Hamburg. Speicherstadt und Kontorhausviertel sind Weltkulturerbe. Im Abendblatt gibt es am Montag ein vierseitiges Special zur Titelvergabe.

Es ist geschafft: Die Hamburger Speicherstadt und das Kontorhausviertel mit dem Chilehaus werden in die Liste der Weltkulturerbestätten aufgenommen. Das Welterbekomitee der Unesco hat am Sonntag in Bonn dem Aufnahmeantrag zugestimmt.

Die Unesco selbst bezeichnet die Aufnahme in die Liste als Ritterschlag. Im Hamburger Abendblatt gibt es am Montag ein vierseitiges Special zu der Ernennung mit Hintergrundinformationen zur Speicherstadt und zum Kontorhausviertel mit dem weltberühmten Chilehaus.

Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) hat die Ernennung der Speicherstadt und des Kontorhausviertels zum Weltkulturerbe als große Ehre bezeichnet. „Ich freue mich außerordentlich über diesen Erfolg! Wir Hamburgerinnen und Hamburger dürfen stolz sein auf unsere neue Welterbestätte“, sagte Scholz. Es sei gelungen, das weltweit höchste Fachgremium von der nationalen wie auch internationalen Sonderstellung von Speicherstadt und Kontorhausviertel zu überzeugen. „Wir sind uns der großen Ehre bewusst und nehmen nun gern die Verantwortung für den Schutz und die Vermittlung dieses Erbes wahr“, sagte der Bürgermeister.

Staatsministerin Böhmer gratuliert der Hansestadt

Die Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Maria Böhmer hat Hamburg zur Aufnahme der Speicherstadt und des Kontorhausviertels in das Unesco-Weltkulturerbe gratuliert. „Das ist ein großer Tag für Hamburg“, sagte Böhmer als Vorsitzende des Unesco-Welterbekomitees am Sonntag unmittelbar nach der Entscheidung in Bonn. Der Komplex stehe für die Weltoffenheit Hamburgs und die deutsche Kaufmannstradition.

„Wir fühlen uns so gerührt und so erfreut“, sagte die Hamburger Kultursenatorin Barbara Kisseler. Kisseler (parteilos) hatte bereits im Vorfeld der Entscheidung des Welterbekomitees die Bedeutung der Gebäude hervorgehoben. „Kontorhausviertel und Speicherstadt schlagen heute die Brücke zwischen der Hamburger Innenstadt und der neuen Hafencity. Hier gelingt es auf vorbildliche Weise, Denkmäler lebendig zu halten und so für die Nachwelt auch erfahrbar zu machen“, sagte Kisseler.

Die Präsidentin der Deutschen Unesco-Kommission, Verena Metze-Mangold, erklärte, die Speicherstadt stehe nun in „einer Reihe mit den Pyramiden Ägyptens, dem Mont Saint-Michel, dem Tadsch Mahal, oder der Inkastadt Machu Picchu.“

Neben Mode- und Werbefirmen will die Kulturbehörde auch Künstlern bezahlbare Atelierflächen in der Speicherstadt zur Verfügung stellen. Ein erster Speicherboden mit neun Ateliers wurde 2007 umgebaut, bis 2019 sollen 10.000 Quadratmeter zu günstigen Konditionen zur Verfügung stehen.

Hamburg Tourismus erwartet steigende Besucherzahlen

Die Hamburg Tourismus GmbH sieht die Aufnahme der Viertel in die Weltkulturerbeliste als Motor für den Tourismus in der Hansestadt. „Die Geschichte einer Stadt und insbesondere die das Stadtbild prägende Architektur gelten weltweit als einer der bedeutendsten Reiseanlässe“, kommentierte Geschäftsführer Dietrich von Albedyll die Entscheidung. Das Unesco-Siegel als einzige international anerkannte Kulturmarke biete Orientierung bei der Auswahl eines Städtereiseziels. „Die Auszeichnung als Weltkulturerbe ist für Hamburg ein weiterer Meilenstein, um die Wahrnehmung im In- und Ausland als bedeutende Kulturmetropole zu schärfen“, sagte von Albedyll.

Eine Besichtigung der Speicherstadt ist für viele Touristen - neben einer Hafenrundfahrt - einer der Höhepunkte ihres Hamburg-Besuchs. Wo früher hinter malerischen Backsteinfassaden Kaffee, Kakao und Gewürze lagerten, haben sich in den vergangenen Jahren zahlreiche Touristen-Attraktionen angesiedelt, darunter mit dem Miniaturwunderland die größte Modelleisenbahn der Welt, das Hamburg Dungeon und das Speicherstadtmuseum. In Sichtweite liegen in der jungen Hafencity das Maritime Museum, die Elbphilharmonie und das Kreuzfahrtterminal Cruise Center.

