Matthias Iken über die Ansichten eines Gestalters und Bewahrers, der in der Tradition Fritz Schumachers steht.

Es gibt Städte, die bezaubern durch ihr Panorama. Und es gibt Städte, die stolz auf ihre perfekte Infrastruktur sind. Doch es gibt nur eine Stadt, in der Zugreisende direkt durch das Panorama gleiten, in der man die Silhouette für eine Fototapete halten könnte. Gäbe es die Lombardsbrücke nicht, man müsste sie sofort bauen. Volkwin Marg schaut zugleich zufrieden und ungehalten auf das Bild, das da vor ihm liegt. Zum einen ist es das grandiose, sensible Stadtpanorama, zum anderen drängen sich an den Seiten aber ein paar Bausünden ins Bild – der Bankenneubau am Neuen Jungfernstieg oder das ehemalige Unilever-Haus, das nach der Aufstockung 2011 zu hoch emporragt.

Man muss dem bekannten Architekten keine wortgewaltigen Zitate entlocken, sie sprudeln aus ihm bei diesem Alsterspaziergang heraus. Der 78-Jährige ist leidenschaftlich wie ein junger Mann, sein Ja ist ein Ja, sein Nein ein Nein. Die Kritik ist deftig, das Lob überschäumend. Wer mit Marg spricht, dem gebürtigen Königsberger, hört immer wieder seine Begeisterung für Hamburg heraus. „Diese Stadt hat Identität“, sagt er. „Hanseaten protzen nicht, das hat Hamburg gut getan.“ Die Stadt hat keine Paläste, kein Schloss, sie ist stets Metropole der Bürger und Kaufleute gewesen.

In dieser Beziehung ist Hamburg Danzig nicht unähnlich, der Stadt seiner Kindertage, die Marg nach dem Zweiten Weltkrieg verlassen musste. „Danzig hat ein vom Mittelalter geprägtes Profil“, sagt der Architekt. Er wuchs mit Blick auf Altstadt und Hafen auf – und will heute den Blick auf die Elbe nicht missen. Ihn fasziniert der Hafen mit seiner „reinen Ingenieursästhetik“. „Hier finden wir den einzigen Welthafen mitten in der Stadt“, sagt Marg. „Diese Sensation gibt es nirgends mehr.“ Und noch etwas hat ihn in Hamburg heimisch werden lassen: „Es ist eine grüne Stadt, die vom Gegensatz zwischen Marsch und Geest lebt. Sie geht in die Fläche, nicht in die Höhe.“

Das Architekturbüro von Gerkan, Marg und Partner residiert an der Elbchaussee. Hier entstanden die Planungen für Flughäfen, WM-Stadien, die HafenCity und eine neue Stadt in China, die sich Hamburg zum Vorbild nimmt.

Die Gestaltungssatzungen für Alster und Rathausmarkt gelten seit 100 Jahren

Spricht man über Hamburg und Architektur, fällt sogleich der Name, der beides untrennbar verbindet: Fritz Schumacher, der 1908 zum Baudirektor und Leiter des Hochbauwesens in Hamburg berufen wurde und die Stadt wie kein zweiter prägte. Schumacher sprach vom Kunstwerk Hamburg. „Und er hat viel dazu beigetragen, dass es bis heute eines ist“, sagt Marg. Mit seinen strengen, bis heute gültigen Gestaltungssatzungen für Rathausmarkt, Kleine Alster, Binnenalster und Außenalster hat er Maßstäbe gesetzt. „Schumacher hat durch seine Gestaltungssatzungen verhindert, dass das Antlitz der Stadt vernichtet wird.“

Versuche gab es reichlich. „Anfang des 20. Jahrhunderts wollten viele Geschäftsleute auffällige Lichtwerbungen an ihren Fassaden anbringen und den Gebäuden Türme aufpflanzen – auch Hapag Lloyd.“ Die Gestaltungssatzung für die Binnenalster verhinderte es. Die Vorschriften verlangten, dass sich alle an die Traufhöhe zu halten hatten und die Dächer mit Kupfer gedeckt werden mussten.

