sagt Heidi Warnecke vom Stahlhersteller Arcelor Mittal. „Wir haben nur gute Erfahrungen mit ihnen gemacht.“ Eine Altersgrenze für die Ausbildung zum Industriemechaniker, Elektroniker oder Verfahrensmechaniker gibt es in dieser Firma nicht.

„Dennoch sollte die Entscheidung, ob ein Studium durchgehalten werden kann, nicht zu lange aufgeschoben werden“, rät Mohaupt. Denn ab 25 Jahren könne es doch schwieriger werden, einen Ausbildungsplatz zu finden. „Mathematik und Mechanik sind die wesentlichen Hürden im Bachelor-Studium“, sagt Bendlin. Das zeigt sich an der TUHH früh. 15 Prozent der Studenten in den ingenieurwissenschaftlichen Fächern treten nicht mehr zum dritten Semester an.

Aussteiger schätzen strukturierte Ausbildung und Feierabend

„Wir haben sehr gute Erfahrungen mit Studienabbrechern gemacht und sie sind alle im Unternehmen geblieben“, sagt Darko Komarica, Geschäftsführer der EMS Seven Seas. An Leube schätzt er seine Motivation und wie er mit der Situation umgegangen ist. „Das spricht mehr für als gegen ihn.“ Leube sieht sich jetzt auf der sicheren Bahn. „Beide Seiten haben ein großes Interesse daran, dass man die Ausbildung erfolgreich beendet“, sagt er. „Das ist etwas Handfestes.“ Die Ausbildungszeit von drei Jahren will er um ein halbes Jahr verkürzen. Nach wenigen Tagen hat er schon ganz neue Erfahrungen gemacht: „Feierabend heißt auch Feierabend. Als Chemiestudent kannte ich das nicht. Sogar die Ferien verbrachte ich im Labor der Uni.“