Berlin/Hamburg . Der Tarifstreit bei der Bahn ist nach etlichen Streiks beendet. Die Einigung gilt für 160.000 Beschäftigte – auch für Zugbegleiter.
„Wenn Sie über den Tisch eine Glühbirne zwischen die Verhandlungspartner gehängt hätten, die hätte geleuchtet.“ So schilderte Brandenburgs früherer Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) die Spannungen zwischen der Bahn und der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) im Tarifkonflikt. Die Gespräche seien „für zartbesaitete Gemüter nicht unbedingt geeignet“ gewesen, sagte Platzeck, der zusammen mit dem thüringischen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow (Linke) vor fünf Wochen das Schlichtungsverfahren aufgenommen hatte.
Nach insgesamt einem Jahr und etlichen Streiks ist der Tarifkonflikt bei der Bahn nun beendet. „Damit können alle in Ruhe ihre Urlaubsfahrkarten kaufen“, so Ramelow. Die GDL konnte spürbare Einkommenserhöhungen und eine Verkürzung der Arbeitszeit erreichen. Die Entgelte steigen bereits zum 1. Juli um 3,5 Prozent und am 1. Mai nächsten Jahres um weitere 1,6 Prozent. Hinzu kommt eine Einmalzahlung von 350 Euro.
Im Jahr 2018 sinkt nach den Worten von GDL-Chef Claus Weselsky die wöchentliche Arbeitszeit des Zugpersonals um eine Stunde auf 38 Stunden. Zudem gibt es Regelungen zur Altersteilzeit und zu Überstunden sowie Neueinstellungen. 100 Zugbegleiter und 300 Lokführer würden nun zusätzlich eingestellt, kündigte Ramelow an. Sie sollen dazu beitragen, bis Ende 2017 eine Million Überstunden alleine bei den Lokomotivführern abzubauen.
„Aus unserer Sicht ist das ein sehr vernünftiges Ergebnis“, sagte Bahn-Personalvorstand Ulrich Weber am Mittwochmittag in einer Telefonpressekonferenz zu der Einigung. Es sei zwar eine „unnötig harte Auseinandersetzung“ gewesen, die Streiks hätten das Unternehmen 480 Millionen Euro gekostet. „Aber wir sind in unseren Positionen konsequent geblieben und haben unser tarifpolitisches Ziel erreicht: Es wird keine Mitarbeiter erster und zweiter Klasse geben.“ Denn die jetzt erreichte Einigung entspricht dem Ergebnis, das die Bahn bereits im Mai mit der größeren Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) erzielt hatte.
Insgesamt 16 Verträge unterschrieben
Das Kernproblem der langwierigen Auseinandersetzung bestand im Ziel der Lokführergewerkschaft, auch für Berufsgruppen zu verhandeln, für die bisher die EVG die Tarifverträge gemacht hatte – etwa die Zugbegleiter, Bordgastronomen und Lokrangierführer. GDL-Chef Weselsky hatte Tarifabschlüsse für jede in der Gewerkschaft organisierte Berufsgruppe verlangt.
Die Bahn hingegen wollte dabei widerspruchsfreie Regelungen für alle Mitarbeiter unabhängig von deren Gewerkschaftszugehörigkeit erreichen. Für gleiche Tätigkeiten solle es gleiche Bezahlung und gleiche Arbeitszeiten geben. Nach Angaben der Schlichter wurden daher jetzt insgesamt 16 Verträge, die insgesamt 450 Seiten umfassen, unterschrieben. Der Tarifvertrag läuft bis zum 30. September 2016.
Das Schlichtungsverfahren sollte ursprünglich nur drei Wochen dauern, war jedoch zwei Mal mit Verweis auf die Komplexität der Aufgabe verlängert worden. Platzeck sagte, zwischenzeitlich habe es auch einen Abbruch gegeben. Zu Beginn der Schlichtung sei die Lage „äußerst angespannt“ gewesen, beide Seiten hätten „über Hürden springen“ müssen. Nun sei der „Tariffrieden“ bei der Bahn aber wieder hergestellt, so Platzeck. Er sprach von einem „Abschluss mit Vernunft und Augenmaß.“
Vorausgegangen war ein monatelanger Streit, der wechselseitig mit schweren Vorwürfen und hart im Ton geführt wurde. Die GDL hatte in diesem und im vergangenen Jahr insgesamt neun Mal gestreikt und dabei den Bahnverkehr in großen Teilen zum Erliegen gebracht, zuletzt im Mai. Millionen Fahrgäste mussten angesichts von Zugausfällen und Verspätungen umplanen. Auch die deutsche Wirtschaft klagte über hohe Kosten durch die Arbeitsniederlegungen.
400 neue Jobs in Hamburg
Der Fahrgastverband Pro Bahn zeigte sich erfreut über die Einigung. „Der Streik hat dem System mehr geschadet, als es ihm genutzt hat“, sagte der Pro-Bahn-Ehrenvorsitzende Karl-Peter Naumann der „Rheinischen Post“. Für die Kunden sei es wichtig und gut, im Sommer keine Streiks mehr befürchten zu müssen.
Nach Angaben von Bahn-Personalvorstand Weber profitieren 160.000 Kollegen von dem Tarifabschluss. In Hamburg ist das Unternehmen mit rund 8500 Beschäftigten der sechstgrößte Arbeitgeber. Durch die Vergabe von Aufträgen im Dienstleistungsbereich und in die Zulieferindustrie sichere die Bahn zudem weitere 1000 Jobs an der Elbe, hatte die Konzernbevollmächtigte für Hamburg und Schleswig-Holstein, Manuela Herbort, kürzlich gesagt.
In diesem Jahr suche die Bahn rund 400 neue Mitarbeiter in der Hansestadt. Darüber hinaus gehöre das Unternehmen in Hamburg mit aktuell 589 Azubis zu den großen Ausbildern.