Gerade in einer Zeit, als die Stadt stürmisch wuchs, definierte Schumacher Regeln. Damit nicht genug. „Indem er die traditionsreiche Backsteinarchitektur zum Grundthema seines Entwerfens machte, hat er eine Baukonvention geschaffen, die sich bis heute immer wieder neu belebt“, lobt Marg. Der Backstein bringt vielfältige Bauten stofflich zusammen trotz unterschiedlicher Baustile, seien es Heimatstil, Expressionismus oder moderner Internationalismus. In seinem Architekturführer „Architektur in Hamburg seit 1900“ schrieb Marg: „In ihr bildeten sich auch emotionale Werte, denn Backstein und Sprossenfenster sicherten den neuen großmaßstäblichen Wohnblocks Heimatgefühle und einen Hauch von Überlieferung.“

Auch die Alster ist ein Hamburger Kunstwerk. „Schumacher wollte einen steinernen Rahmen aus Häusern schaffen – natürlich ohne Hochhäuser“, sagt Marg. In Hamburg verbanden sich früh sozialdemokratische Politik und republikanische Tradition. „Private Bauten haben sich dem Gemeinwohl zu fügen und nicht umgekehrt“, sagt Marg. Auch die Ufer der Außenalster sind für alle frei zugänglich – die letzten Freilegungen gelangen erst nach dem Krieg. Die Alstertal-Terrainklausel sicherte den Grünzug des Alstertals und Wanderweg für alle Bürger. „Ähnliches gelang dem damaligen Altonaer Baudirektor Gustav Oelsner, der die privaten Parks der Kaufleute entlang der Elbe aufkaufte, ihre Parzellierung verbot und mit dem Elbuferweg eine Kette von Parks am Strom schuf.“

Marg hat nicht nur Bücher über Hamburgs Geschichte geschrieben, er kann sie auch aus dem Stegreif als große Erzählung rezitieren. „Schon Schumacher wollte, dass sich Hamburg nicht allein auf die zum See aufgestaute Alster bezieht, sondern sein Antlitz auch der Elbe zuwendet.“

Ein 200 Meter hohes Projekt der Neuen Heimat brachten die Bürger zu Fall

Die Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs lösten einen Wiederaufbau im Geiste einer neuen „Stadtlandschaft“ aus. Die aufgelockerte Stadt, das Ideal der 1950er-Jahre, entstand infolge des Kahlschlages der Flächenbombardements. „Neu-Altona war auch eine solche Antwort auf das Bombardement Gomorrha“. Marg gehört zu den Mahnern, die schon zu Beginn der 70er-Jahre auf das überlieferte Stadtbild und die prägende Bedeutung der „Wasserseiten Hamburgs“ hinwiesen. Immer wieder hat er Fehlentwicklungen und „Planungssünden“ angeprangert, etwa 1978 in einem Essay für die „Welt“. Als humanistisch geprägter Architekt mischte er sich in öffentliche Debatten ein und warnte: „Das Kunstwerk Hamburg darf nicht zerstört werden.“ Zuletzt machte er Schlagzeilen, weil er sich eindringlich für die Instandsetzung der als Denkmal geschützten City-Hochhäuser am Hauptbahnhof ausspricht, die viele Hamburger wegen ihres jämmerlichen Zustandes lieber heute als morgen abreißen würden.

„Die Nachkriegsmoderne ist nicht gescheitert. Sie wollte einen radikalen gesellschaftlichen Neubeginn und aus der Not die Tugend sparsamer Sachlichkeit machen.“ Das Geld sei damals eben nicht in Repräsentationsbauten, sondern in den sozialen Wohnungsbau geflossen. „Der Bau von zwölf Millionen Wohnungen für Heimatvertriebene und Ausgebombte bleibt eine beeindruckende Leistung.“

Zugleich sieht er viele Nachkriegsentwicklungen durchaus kritisch. „Gerade in den 50er- und 60er-Jahren hatte man keine Scheu, Hochhäuser an unpassender Stelle zu bauen, eine ähnliche Entwicklung wie in Frankfurt.“ Etliche Wolkenkratzer wuchsen in den Himmel: Das „Spiegel“-Hochhaus, das IBM-Hochhaus, das als Metapher die Lochkarte aufgreift, der Bau für Hamburg Süd, als Verweis auf das Leverhochhaus in New York, oder das Hochhaus des Deutschen Rings, „wie ein Kleiderschrank im Kinderzimmer“, vis-à-vis zum Hamburger Wahrzeichen, dem Michel, aufgestellt. „Das Hochhaus war in der Zeit des lädierten Selbstvertrauens wie eine Beschwörung amerikanischer Wirtschaftskraft für das deutsche Wirtschaftswunder.“

Einige Missgriffe waren dabei, die heute das Stadtbild beeinträchtigen und den Panorama-Blick von der Alster stören. Die Mundsburg-Türme gehören dazu. Marg nennt deren Bau samt monströsem Einkaufszentrum „vollkommen grotesk“, selbst die Straßenführung war „von der Zeitmode besoffen“.

