Hamburg. 79 Mitarbeiter fürchten um ihre Arbeitsplätze. Insolvenzverwalter Tjark Thies ist zuversichtlich, eine Pleite abzuwenden.
Die Nachricht kommt überraschend. Eines der traditionsreichsten Hamburger Unternehmen hat Insolvenz angemeldet. Bereits am Mittwoch ging beim Hamburger Insolvenzgericht von Schacht & Westerich, das seit 1826 in Hamburg Papierwaren und Schreibutensilien vertreibt, ein Antrag zur Eröffnung eines Verfahrens ein. Alle sechs Standorte, zwei in Bremen und vier in Hamburg inklusive des Haupthauses im Hanseviertel, sind betroffen. Zum vorläufigen Insolvenzverwalter ernannte das Gericht den Hamburger Rechtsanwalt Tjark Thies.
„Die mittelfristige Zielsetzung ist, dass wir alle Standorte sowie die 79 Mitarbeiter halten können“, sagte Thies. Die Beschäftigten erhalten nun für drei Monate Insolvenzgeld, danach kann Thies den Laden weiterführen, sofern er in der Lage bleibt, die Mitarbeiter weiter zu bezahlen. Thies ist zuversichtlich. Je mehr Kunden dem Unternehmen die Treue hielten, desto eher könnte eine Rettung möglich sein. Der Insolvenzverwalter profitiert zudem davon, dass spätestens im November oder Dezember die Hamburger und auch Touristen ihre Weihnachtseinkäufe tätigen werden.
Der derzeitige Inhaber von Schacht & Westerich, Thomas Rasehorn, hat in den vergangenen Jahren zahlreiche Umwälzungen miterlebt. Durch die Digitalisierung des Alltags konnte er zum Beispiel immer weniger der früher sehr begehrten Terminplaner, auch Timer genannt, verkaufen, weil inzwischen jedes Smartphone über eine Kalenderfunktion verfügt. Kalender wie etwa der Klassiker Filofax wurden ebenfalls von Programmen für das Handy abgelöst. Auch gesonderte Taschenrechner braucht man aus dem gleichen Grund nicht mehr.
Und selbst notwendige Anschaffungen wie Stifte und Schreibhefte für Schüler werden nicht mehr unbedingt bei Fachgeschäften wie Schacht & Westerich erworben. Auch Ikea, Edeka, Discounter oder Baumärkte überschwemmen zum Schulbeginn den Markt, obgleich sie ansonsten ein völlig branchenfremdes Sortiment anbieten. Gerade zum Schulbeginn orderten sie Hefte und Füller. „Auf einmal hatten wir in einigen Feldern keine exklusiven Lieferanten mehr“, sagte der Inhaber Rasehorn. Zudem habe sich das Einkaufsverhalten drastisch verändert.
Es werden immer weniger Briefegeschrieben und Kalender gekauft
Wegen des hohen Verkehrsaufkommens ersparten sich zudem zahlreiche Kunden den Weg in die Stadt. Rasehorn fehlten deshalb auch Einnahmen, die er nicht hatte, um schon jetzt Artikel für das kommenden Weihnachtsgeschäft zu ordern. „Es wird weitergehen“, sagte eine Mitarbeiterin in der Filiale im Hanseviertel hoffnungsvoll. „Wir werden auch die nächsten Jahrzehnte überstehen“, so Rasehorn.
Als der Unternehmer das Traditionshaus im Jahr 2003 übernahm, ahnte er möglicherweise nicht, wie schwer die kommenden Jahre an der Spitze der Schreibwarenkette werden würden. Es wurden in den vergangenen Jahren immer weniger Briefe geschrieben, Kalender auf Papier wurden seltener gekauft, das Versenden von Postkarten war angesichts von Facebook und Instagram ein Auslaufmodell, weil im Netz ohnehin jeder sieht, wo man gerade seinen Urlaub mit wem auch immer verbringt. Und dennoch: „Ich würde es nochmals tun“, sagt Rasehorn auf die Frage, ob er Schacht & Westerich auch unter den heutigen Bedingungen nochmals übernehmen würde.
Schacht & Westerich ist nicht der einzige Leidtragende der Branche durch die aktuellen Umwälzungen infolge der Digitalisierung. Selbst das große Berliner Schreibwarenunternehmen Herlitz hat vor zwei Jahren Großteile seines Geschäfts an Pelikan verkauft.
Große Unternehmensketten verdrängen immer mehr kleine Familiengeschäfte
Neben den veränderten Rahmenbedingungen haben sich in der Innenstadt die Mieten nach oben verändert. Immer mehr Kaufleute können die Pachten zum Beispiel in der Edelmeile Neuer Wall nicht mehr bezahlen. Einige Geschäfte zogen bereits in günstigere Lagen, wie etwa auch das britische Unternehmen Habitat, das nun am Großen Burstah eine neue Heimat gefunden hat.
Im Gegenzug kamen neue Namen in die City, die meist weltweit bekannt sind. Kettenbetriebe wie Bally oder Chanel zogen nach Hamburg und verdrängten zum Teil Geschäfte mit hanseatischen Wurzeln. Die Entwicklung, die in Einkaufszonen wie der Mönckebergstraße schon lange zu einer Austauschbarkeit mit anderen Städten geführt hat, vollzieht sich weiterhin in Hamburg. Die Wettbewerbssituation für die familiengeführten Unternehmen in der Stadt dürfte sich auch in Zukunft kaum entspannen.