Zwei Ehepaare aus Hammoor gründeten das Lager Los Caserones de Hoghenmor. In ihrer Freizeit leben die Mitglieder wie vor 750 Jahren
Hammoor. In der Feuerschale züngeln die Flammen, in einem Eisentopf kocht das Wasser. Es ist kalt und früh am Morgen, als sich an einem November-Sonnabend anno 2014 eine Gruppe in Filz, Leinen und Leder gewandeter Menschen vor einem kleinen Zelt versammelt. „Seid gegrüßt, holde Maid!“ Hier scheint ein bloßes „Moin“ als Erwiderung ziemlich unpassend.
Das Gefühl, irgendwie aus der Zeit gefallen zu sein, verstärkt sich, als die Dame in dem bodenlangen, grünen Gewand in ein Gemshorn bläst. Präparierte Hörner waren im Mittelalter geläufige Musikinstrumente. Und mit dem Mittelalter beschäftigen sich die Stormarner, die sich an diesem Morgen getroffen haben, in jeder freien Minute.
„Es ist mehr als nur ein Hobby“, sagt Gabriele Hartwig, die in Grün gewandete Frau. Seit Jahren verbringt sie vor allem in den Sommermonaten jedes Wochenende auf mittelalterlichen Märkten und Festivals. Dort schlägt die 51-Jährige aus Hammoor ihr Lager auf, entfacht das Feuer und bettet sich auf Stroh und Fell.
An ihrer Seite sind die anderen „Lagerlinge“, mit denen sie die Leidenschaft zu der historischen Epoche teilt. Es ist die Zeit, die etwa vom sechsten bis zum 16. Jahrhundert dauerte und in der europäischen Geschichte gemeinhin als Mittelalter bezeichnet wird.
Gabriele Hartwig, im echten Leben Tagesmutter, entdeckte bei einem Familienausflug ihr Interesse für die längst vergangene Zeit. „Als die Kinder noch klein waren, haben wir das Mittelalterlich Phantasie Spectaculum in Hamburg besucht“, sagt sie. „Und wir waren alle sofort fasziniert von der Atmosphäre, die dort herrschte.“ Ritter und Knappen, Fürsten und Edelfrauen sowie Gaukler, Händler und Stelzenläufer in mittelalterlichen und fantasiereichen Gewandungen entführten die Hartwigs in eine andere Welt.
Als die Kinder dann groß waren und andere Freizeitpläne hatten, nahmen Gabriele und Ehemann Klaus kurzerhand ihre Freunde Jürgen und Christiane Feddern mit zu den Veranstaltungen. Und auch die waren schnell mit dem „Mittelalter-Virus“ infiziert.
Gemeinsam gründeten die beiden Paare im Jahr 2010 ihr eigenes Heerlager: Los Caserones de Hoghenmor, was so viel bedeutet wie „Die alten Häuser von Hammoor“. Seitdem wird im Sommer herumgezogen und gelagert, im Winter geplant, gebaut und genäht.
Gabriele Hartwig: „Es ist uns wichtig, dass wir möglichst authentisch gekleidet sind und uns mit Dingen und Ereignissen von damals beschäftigen.“ Das sei ein ständiger Prozess. „Bei jeder Veranstaltung und auf jedem Markt lernen wir von anderen und lassen uns inspirieren, was wir verändern und noch besser, sprich zeitgetreuer machen können.“
Intensiv haben sich die Hammoorer mittlerweile auch mit der Vergangenheit des eigenen Dorfes beschäftigt, das im Jahr 1263 das erste Mal urkundlich erwähnt wurde. Aus dieser Zeit stammt auch ihre Lagerlegende, mit der sich die mittlerweile neun Hammoorer Lagerlinge auf den unterschiedlichen Märkten den Tausenden von Besuchern vorstellen.
Neben den Gründungspaaren Hartwig und Feddern und deren Kindern gehören auch Rabea Matysik aus Rohlfshagen und Udo Zingelmann aus Wedel zu den „behausten Unfreien von Hoghenmor“. Zingelmann, im Hier und Jetzt als Pastor in Bargteheide beschäftigt, schlüpft für seine Mittelalterrolle in die Kutte eines Mönchs.
„Wir bezeichnen unsere Gewandung aber nicht als Kostüm“, stellt Gabriele Hartwig klar. „Das ist kein Theater, was wir aufführen wollen. Wir möchten ein Abbild der damaligen Zeit schaffen und den Menschen nahebringen, wie früher gearbeitet und gelebt wurde.“
Ohne fließendes Wasser, visco-elastische Memory-Schaum-Matratze und W-LAN scheint das ein recht schwieriges Leben gewesen zu sein. „Luxus ist echt etwas Anderes“, sagt Nina Feddern. Doch die 21-Jährige vermisst während des mittelalterlichen Lagerlebens nichts. „Im Gegenteil. Sobald wir unser Zelt aufgebaut haben, ums Feuer sitzen und reden, bin ich total entspannt und zufrieden.“
IT-Fachmann Klaus Hartwig schätzt den Zusammenhalt und die Hilfsbereitschaft unter den Gleichgesinnten. Für Rabea Matysik ist die Nähe zur Natur wichtig. Und Gabriele Hartwig kann auf ihrem aus Ästen zusammengesteckten Feldbett sogar besser schlafen als zu Hause.
Hätten die neuzeitlichen Hoghenmorer statt heute lieber vor 750 Jahren gelebt? „Nein, ganz sicher nicht“, sind sich alle einig. „Das war ja auch eine ziemlich gefährliche Zeit.“
Aber genauso einig sind sich Los Caserones de Hoghenmor darin, dass es toll sei, immer mal wieder für einige Stunden oder Tage in diese andere, entschleunigte Welt abzutauchen. „Man besinnt sich wieder auf das Wesentliche, sammelt neue Kraft und kann danach frisch gestärkt in den modernen Alltag gehen.“