In einer ARD-„Doku“ deckt der Hamburger Komiker die Wahrheit über Franz Beckenbauer auf. Olli Dittrichs Film ab 18 Uhr in der Mediathek.
„Irgendwann, irgendwann is a mal guad, ja.“ Schorsch Aigner hat keine Lust mehr. Seit über 50 Jahren nichts als Stress, kaum mehr Freizeit, immer fremdbestimmt, nie selbst entscheiden können. Der ARD erzählt er exklusiv seine Lebensgeschichte. Und gleichzeitig die eines der bekanntesten Gesichter des Weltfußballs. Denn Schorsch Aigner ist „Der Mann, der Franz Beckenbauer war“.
Man hatte es ja schon beinahe geahnt: So umtriebig und gleichzeitig stets präsent kann ein Mann allein gar nicht sein. Es begann als Zufall. Gleich neben Aigner und seiner Frau Elfriede zog in den 60er-Jahren Robert Schwan ein, der damalige Manager von Beckenbauer. Dem fiel auf, wie ähnlich die Stimmen der beiden Männer klangen.
Und als sein Zögling einmal mehr verhindert war, bat er Aigner, einen Werbespot, bei dem es Tonprobleme gegeben hatte, neu einzusprechen. „Da gab’s auch a bisserl Geld dafür. 250 Mark, glaub ich. Ja, so ging’s los, ja“, erinnert sich Aigner an den Beginn seiner Bilderbuch-Karriere im Geheimen.
Die Recherchen des Autorenteams untermauern die Erzählungen Aigners
Die Dokumentation aus der renommierten Reihe „Historystory Spezial“ lüftet in einer schmalen halben Stunde mehr Geheimnisse aus Beckenbauers Leben, als man dort je vermutet hätte. Sein musisches Talent, das so gar nicht zum Bild des Kickers passt. Die Schulterverletzung beim „Jahrhundertspiel“ gegen Italien 1970, nach der er trotzdem Autogramme gab. Sein unerklärliches Formtief 1975. Und natürlich die legendäre Weltreise im Vorfeld der Fußball-WM 2006, bei der sich schon damals alle fragten, wie ein Mann allein in so kurzer Zeit so viele Staaten besuchen kann.
Die Recherchen des Autorenteams – unabhängig vom Rechercheverbund aus WDR, NDR und „Süddeutscher Zeitung“ – untermauern die Erzählungen Aigners. Dieter Kürten zum Beispiel sei schon 1970 klar gewesen, dass Beckenbauer einen Doppelgänger haben müsse: „Der hatte ja ein Programm wie ein Popstar.“
Andere Weggefährten aus der langen Karriere Beckenbauers wie Uwe Seeler, Guido Buchwald und Jörg Wontorra kommen ebenfalls zu Wort, das Erstaunliche: Keiner scheint wirklich überrascht zu sein, dass der Kaiser ein Double hatte. Bis auf Goleo, den Löwen ohne Hose, der seinen Studentenjob bei der WM 2006 eigentlich dazu nutzen wollte, seinen Idolen einmal nahe zu kommen und nun feststellen muss, dass weder Beckenbauer noch Sepp Blatter anwesend waren.
Ein Geniestreich Olli Dittrichs
So offenherzig wie in dieser Dokumentation ist wohl noch nie über Schwindeleien im Profi-Fußball gesprochen worden. Was damit zusammenhängen könnte, dass „Schorsch Aigner – Der Mann, der Franz Beckenbauer war“ eigentlich gar keine Dokumentation ist. Sondern der neueste Geniestreich von Comedian Olli Dittrich. Der spielt den Mann, der seit 50 Jahren Franz Beckenbauer spielt, so trocken, so passgenau in Optik, Akustik und Habitus, so urkomisch, dass es eine wahre, ungetrübte Freude ist.
Irgendwann beginnt man tatsächlich, darüber nachzudenken, ob Beckenbauer nicht vielleicht doch ein Double gehabt hat, zumindest damals, als er Jules Verne und Hans-Dietrich Genscher durch seine Tour de Force rund um den Globus ernsthaft Konkurrenz machte.
Der Spaß am Verwirrspiel kann nicht einmal durch die unterirdische Sendezeit gemindert werden, zu der die ARD Dittrichs Film vergraben hat. Ist irgendjemandem beim Ersten eigentlich schon mal aufgefallen, dass unter der Woche um 23.30 Uhr nicht mehr allzu viele Menschen fernsehen? Augenscheinlich nur den Kollegen, die fürs Internet zuständig sind. Die haben sich Schorsch-Franz-Olli für die ARD-Mediathek gesichert und dürfen ihn schon ab 18 Uhr zeigen. Ein kleiner Trost, aber immerhin.
Was der echte Beckenbauer von seinem Double hält, erfährt man leider nicht
Dabei könnte das Timing wirklich kaum besser sein: Das Interesse an Enthüllungsgeschichten aus der Welt des Fußballs war – der Fifa sei Dank – wohl noch nie so groß wie augenblicklich – ob sie real oder extrem gut erfunden sind, ist da zunächst einmal zweitrangig. Und Schorsch Aigner, diese treue Seele, trägt sein Scherflein dazu bei, das Bild des Kaisers vom Schatten der Fußball-WM in Katar reinzuwaschen.
Der Satz „Ich hab noch nicht einen einzigen Sklaven in Katar gesehen“, den hat nämlich nicht Beckenbauer in die Mikrofone der Weltpresse gesprochen, als er sich ein Bild von den Arbeitsbedingungen im Emirat am Persischen Golf machte. Sondern der Aigner-Schorsch. Aber seine Schuld war es nicht, dass er so grundlegend falsch verstanden worden ist. Sondern die der eifrigen Souffleure im Hintergrund, die das Beckenbauer-Double sein ganzes Leben lang mit dem versorgt haben, was sich das Original zu diesem, jenem und allem denkt.
Bloß was der wirklich wahre Franz Beckenbauer von seinem Double hält, das erfährt man leider nicht. Vermutlich hat der Kaiser einfach keine Zeit mehr für Fernsehanfragen, jetzt, wo er sie alle wieder selbst beantworten muss.
„Schorsch Aigner – Der Mann, der Franz Beckenbauer war“, Do 23.30 Uhr, ARD; ab 18 Uhr in der ARD Mediathek