Erst auf der Elbe zeigt der Hafengeburtstag sein wahres Potenzial. Gedanken bei der Einlaufparade an Bord der „Seute Deern“.

Schiffe, überall Schiffe. Ein ganzes Museum schwimmt plötzlich auf der Elbe. Der Dampf-Eisbrecher „Stettin“, das Feuerschiff „Elbe 3“, der Hochseefischkutter „Präsident Freiherr von Maltzahn“, die „Cap San Diego“, die Segelyacht „Heti“, dazwischen Fähren, Yachten, Dreimaster. Schiffe faszinieren seit Menschengedenken: Sie sind fast so alt wie der Homo sapiens – schon vor 50.000 Jahren überquerten Frühmenschen das Meer; mit Schiffen brachen sie immer wieder auf zu neuen Ufern. Schiffe sind Symbol für Heimweh und Fernweh zugleich, auch in Zeiten von iPhone und Internet haben sie nichts von ihrer Faszination verloren. Zur Einlaufparade am Freitag mit 83 Schiffen, angeführt von der „Gorch Fock“, kamen Hunderttausende.

Menschen, überall Menschen. Sie sitzen auf den Uferböschungen, auf den Balkonen, den Anlegern. Sie winken von Schlauchbooten und den Decks der „MS Europa II“, sie prosten den Schiffen aus Fenstern und vom Altonaer Balkon zu. Und im ganzen Hafen ertönen Schiffshörner in den verschiedensten Frequenzen, ein Tuten und Brummen liegt über der Stadt, eine Symphonie am Wasser.

Seltsamerweise fremdeln viele Hamburger mit ihrem Hafengeburtstag. Vielleicht, weil sie als Jugendliche hier ein Bier zu viel getrunken haben, vielleicht weil sie die Elbmeile an diesem Mai-Wochenende für eine Astra-Allee, einen Bratwurst-Boulevard, eine Champignonpfannen-Chaussee halten, vielleicht aus hanseatischer Hochnäsigkeit, wahrscheinlich aber nur aus einem Grund: Sie waren lange nicht mehr da.

„Gesamtkunstwerk aus Sehnsucht und Sinnlichkeit“

Wo in der Welt lässt es sich vor so einzigartiger Kulisse feiern? Wo tanzen Schlepperballett, wo stauen sich die Schiffe zur Einlaufparade? Wo präsentiert sich der Hafen mitten in der City und nicht am Rande der Stadt? „Das Besondere an Hamburg? Wie stark der Hafen in die Stadt integriert ist“, sagt Hapag-Lloyd-Chef Rolf Habben Jansen. Er muss es wissen, er kommt aus Rotterdam, der größten Hafenstadt in Europa. Die ehemalige Kultursenatorin Christina Weiss hat den Hafen einmal als „Gesamtkunstwerk aus Sehnsucht und Sinnlichkeit“ bezeichnet. Und der Stararchitekt Jacques Herzog erklärte: „Der Hafen ist die Seele der Stadt.“

Beim Hafengeburtstag jauchzt diese Seele. Die Großsegler „Alexander von Humboldt II“ und die polnische „Dar Mlodziezy“, die „Mir“, das holländische Segelschiff „Gulden Leeuw“ oder die Fregatte „Augsburg“ machen Station in Hamburg. Von der Elbmeile grüßen kitschige Buden, übergroße Maiskolben, die Schirmmützen der Bierstände und ein Riesenrad. Auch die Hafenstraßen-Bewohner, traditionell eher auf Distanz zum Mehrheitsgeschmack, sind mittenmang dabei.

Ihre Buden sind improvisierter, ihre Musik punkiger, und zu essen gibt es „Veganer-Döner“ zur „solidarischen Unterstützung emanzipatorischer Projekte“. Gediegener geht es im Traditionsschiffhafen am Sandtorkai zu – auch die Hafencity ist längst Teil der Partymeile. Und am Fischmarkt feiern Schwule und Lesben „Harbour Pride“, ihre etwas schrillere Variante. Leben und leben lassen gilt eben nicht nur in der Stadt, sondern auch beim Hafengeburtstag.

