Eppendorf. Trotz Nieselregens feiern die Hamburger ihre Marathonläufer mit Musik, gutem Essen und kräftigen Anfeuerungsrufen – nicht nur am Eppendorfer Baum.

Wo ist Chris? Es ist 11.55 Uhr. Er müsste jeden Moment an der Einmündung zur Isestraße vorbeikommen. Rotes T-Shirt, schwarze Hose, hat er gesagt. Tanja Dietz und Veronika Hefle sind von ihren Stühlen direkt am Absperrung aufgestanden und hängen ihre Oberkörper über die Metallgitter. Die Trillerpfeife steckt einsatzbereit im Mund, das Croissant auf dem Teller muss warten.

„Da isser, in rot!“ Veronika pfeift und winkt zuerst. Anfeuerung für den IT-Kollegen, der auch bei Kilometer 38 noch Kraft genug für ein Lächeln und ein Victory-Zeichen hat. Tanja bemängelt seine ungenaue Personenbeschreibung. Mehr grün als rot sei er mit dem zweiten, ärmellosen Shirt über dem roten. „Männer!“ Für sie ist der Ausruf schon die Erklärung für den Missgriff. Seine Stärken lägen halt woanders. Aber: Es gibt sie. Gegen 9 Uhr ist er gestartet, seit 10 Uhr tafeln Tanja und Veronika an der Strecke und warten auf den schnellen Kollegen.

„Wir sind eben sportliche Nerds“, sagt Tanja. Beugt aber sofort zu hohen Erwartungen vor. „Ich würde höchstens mitwalken.“ Veronika dagegen hat dieses Jahr schon einen Halbmarathon bestritten und will nächstes Jahr die volle Strecke mitlaufen. Auch 2024, wenn Hamburg den Zuschlag für Olympia bekommen sollte und der Marathon, wie angekündigt, trotzdem offen für alle ist.

Hier finden Sie eine Liste der gesperrten Straßen während des Hamburg-Marathons

Ihr Zuschauerdasein im Hier und Jetzt ist auch schon nicht unsportlich. Immerhin haben die beiden Tanjas Balkon-Ausrüstung an die Strecke geschleppt. Sitzgruppe samt Proviant, Porzellan und Omas Silberbesteck. Auf dem Tisch schwere Brötchen skandinavischer Machart, bedenkliche Mengen Streichfetts und neben den Wassergläsern langstielige Gläser für einen moussierenden Rosé. „Nachschub liegt in meiner Wohnung“, sagt Tanja. Der Aufstieg zu den Vorräten dient auch der Selbstkontrolle. Wer zu viel hat, läuft nicht gern.

Maß halten wird auch dem Breitensportler empfohlen. Maximal zwei Bier am Abend vor dem Lauf, morgens zwei bis drei Stunden vor dem Rennen nur leichte Kost, keinen Kaffee. Er treibt zwar, aber nicht an. Wer das Koffein braucht, soll es in Tablettenform zu sich nehmen, empfiehlt das Läuferportal „greif.de“. Dann geht es nur noch ums Trinken. Tage vorher so viel, wie reingeht. 15-20 Minuten vor dem Start sollen 0,5 bis 1 Liter Wasser geschluckt werden, weil der Körper während des Rennens kaum nennenswerte Mengen Flüssigkeit aufnehmen kann. Leicht gesüßt ist erlaubt bis empfohlen.

Der Zuschauer will es deftiger. Der Bierstand am Eppendorfer Baum ist am späten Vormittag schon gut besucht, die Samba-Trommeln bringen nicht nur die Läufer nach vorn. Der Radiosender Hamburg Zwo befeuert seine Musikanlage mit Oldies aus der rustikalen Ecke. Über der Straße simuliert ein aufblasbarer BMW-Torbogen einen Zieleinlauf. Na bitte! Reden ist Silber, anlachen Gold. Zumal der Lärmpegel den sparsamen Gebrauch der Rede nahelegt.

Auf den Balkonen sind die Logenplätze. Aber der leichte Niesel, der den Läufern kühlend entgegen kommt, lässt viele weniger heiß gelaufene den Platz hinter den Fensterscheiben wählen. Auch die Cafés sind eher mäßig besucht. Allerdings ist die Konkurrenz immens: Selbst die Haspa, die Apotheke und das Nagelstudio Spreeberg bieten Säfte, Obst, Snacks oder Vitamindrinks an, für wenig bis nichts oder einen guten Zweck. Da muss es nicht unbedingt der Cappuccino für 2,70 Euro sein.

Vorn an der Tarpenbekstraße ist es ruhiger. Da kommen auch kleine Kinder problemlos in die erste Zuschauerreihe. Zum Abklatschen der langsameren Läufer, die solche Anerkennung gern mit auf die letzten Kilometer nehmen. Max Ströbel wohnt um die Ecke in Hoheluft und hat seine Tochter Fritzi (9) mit ihrer Freundin Marleen (9) an die Strecke begleitet.

Zum Jubeln und beschwören der Sportstadt Hamburg. „Wir wollen Spaß haben, aber auch Olympia aktiv bewerben“, sagt er. Die Kinder nicken und erklären ihre Läufe. Fritzi war schon beim Zehntel-Marathon dabei, Marleen hat die Distanzen gerade nicht so im Kopf und berichtet vom „vier- bis fünf-Kilometer-Marathon“, den sie gelegentlich mit Papa laufe. Olympia haben sie fest im Blick.

Und die Laufstrecke. Ein Spiderman fliegt vorbei, mit dem „S“ auf der Brust, roter Toga und blondem Schopf. Locker und lächelnd. Er könnte viel schneller sein, wenn er seine übersinnlichen Kräfte einsetzen würde. Will er aber nicht. Zum (Lauf)Feste feiern besinnt man sich besser auf das Menschliche.