Eine noch größere Verirrung scheiterte am Widerstand Hamburger Bürger. Der gewerkschaftseigene Wohnungsbaukonzern Neue Heimat hatte 1966 die Pläne eines Alsterzentrums präsentiert. Ein 200 Meter hohes und 700 Meter langes Ungetüm mit bis zu 67-stöckigen Wohntürmen sollte den Stadtteil St. Georg komplett plattmachen. „Das Alsterzentrum war die Stilblüte eines rabiaten Urbanismus, der auf Amerika konzentriert war, man dachte, aus den USA komme die Zukunft“, sagt Marg, der ein Jahr zuvor mit Meinhard von Gerkan sein Büro in Hamburg eröffnet hatte. „Ich war erschrocken über die Kahlschlagsanierung von St. Georg. Es war aus hanseatischer Sicht ein barbarischer Akt, eine Mischung aus Sensations- und Profitgier.“

Die HafenCity nennt Marg ein„gelingendes Großprojekt“

Bald aber wuchsen die Zweifel an der Hochhausmanie, unter Oberbaudirektor Klaus Müller-Ibold begann man dann sogar, auf schon genehmigte Hochhäuser zu verzichten, zum Beispiel dort, wo stattdessen das Fleetinselquartier zwischen Herrengraben und Alsterfleet entstanden ist. „In Frankfurt waren die Dämme längst gebrochen, das historische Innenstadt-Profil zerstört.“ Hamburg hingegen habe auch aufgrund der wirtschaftlichen Randlage nahe der innerdeutschen Grenze Glück gehabt.

Die Stadt entwickelte sich nicht so stürmisch, zudem wurden zur Entlastung der Innenstadt schon früh große Bürobauten abseits in der City Nord geplant. Hier wuchsen in einer Parkstadt Solitäre in den Hamburger Himmel. „Die Erektionen der finanziellen Potenz gehören zum Imponiergehabe der Gesellschaft, die Kapitalkraft für ihr Profil hält“, kritisiert Marg. Solche Machtdemonstration, Machtattitüde habe eine lange Tradition. „Es gab sie schon in San Gimignano“, wo die Patrizier im Geschlechter-Wettstreit immer höhere Türme errichteten.

Gegen Hochhäuser an sich hat Marg aber nichts. „Gegen ein Hochhaus-Manhattan an den fernen Elbbrücken spricht nichts. Sie dürfen nur nicht das historische Profil der Stadt mit Bedeutungslosigkeiten versauen. Die Silhouette einer Stadt ist das Bedeutungs-Profil“, sagt Marg. In Hamburg dominieren die Hauptkirchen, der Rathausturm und der Fernsehturm. Nun kommt die 110 Meter hohe Elbphilharmonie hinzu, „eine Kathedrale der Kultur“. Marg gefällt dieser Bedeutungsanspruch.

Wohlwollend sieht der 78-Jährige auch die viel kritisierte HafenCity, zu deren Zustandekommen er schon 1996 mit einer vertraulichen Studie über die städtebauliche Entwicklung des Hafenrands beitrug. „Man muss das große Ganze sehen“, betont Marg. „Die HafenCity ist ein gelingendes Großprojekt. Zum ersten Mal wurden die Fehler der Nachkriegszeit nicht wiederholt.“ Statt einer Monostruktur gebe es einen Nutzungsmix aus Wohnen, Arbeiten, Freizeit und Kultur, aus historischer Speicherstadt und modernem Stadtquartier.

Kritisch betrachtet der Architekt hingegen das neue St. Pauli, die sogenannte „Hafenkrone“, die in den vergangenen Jahren auf dem Gelände der ehemaligen Astra-Brauerei in den Himmel gewachsen ist. Er bezeichnet sie als „unnötige Karikatur der Silhouette, in der sich Bedeutungslosigkeiten in den Vordergrund schieben“. Die törichte Touristen-Seilbahn zu den Operettenhäusern auf der anderen Elbseite sei glücklicherweise an den Bürgern gescheitert. „Die boomenden 60er- und 70er-Jahre waren die Zeit der Geschmacksverirrung“, sagt Marg. „Und das geht schon wieder los.“