„Das Alleinstellungsmerkmal des Hamburger Unesco-Weltkulturerbes ist, dass das Gebiet bereits umfassend touristisch erschlossen ist. Die Gäste finden eine ausgezeichnete Infrastruktur vor “, ergänzte Dietrich von Albedyll. Hamburgs Welterbestätten seien ein gutes Beispiel dafür, wie Geschichte erlebbar werde und auch einen Nutzwert für die Gegenwart biete.

Darüber hinaus sieht der Geschäftsführer auch Chancen für den Tourismus im ganzen Norden. „Hamburg bildet das Herzstück einer Unesco-Erkundungstour in Norddeutschland: Von Bremen über die Elbmetropole und Lübeck nach Wismar und Stralsund zieht sich eine spannende Route durch die deutschen Küstenländer“, so von Albedyll. Diese maritim geprägten historischen Altstädte seien eine große Chance für die Region, um insbesondere die Anzahl der ausländischen Gäste zu erhöhen.

Die Geschichte der Speicherstadt

 

Hamburg hatte die Speicherstadt dem Deutschen Reich einst abgerungen. Auf Wunsch des Reichskanzlers Otto von Bismarck sollte Hamburg bis 1888 in das deutsche Zollgebiet eingegliedert werden - was den Kaufleuten gar nicht gefiel. Sie pochten auf ihr Privileg, Importe zollfrei umzuschlagen, zu lagern und zu veredeln.

 

Der Kompromiss: Ein Freihafengebiet, das vom Anschluss an den Deutschen Zollverein ausgenommen war. 1881 wurde der Zollanschlussvertrag unterzeichnet. Es war der Startschuss für den Bau der Speicherstadt.

 

Weil die Lager der Kaufleute zuvor in der ganzen Stadt und damit im zukünftig zollpflichtigen Gebiet verstreut waren, musste ein Bauprojekt von heute unvorstellbaren Ausmaßen angeschoben werden. Ein ganzer Stadtteil fiel ihm zum Opfer. Mehr als 18.000 Menschen verließen notgedrungen ihre Häuser, damit 1885 mit der Errichtung der Speicher begonnen werden konnte.

 

Fast 60 Jahre war die Speicherstadt ein boomendes Quartier, bis im Zweiten Weltkrieg fast 50 Prozent der Gebäude zerstört wurden. Unter der Leitung von Werner Kallmorgen wurde das Viertel wieder aufgebaut.

 

Die Einführung der Container in den 1960er Jahren machte die Anlieferung per Schuten zu teuer. In den 1980er Jahren, als die einstigen Waren der Speicherstadt größtenteils an modernen Container-Terminals umgeschlagen wurden, hielten die Teppichhändler Einzug in das Quartier.

 

Noch heute gilt die Speicherstadt als weltweit größter Lager- und Handelsplatz für Orientteppiche, obwohl die Zahl der Händler dramatisch gesunken ist. „Früher gab es hier rund 400 Teppichhändler, heute sind es gerade mal 50“, sagt Holger Brands, Mitarbeiter bei Abulhassan Heidarinami aus dem Iran.

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Positive Erfahrungen an anderen Welterbestätten

Erfahrungen aus anderen deutschen Welterberegionen belegen, dass eine Aufnahme in die Liste der Unesco dem Tourismus neue Impulse geben kann. Beispiel Wartburg in Thüringen: Im Jahr der Aufnahme 1999 sind die Besucherzahlen sprunghaft angestiegen und auch in den nachfolgenden Jahren auf einem höheren Niveau geblieben. „Die Besucherzahlen mussten sogar beschränkt werden“, sagte Sandra Czerniak vom Tourismusverband der Welterberegion Wartburg Hainich e.V. dem Abendblatt. Die Bausubstanz der geschichtsträchtigen Burg ließ noch höhere Besucherzahlen nicht mehr zu.

