Hamburg. Gewerkschaft und Arbeitgeber erzielen Einigung für die 60.000 Beschäftigten in Hamburg. Doch das Problem der Tarifflucht ist damit nicht gelöst.
Es war eine kurze, aber offenbar ausgesprochen produktive Verhandlungsrunde: Gegen 11 Uhr kamen Gewerkschafter und Arbeitgeber gestern im Seminarhaus des Hamburger Otto-Konzerns zusammen, etwa drei Stunden später präsentierten sie ihr Ergebnis: Die Löhne für die etwa 60.000 Beschäftigten im Hamburger Einzelhandel steigen zum 1. August um 2,5 Prozent. Im Mai 2016 folgt dann eine weitere Anhebung der Entgelte um zwei Prozent. Die Vergütungen für die Auszubildenden werden entsprechend jeweils zum September angehoben. Der Tarifvertrag hat eine Laufzeit von 24 Monaten bis zum 30. April 2017.
Zu der raschen Einigung in Hamburg dürfte vor allem der Pilotabschluss in Baden-Württemberg beigetragen haben, der in der vergangenen Woche ausgehandelt wurde. Der Kompromiss in der Hansestadt unterscheidet sich nur in Nuancen von dem Ergebnis im Südwesten der Republik. Zuvor hatte auch schon Schleswig-Holstein die Eckdaten aus Baden-Württemberg für den eigenen Tarifvertrag für rund 90.000 Beschäftigte übernommen.
Arbeitgeber wie Arbeitnehmer werteten den Abschluss als vertretbar. „Wir sind in den Gesprächen an die Grenze des Machbaren gegangen“, sagte der Hamburger Geschäftsführer des Einzelhandelverbands Nord, Wolfgang Linnekogel. Die Konsumlust der Bürger habe sich angesichts der Krise im Euroraum zuletzt deutlich abgekühlt, weshalb die Prognose von einem Umsatzplus von 1,8 Prozent zu Beginn des Jahres kaum noch zu halten sei. „Die wirtschaftliche Lage insbesondere im Textilhandel ist nicht gerade einfacher geworden.“
„Es ist uns gelungen, eine spürbare Reallohnsteigerung für die Beschäftigten auszuhandeln“, erklärte die Verhandlungsführerin der Gewerkschaft, Heike Lattekamp. „Zudem konnten wir – entgegen des ursprünglichen Ansinnens der Arbeitgeber – die Erhöhungen in beiden Jahren tabellenwirksam vereinbaren.“ Die Arbeitgeber hatten zunächst 1,5 Prozent Lohnerhöhung im ersten Jahr und eine Einmalzahlung von 215 Euro für 2016 angeboten.
Schmerzlich ist für die Gewerkschaft allerdings, dass es einmal mehr nicht gelungen ist, eine Allgemeinverbindlichkeit für die Tarife zu vereinbaren. Damit hätte aus Sicht Lattekamps verhindert werden können, dass der Verdrängungswettbewerb in der Branche nicht noch weiter durch „Dumpinglöhne“ angeheizt wird. Doch bei dieser Forderung stieß Ver.di auf der Arbeitgeberseite auf Granit.
Die Tarifflucht im Einzelhandel ist ein ernstes Problem. In Hamburg werden nach den Worten Linnekogels gerade einmal noch 26 große Unternehmen die Abschlüsse direkt übernehmen. Das sind vor allem große Supermarktketten wie Aldi, Lidl oder Rewe, sowie die Warenhauskette Kaufhof oder der Versandhandelskonzern Otto. Andere Hamburger Firmen wie beispielsweise die Drogeriekette Budnikowsky oder der Modehändler Tom Tailor orientieren sich zwar an den ausgehandelten Abschlüssen, setzen aber seit Jahren auf ein eigenes Entgeltsystem, in dem andere Berufsgruppen als im allgemeinen Tarif vorkommen.
Auch einstige Träger des Flächentarifs wie etwa die Warenhauskette Karstadt haben sich mittlerweile wegen akuter Finanzprobleme weitgehend aus der Tarifbindung verabschiedet. Nur bei den vergleichsweise gut laufenden Luxushäusern KaDeWe, Alsterhaus und Oberpollinger war es der Gewerkschaft nach zähen Verhandlungen gelungen, diese zurückzuholen.
Zuletzt war die Metro Tochter Real mitten in den laufenden Verhandlungen aus der Tarifbindung ausgeschert. Metro-Chef Olaf Koch hatte kritisiert, Konkurrenten hätten wegen der Struktur der Tarifverträge oder des Ausstiegs aus den Verträgen deutlich bessere Kostenstrukturen als Real. Dies sei auf Dauer nicht hinnehmbar.
Die Forderung der Gewerkschaft nach Allgemeinverbindlichkeit der Tarifverträge bezeichnete Verbandsgeschäftsführer Linnekogel als illusorisch. „Darauf können wir uns nicht einlassen, weil die Tarifstruktur viel zu unflexibel für kleine und mittlere Betriebe ist“, sagte er. Für einen kleinen Ladenbesitzer sei es überlebenswichtig, den Beschäftigten weniger Urlaub oder Weihnachtsgeld zu gewähren, wenn die Geschäfte nicht so liefen wie ursprünglich angenommen.