Hamburg. Das Hufnerhaus in Neuengamme war eines der wertvollsten und ältesten Baudenkmale Hamburgs und gerade erst renoviert worden.

Flammen schlagen meterhoch aus dem Reetdach, brennende Reetbüschel fallen herunter, dunkle Rauchwolken ziehen über Neuengamme. Das Gebäude, das am Sonnabend lichterloh in Flammen steht, ist nicht irgendein Reetdachhaus, es ist eines der wertvollsten und ältesten Baudenkmale der Hansestadt. Das Hufnerhaus am Neuengammer Hausdeich 413, erbaut 1559, gehört zu den ältesten Wohnhäusern, die auf Hamburger Stadtgebiet erhalten geblieben waren. Innerhalb weniger Stunden hat es sich nun in eine Ruine verwandelt, um Brandstiftung soll es sich dabei wohl nicht handeln

Sonnabend, 18 Uhr: Ein Radfahrer sieht die ersten Flammen aus dem Reetdach züngeln und alarmiert die Feuerwehr. Der Brand breitet sich rasend schnell aus, Reet brennt wie Zunder. Als die Feuerwehr eintrifft, steht das 400 Quadratmeter große Gebäude komplett in Flammen – zum Glück sind zu diesem Zeitpunkt keine Bewohner im Haus. Zwei Löschzüge, mehrere freiwillige Feuerwehren und das Technische Hilfswerk – insgesamt mehr als 100 Retter – sind im Einsatz. Weil das öffentliche Netz nicht genug Wasser für einen Brand dieser Größe liefert, müssen mehr als 200 Meter Schlauchleitung verlegt werden, um Wasser aus der Dove-Elbe zum Brandort zu pumpen. Viel Hoffnung, das Haus zu retten, haben die Feuerwehrleute da schon nicht mehr. „Reet und viel Holz, das brennt in einem Wahnsinnstempo ab“, sagt ein Feuerwehrmann.

Wertvolles Reetdachhaus abgebrannt

Das Haus hat eine Fläche von 40 mal 10 Metern
Das Haus hat eine Fläche von 40 mal 10 Metern © dpa | Daniel Bockwoldt
Feuerwehrleute vor dem Reetdachhaus
Feuerwehrleute vor dem Reetdachhaus © dpa | Daniel Bockwoldt
Das Haus wurde 1559 gebaut
Das Haus wurde 1559 gebaut © dpa | Daniel Bockwoldt
Über die Brandursache ist noch nichts bekannt
Über die Brandursache ist noch nichts bekannt © dpa | Daniel Bockwoldt
Die Feuerwehr wurde um kurz nach 18 Uhr alarmiert
Die Feuerwehr wurde um kurz nach 18 Uhr alarmiert © dpa | Daniel Bockwoldt
Ein Feuerwehrmann sucht nach Glutnestern
Ein Feuerwehrmann sucht nach Glutnestern © dpa | Daniel Bockwoldt
Der Rauch war am klaren Himmel kilometerweit zu sehen
Der Rauch war am klaren Himmel kilometerweit zu sehen © dpa | Daniel Bockwoldt
Das Löschwasser musste aus der Dove-Elbe herangeholt werden
Das Löschwasser musste aus der Dove-Elbe herangeholt werden © dpa | Daniel Bockwoldt
Das Feuer fraß sich durch das ganze denkmalgeschützte Gebäude
Das Feuer fraß sich durch das ganze denkmalgeschützte Gebäude © dpa | Daniel Bockwoldt
Feuerwehrleute bei der Arbeit
Feuerwehrleute bei der Arbeit © dpa | Daniel Bockwoldt
Die Feuerwehr arbeitete bis in die Nacht
Die Feuerwehr arbeitete bis in die Nacht © dpa | Daniel Bockwoldt
Ein Radlader vom Technischen Hilfswerk trägt die Reste des Reetdachhauses ab
Ein Radlader vom Technischen Hilfswerk trägt die Reste des Reetdachhauses ab © dpa | Daniel Bockwoldt
Vom Haus blieb nur eine Fassade stehen
Vom Haus blieb nur eine Fassade stehen © dpa | Daniel Bockwoldt
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Die Temperaturen an der Brandstelle klettern rasch auf mehr als 1000 Grad Celsius. Die Hitzestrahlung ist extrem – so extrem, dass die Feuerwehr die umliegenden Gebäude in einen Sprühnebel hüllt, um ein Übergreifen des Feuers zu verhindern. Es ist so heiß, dass sich Fensterrahmen verziehen, Scheiben in einem Nachbarhaus zerplatzen und eine Drehleiter der Feuerwehr beschädigt wird. Bei Iris Münker, die seit 15 Jahren am Neuengammer Hausdeich wohnt, birst ein Dachfenster. Immerhin steht der Wind günstig. Günstig heißt: weg von den benachbarten Reethäusern. Iris Münker beobachtet das Spektakel am Sonnabend aus sicherer Entfernung. Das Hufnerhaus sei eine Art Sehenswürdigkeit gewesen, Touristenbusse hätten dort immer wieder angehalten, sagt sie. Jahrhunderte hat das imposante Gebäude überdauert, von dem 1559 erbauten Hufnerhaus war noch das innere Balkengerüst erhalten. Und jetzt brennt es binnen weniger Stunden nieder. Bereits nach 90 Minuten sind 80 Prozent des Daches verbrannt und eingestürzt. Auch ein Oldtimer im Stall soll zerstört worden sein.

