Hamburg. Verwaltungsgericht bezweifelt Rechtmäßigkeit. DPolG-Chef: „Ohne sie dürfte Polizei erst einschreiten, wenn Straftat geschieht“.

Nachdem das Oberverwaltungsgericht (OVG) am Donnerstag angedeutet hat, dass es die Ausweisung von Gefahrengebieten in großen Teilen für verfassungswidrig hält, warnt der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Joachim Lenders, eindringlich davor, diese polizeilichen Sonderrechtszonen abzuschaffen. „Die Möglichkeit, Gefahrengebiete einzurichten, ist ein wertvolles Instrument der Polizei“, sagte Lenders, der auch CDU-Bürgerschaftsabgeordneter ist, dem Abendblatt.

Aus polizeilicher Sicht habe sich das Instrument, von dem die Polizei seit 2005 in Hamburg Gebrauch machen kann, immer wieder bewährt. Insbesondere, wenn es darum ginge, Gefahren präventiv abzuwehren und Straftaten zu verhindern. Wenn etwa Auseinandersetzungen zwischen zwei Fußball-Fangruppen bevorstünden, könnten im Gefahrengebiet rasch Platzverweise ausgesprochen werden. „Ohne Gefahrengebiet könnte die Polizei nicht mehr in dieser Form präventiv tätig werden, sondern dürfte erst dann einschreiten, wenn eine Straftat geschieht“, sagte Lenders.

Auch verdachtsunabhängige Durchsuchungen von Personen etwa nach Waffen, wie sie auf dem Kiez üblich sind, wären nicht mehr möglich. Lenders: „Sollten durch die Entscheidung des Gerichts die Gefahrengebiete generell, also auch das auf der Reeperbahn, gekippt werden, ist das nicht gut für die Bürger oder die Touristen. Gut wäre das nur für die Straftäter.“

In dem Fall, der vor dem OVG verhandelt wird, geht es um ein Gefahrengebiet, das im April 2011 im Schanzenviertel eingerichtet war. Eine Anwohnerin hatte geklagt, weil sie innerhalb des Gefahrengebiets von Polizeibeamten kontrolliert worden war und sich ausweisen musste.

Die rot-grüne Koalition will das Urteil „eins zu eins“ umsetzen

Der Vorsitzende Richter des OVG hat diese Maßnahmen bereits in der mündlichen Verhandlung als rechtswidrig bezeichnet. SPD und Grüne haben in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, den Ausgang des Verfahrens abzuwarten. „Es wird vor dem Hintergrund der Rechtsprechung geprüft, ob und wenn ja, welcher Anpassungsbedarf im Hinblick auf die Rechtsgrundlage besteht“, heißt es in dem Vertrag. „Wir werden die schriftliche Urteilsbegründung sorgfältig lesen und das Urteil eins zu eins umsetzen“, sagte SPD-Bürgerschaftsfraktionschef Andreas Dressel dem Abendblatt. Die Einrichtung von Gefahrengebieten ist hoch umstritten – auch außerhalb der linksalternativen Szene. Auf großen Widerstand war vor allem die Ausweisung weiter Teile der Innenstadt als Gefahrengebiet nach den heftigen Ausschreitungen im Zusammenhang mit der „Flora bleibt“-Demonstration am 21. Dezember 2013 und den zwei Angriffen auf die Davidwache gestoßen. Gegen die polizeiliche Maßnahme haben zahlreiche Betroffene Klage beim Verwaltungsgericht eingereicht. Die Verfahren sind dort zum Teil noch immer anhängig.

Die Grünen hätten das Instrument der Einrichtung von Gefahrengebieten am liebsten abgeschafft, doch das war mit der SPD nicht zu machen. Die polizeiliche Eingriffsmöglichkeit war von der CDU-Alleinregierung 2005 geschaffen worden. Sowohl SPD als auch Grüne haben also keinen eigenen politischen Anteil an den Gefahrengebieten und sehen den Ausgang des Gerichtsverfahrens unter diesem Gesichtspunkt relativ gelassen.

Die Polizei hat die Möglichkeit, Gefahrengebiete „nach Lage“ kurzfristig einzurichten und in den jeweiligen Bereichen Kontrollen ohne konkreten Anlass durchzuführen. Dazu gehören beispielsweise Identitätsfeststellungen, die Durchsuchung von Rucksäcken oder das Erteilen von Aufenthaltsverboten. Zwar sind die meisten Gefahrengebiete nur von kurzer Dauer, allerdings gibt es auch dauerhafte Sonderzonen: das Gefahrengebiet „Betäubungsmittelkriminalität St. Georg rund um den Hauptbahnhof“, das seit 1995 gilt, das Gebiet „Vergnügungsviertel Reeperbahn“ und das Gebiet „Betäubungsmittel“ auf St. Pauli.

Seit 2005 hat die Polizei mehr als 50 Gefahrengebiete eingerichtet, meist wegen angespannter Lagen oder zu erwartender Ausschreitungen. So wurde beispielsweise das Gebiet rund um das Millerntor-Stadion während des Spiels des FC St. Pauli gegen Hansa Rostock im April 2012 aus Angst vor Krawallen zum Gefahrengebiet erklärt.