Der mittelalterliche Stadtkern von Lübeck wurde bereits 1987 zum Weltkulturerbe ernannt. Laut Doris Schütz, Pressesprecherin der Lübeck und Travemünde Marketing GmbH, hat der Welterbetitel bei deutschen Touristen eine eher geringe Wirkung, aber „im Ausland ist es eine Marke, mit der wir punkten können.“

Auch die Hamburg Tourismus GmbH erwartet nach der Aufnahme der Speicherstadt und des Kontorhausviertels in die Welterbeliste gesteigertes Interesse bei ausländischen Gästen. „Insbesondere auf Menschen aus dem skandinavischen Raum, den USA oder China üben historische Altstädte und architektonische Raritäten eine hohe Anziehungskraft aus“, sagte Geschäftsführer von Albedyll.

Titel ohne Mittel

Mehr als 1020 Welterbestätten gibt es schon, und es werden jedes Jahr mehr. Das verschärft die sowieso schon prekäre Finanzlage der Uno-Kulturorganisation: Seit die Unesco Palästina 2011 als Vollmitglied aufgenommen hat, hat der größte Beitragszahler USA den Geldhahn zugedreht. Das bedeutet mal eben 22 Prozent weniger. So kommt es, dass für die Welterbe-Programme noch nicht einmal fünf Millionen Euro im Jahr zur Verfügung stehen.

Davon fließen mittlerweile 80 Prozent in die Bewertung und Überprüfung der Stätten. „Das ist in der Tat ein kritischer Punkt“, sagt die Vorsitzende des Welterbekomitees, Staatsministerin Maria Böhmer (CDU), in einem Interview der Deutschen Presse-Agentur. „Bei den Finanzen knirscht’s.“ Dennoch ist sie keinesfalls dafür, die Liste zu schließen: „Qualitätsvolle Welterbestätten sind immer willkommen.“

Stephan Dömpke, Vorsitzender des Berliner Vereins World Heritage Watch, hält die immer länger werdende Liste dagegen für höchst problematisch. „Denn mit der zunehmenden Zahl geht unweigerlich eine schleichende Entwertung einher.“ Man müsse sich darüber einigen, wie man zu einem Ende der Liste kommen könne.

Doch ein solcher Aufnahmestopp erscheint illusorisch - denn mit dem Welterbetitel sind handfeste wirtschaftliche Interessen verknüpft. Viele Kulturreise-Veranstalter steuern inzwischen nur noch Regionen an, die auch Welterbestätten vorweisen können. In dieser Hinsicht ist das Welterbekonzept ein Opfer seines eigenen Erfolgs: Immer mehr Länder wollen sich mit noch mehr Einträgen profilieren.

Auf der Welterbeliste der Unesco stehen inzwischen mehr als 1020 Natur- und Kulturstätten in über 160 Ländern. Deutschland weist mit der Aufnahme der Hamburger Speicherstadt nun 40 einzigartige Stätten von universellem Wert auf.

Nach den aktuellen Entscheidungen in Bonn ergibt sich nach einer Aufstellung der deutschen Unesco-Kommission folgendes Ranking:

1. Italien - 51 Welterbestätten

2. China: 48

3. Spanien: 44

4. Frankreich: 41

5. Deutschland: 40

Dömpke fordert stärkere Beteiligung der Zivilgesellschaft

Auch innerhalb der Unesco wird eine zunehmende Politisierung der Entscheidungen beklagt. Dömpke kritisiert: „In den vergangenen Jahren wurde nahezu die Hälfte aller Entscheidungen gegen das Votum der beratenden Fachorganisationen getroffen. Das muss dringend aufhören, sonst verliert das Welterbe seine Glaubwürdigkeit.“ Außerdem müsse die Unesco die Zivilgesellschaft stärker beteiligen: „Nur die lokale Bevölkerung ist ständig vor Ort und kann frühzeitig Gefährdungspotentiale erkennen.“

Wenn die Stätten erst einmal auf der Liste sind, werden sie häufig auch von reichen Ländern vernachlässigt. Hier ist die Unesco allerdings nicht machtlos: Sie kann mit dem Entzug des Titels drohen. Das Naturerbe Great Barrier Reef entging in Bonn nur deshalb der Roten Liste, weil die australische Regierung die Umsetzung eines umfassenden Schutzplans versprach.

Armen Ländern fehlen dafür die Mittel - sie sind auf Hilfe angewiesen. Am Donnerstag ging es bei der Bonner Tagung um Nepal. Das Erdbeben hat dort die zum Welterbe gehörenden Tempel von Kathmandu verwüstet. Die Unesco ist zum Wiederaufbau entschlossen. Der Zeitrahmen: mehrere Jahrzehnte. Die Kosten: nicht zu beziffern.