Die Hufnerhäuser, von denen es in den Vier- und Marschlanden nur noch wenige gibt, zeugen mit ihrer stattlichen Größe und aufwendigen Gestaltung vom mehr als gediegenen Wohlstand der Vierländer Bauern, die Jahrhunderte lang Hamburgs Obst- und Gemüseversorgung sichergestellt haben. Baugeschichtlich gehören die Gebäude zum Typus der niederdeutschen Fachhallenhäuser. Unter dem Reetdach waren Wirtschafts- und Wohnräume stets vereint, wobei sich der Wohnteil in der Regel dem Elbdeich zuwandte. Dass die Besitzer reich waren, zeigte sich einerseits an der traditionell kostbaren Ausstattung mit Möbeln, die oft mit Intarsien verziert waren. Die Bauern scheuten sich nicht, ihren Wohlstand zur Schau zu stellen: durch den Schmuck der Fassaden, die mit Ziegelmustern und Ornamenten verziert waren. Wie der Alltag in einem Hufnerhaus einst ablief, kann man im Freilichtmuseum Rieck Haus sehen, das am Curslacker Deich 284 liegt und ebenfalls aus dem 16. Jahrhundert stammt.

Von dieser Pracht ist am Neuengammer Hausdeich 413 nichts mehr zu sehen. Wer am Sonnabend draußen steht, spürt die Hitze auf der Haut und den beißenden Qualm in der Nase. Und sieht anstelle des Reetdachs ein einziges orange-rotes Flammenmeer. Das Gebäude habe sich mehrere Generationen im Besitz der Familie Eggers befunden, sagt Iris Münker. Eigentümer Christian Eggers habe viel Zeit und Geld in die Renovierung gesteckt, obwohl bei denkmalgeschützten Häusern wie diesem praktisch alle baulichen Maßnahmen strengen Vorschriften unterliegen und kostspielig sind. Die Renovierung, die sich über Jahre zog, hatte Eggers erst vor wenigen Wochen abgeschlossen.

Das stolze Gebäude ist am Sonnabend nicht mehr zu retten. Die Löscharbeiten dauern die ganze Nacht. Am Sonntagmorgen muss die Feuerwehr noch Brandnester beseitigen. Die letzte Giebelwand reißt das Technische Hilfswerk gegen 10 Uhr ein. „Glücklicherweise konnte ein historischer Stuhl mit Vierländer Schnitzwerk gerettet werden“, sagt Iris Münker. Nach ersten Erkenntnissen der Polizei könnte das Feuer durch den erhitzten Abzug der Heizung ausgebrochen oder durch einen technischen Defekt verursacht worden sein. Nach Informationen von NDR 90,3 schließt die Polizei Brandstiftung aus.