Luhmühlen . Wie Mittelalter-Fans mit ihrem ungewöhnlichen Hobby beim Festival „Spectaculum“ in eine längst vergangene Epoche abtauchen.

Abends badeten sie noch gemeinsam im Zuber. Im heißen Wasser konnten sie sich aufwärmen für die kalte Nacht im Zelt. Der Sonntagmorgen im Heerlager „ExPer Avis“ begann für die Hamburger Studenten ruhig. Endlich konnten sie ausschlafen wie die beiden Frettchen, die am Lagerfeuer vor sich hindösten.

Doch dann, als immer mehr Besucher auf das neun Hektar große Turniergelände Luhmühlen bei Lüneburg eintrafen, erwachte das Leben. Mit Gauklern, Rittern und Nonnen, dem Falkner Achim Häfner und den Mittelalter-Bands kehrte in der Lüneburger Heide das „dunkle Zeitalter“ zurück. Für 48 Stunden.

Das ganze Wochenende stand Luhmühlen im Zeichen einer längst vergangenen Epoche. „Spectaculum“, das größte reisende Mittelalterfestival der Welt, schlug hier zum zweiten Mal seine Zelte auf und lockte Tausende von Gästen an. Neben professionellen Händlern und Künstlern wie den Musikbands „Versengold“, „Omnia“ und „Cobblestones“ traten zahlreiche Hobby-Akteure auf, darunter viele junge Leute aus Hamburg.

Matthias Böhnert, 23, aus Bahrenfeld studiert sonst Physik und Philosophie und verwandelte sich in Luhmühlen in einen furchtlosen Feuerschlucker. Hendrik Bornhöfft, 26, beendet bald sein Studium der Elektrotechnik und brillierte vor dem staunenden Publikum mit Jonglierspielen. Und Orthopädiemeisterin Maja Hadler, 26, zeigte ihre selbstgenähten Kleider. Die zwölf jungen Leute aus dem Großraum Hamburg tauchen mehrmals im Jahr mit ihrem Heerlager „ExPer Avis“ in die mittelalterliche Lebenswelt ein. Der Name bedeutete so viel wie „freie Vögel“, erklärte Hadler und fügte hinzu: „In diesem Jahr sind wir beim ‘Spectaculum’ insgesamt neunmal dabei.“

Seit gut 20 Jahren tourt das „Mittelalterliche Phantasie Spectacel“ vom Frühjahr bis zum Herbst durch Deutschland. Rund 3000 Akteure zählt das Eventunternehmen, das grundsätzlich keine genauen Angaben zu den jeweiligen Besucherzahlen machen will. „1000 Familien leben von diesem Event“, sagt PR-Manager Wolfgang Fuck immerhin.

Für die Leute aus den 30 Heerlagern ist die Teilnahme allerdings ein privates Hobby. Sie investieren viel Geld und vor allem Zeit in ihre Begeisterung für das Mittelalter. „Wir tauchen gern in eine andere Welt ein“, sagen die Hamburger. „Und schätzen die einfache Art zu leben – und den Zusammenhalt. Das ist fast wie in einer Familie.“ Aber was sagen ihre Kollegen und Kommilitonen? „Die erklären uns für ein bisschen verrückt.“

Mit dem Heerlager stellen die Hobby-Akteure – nicht unbedingt historisch detailgenau – das Leben bei der Belagerung einer Stadt dar. Strom und technische Geräte sind selbstverständlich tabu. Das „ganze Teufelszeug“ wie Smartphones und Laptops sei aus den Heerlagern verbannt, sagt Fuck. Soviel historische Korrektheit wird bei aller phantasiereichen Gestaltung des Festivals zumindest verlangt. Dass sich so viele Menschen für die Epoche zwischen 500 und 1500 begeistern, ist nach Ansicht von Mediävistik-Professor Thomas Scharff kein neues Phänomen. Schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts habe es angesichts der Industrialisierung ein starkes Interesse an dieser Zeit gegeben. Heute sei es die Globalisierung, die Sehnsucht nach einem idealisierten Naturzustand auslöse. „Das Mittelalter wird als die Zeit angesehen, als der Körper noch unmittelbar der Natur ausgesetzt war“, betont Scharff.

Die Ritterturniere, Fechtkämpfe, Stelzenläufe und Bruchenballspiele mit einem Sack aus Kuhhaut versetzen Darsteller und Publikum jedes Mal in Begeisterung. Stände mit gegrilltem Fleisch, veganen Gerichten und Bier gehören natürlich auch dazu. Am Sonntagabend mussten alle Akteure wieder ihre Zelt abbauen. Danach gehts weiter ins Rheinland. Am 13. und 16. Juni macht das „Spectaculum“ in Basthorst und am 5. und 6. September in Öjendorf Station.

So enthusiastisch die Zuschauer sind, so skeptisch reagieren einige von ihnen. Beim Zuberbad am Sonnabend fragte eine Dame, ob die Badenden tatsächlich nackt seien und das Wasser echt. Um sich zu überzeugen, griff sie beherzt in den großen Bottich. Und ein Vater meinte zu seinem Sohn auf die Frage, ob die Ritterrüstungen im Mittelalter aus Blech gewesen seien: „Nein, die waren damals alle aus Plastik. Im Mittelalter gab es kein Metall.“