Das Fest stärkt die Verbundenheit der Hamburger

Die Stadt ist der Hafen, und der Hafen ist die Stadt. Und alles basiert auf einer großartigen Fälschung. Der Freibrief des Kaisers Friedrich Barbarossa aus dem Jahr 1189 ist eine geschickte Täuschung, die erst den Aufstieg der Stadt zur Handelsmetropole ebnete. Ein ähnlicher Fake ist der Titel „826. Hafengeburtstag“ – das Fest geht auf das Jahr 1977 zurück. Von Land aus betrachtet wirkt er für etwas anspruchsvollere Gäste mitunter wie eine maritime Dorfkirmes.

Etwas mehr Hochkultur, mehr Elbphilharmonie und Schauspielkunst, mehr Überraschendes und Intelligentes, mehr Geschichte und Identitätsstiftendes dürfte es schon sein. Bis zum Oktoberfest des Nordens, wo eine ganze Stadt, ihre Künstler und Unternehmer, ihre Freaks und Bürger Kopf stehen, fehlt noch ein Stück. Aber heute wollen wir mal nicht meckern.

Denn eines gelingt: Das Fest stärkt die Verbundenheit der Hamburger mit ihrem Hafen und inszeniert die Hansestadt als maritime Metropole. In den 70er-Jahren war diese Botschaft wichtig – der Hafen kriselte und wurde als rostiger Jubilar verspottet. Aktuell ist sie bis heute, schließlich ist die Fahrrinnenanpassung noch immer nicht vom Gericht durchgewinkt worden.

Ein Bild, das Heimat heißt

Der Hamburger Hafen ist mehr als eine Postkartenkulisse für bierselige Stunden. Er ist für die Stadt identitätsstiftend, er ist das Pfund, mit dem die Stadt wuchern kann, er ist der Standortvorteil, der Künstler, Kreative, Gründer an die Elbe lockt. Der Blick auf Containerriesen und Docks, auf Industrielandschaften und Lichter: Sie entwerfen ein Bild, das Heimat heißt. Ein Bild, das zu fesseln vermag, weil es Gegensätze zusammenbringt. Fernweh und Heimweh verschmelzen genauso wie Natur- und Industrielandschaft. Wie viele Menschen aus nah und fern sind deshalb in Hamburg vor Anker gegangen?

Viele See- und Binnenhäfen fristen ein trauriges Dasein an der Peripherie, sie wenden den Metropolen den Rücken zu. Viel mehr als Drahtzäune und Lagerhallen gibt es dort nicht zu sehen. Der Hamburger Hafen aber liegt auf einem Präsentierteller – eine prächtige Bühne, die von der HafenCity bis zur Elbchaussee grandiose Einblicke eröffnet und einzigartiges Wassertheater bietet. „Die Lage des Hamburger Hafens ist einmalig“, sagt Arne Weber, Eigner der „Seute Deern“. „Der Hafengeburtstag kann nur noch von Olympia getoppt werden.“

Hamburg lebt gut mit und noch besser vom Hafen. Eine Untersuchung des Beratungsunternehmens Planco Consulting aus 2014 rechnet vor, wie viele Jobs am Hafen hängen: 126.919 in Hamburg, 153.319 in der Metropolregion. Nur die Hälfte arbeitet direkt an Kaianlagen, in Speditionen oder Reedereien, die anderen sind indirekt beschäftigt, ihre Jobs gibt es, weil es den Hafen gibt. Wer mit dem Ausland handelt, aber im Lande bleibt, siedelt sich am Tor zur Welt an. Auch die Bruttowertschöpfung hat Planco ermittelt. Für Hamburg ergibt sich ein hafenabhängiges Bruttoinlandsprodukt von 11,7 Milliarden Euro, das bedeutet: Jeder siebte Euro wird im Hafen erwirtschaftet.

Wenn das kein Grund zum Feiern ist. Was für eine Stadt. Was für ein Fest.