Hamburg. Die Freibadsaison beginnt leider ohne Einverständnis des Wetters. Doch einige genießen gerade jetzt die Ruhe der 50-Meter-Bahn.

Bis 16.47 Uhr herrscht Leere, absolute Leere. Nur zwei Gänse und ein paar Enten ziehen ihre Bahnen. Akbar Moradi und sein Kollege Mario Borchers wollen gerade Feierabend machen, da taucht doch noch der erste Badegast am Kassenhäuschen auf. Sie beschließen, ihren Arbeitstag noch nicht enden zu lassen. Lange wird Triathlet Christoph Wrede ohnehin nicht bleiben, er will nur eine halbe Stunde „Freiwasser-Training“ absolvieren. Im Naturbad im Stadtpark. Bei 15 Grad Wassertemperatur.

Es ist Mitte Mai, und Hamburg besticht mal wieder durch strahlend grauen Himmel. Die Freibadsaison 2015 läuft seit zwei Wochen. Eher bescheiden. Nur vier von elf Freibädern der städtischen Bäderland GmbH haben geöffnet. Auch die Freibäder Kiwittsmoor in Langenhorn oder das Strandbad Farmsen haben ihren Saisonstart „witterungsbedingt“ verschoben. Die Liegewiese im Kaifu-Bad, sonst ein Hort des kultivierten Gedränges, kann ein Handtuch aufweisen. Würden nicht sechs unerschrockene Schwimmer das 50-Meter-Becken durchpflügen, könnte man das Eimsbüttler Freibad für geschlossen halten. „Wir sind noch nicht nervös wegen des schleppenden Beginns“, sagt Bäderland-Sprecher Michael Dietel. „Aber natürlich hoffen wir auf Juni, Juli und August.“

Einige Schwimmer lieben es aber genau so. Schön kühl, schön ruhig, schön leer. Eine Mischung aus sportlichem Ehrgeiz und ungestörtem Freizeitvergnügen – bestes Schwimmwetter derzeit. Nehmen wir nur Triathlet Wrede im Stadtpark: „Es ist wichtig, sich im trüben Wasser orientieren zu können, um beim Wettkampf auf geradem Weg möglichst schnell zum Ziel zu kommen“, sagt er. Sobald das Naturbad öffne, trainiere er lieber hier – wenn auch im Neoprenanzug. Seit dem 11. Mai waren lediglich 45 andere Gäste genauso entschlossen wie er.

Im Kaifu-Bad sind es immerhin 30 bis 40 Besucher täglich. Bei beheizten 21 Grad lässt sich die Leere der 50-Meter-Bahn aber auch leichter genießen. „Man kann mal richtig schwimmen“, sagt etwa Sönke Nissen. Das Wetter sei da fast egal. Einen Kilometer ist er heute geschwommen. In der Hochsaison hätte er dafür einen Zickzackkurs im beliebten Kaifu-Bad einschlagen müssen. „Ich gehe lieber jetzt schwimmen, wenn ich das Becken fast für mich habe“, sagt der 63-jährige Freiberufler. Als gebürtiger Nordfriese sei er Kummer mit dem Wetter gewöhnt. „Ab 15 Grad geh’ ich ins Wasser.“

Demnach würde er ideale Bedingungen im Stadtpark vorfinden. Doch dorthin verirren sich derzeit nur besonders Hartgesottene und Profischwimmer. Nach Triathlet Wrede kommt Gast Nummer zwei an diesem Tag: Ingo Jongschlager, ebenfalls Triathlet. Der Hohenfelder ist das „Kachelzählen“ in Hallenbädern leid und freut sich, dass das Bad im Stadtpark wieder aufhat. Im Juni wolle er am Triathlon in Lübeck teilnehmen. Keine zehn Minuten später verkauft Mario Borchers sogar die dritte Eintrittskarte. Wieder ein junger Mann, der sich auf einen Wettkampf vorbereiten will. „Na, da hat es sich ja gelohnt, dass wir nicht geschlossen haben“, sagt sein Kollege Akbar Moradi.

Im vergangenen Jahr zählte Bäderland 165.000 reine Freibadbesucher in Hamburg, im Jahr davor sogar 197.000. Momentan scheinen diese Zahlen unerreichbar. „Wirtschaftlich wichtig“, sagt Sprecher Michael Dietel, „sind die Ferienwochen“. Sobald die Temperaturen wieder steigen, könnten sehr flexibel auch die restlichen Freibäder geöffnet werden. Momentan sei wichtig, dass Besucher auch ein Hallenbad nebenan hätten. Darum seien bis auf das Stadtparkbad nur Kombi-Bäder geöffnet. Wie das Kaifu-Bad.

Dort arbeitet Jürgen Peters an seiner Kraultechnik. Er hat sich den Hamburg-Triathlon vorgenommen und im Winter eher wenig trainiert. „Jetzt kann man hier schön Strecke machen“, sagt der 58-Jährige. Ein Vorzug der widrigen Wetterbedingungen, den auch Lehrerin Anja Müller zu schätzen weiß. Im achten Monat schwanger, kommen für die eigentliche Hobby-Basketballerin nicht mehr allzu viele Sportarten infrage: „Es ist wesentlich angenehmer, bei diesen Bedingungen zu schwimmen, als in der überfüllten Hochsaison“, sagt sie. Die Luft sei angenehm, und überhaupt: Hauptsache Bewegung. Nur strömender Regen halte sie vom Freiluftschwimmen ab.

Im fast verwaisten Stadtpark hat Akbar Moradi kein schlechtes Gewissen, bei Hamburger Maiwetter früher Feierabend zu machen. „Wir machen im Sommer viele Überstunden“, sagt der Fachangestellte für Bäderbetriebe, den man früher wie heute „Bademeister“ nennt. Bei Hochbetrieb wird der 28-Jährige von mindestens vier Rettungsaufsichten unterstützt. Jetzt kümmert er sich eben um Dienstpläne und Gartenpflege, repariert Kleinigkeiten, testet Alarmknöpfe, bestellt Toilettenpapier und Eisen(III)-Chlorid, reinigt Regenrinnen. „Ich bin ja auch für den Gesamteindruck zuständig.“