Harvestehude. Personalprobleme bei der Feuerwehr: Bei Notruf meldete sich Mitarbeiter erst nach sechs Minuten. CDU fordert Neubau einer Leitstelle.

Hilfe musste her, und zwar schnell. Am Tresen der Bar „Tiefenthal“ in Harvestehude war eine Frau zusammengeklappt, die Enddreißigerin blickte starr zur Decke, reagierte nicht auf Ansprachen. Während zwei zufällig anwesende Ärzte Erste Hilfe leisteten, wählte eine Mitarbeiterin 112, den Feuerwehr-Notruf. Doch statt Hilfe bekam die Frau einen Schreck: Weil sie in der Warteschleife landete. Wieder und wieder. „Als ich dann die Nummer der Polizei gewählt habe, das Gleiche, dann wieder die Feuerwehr: wieder Warteschleife“, sagt die Mitarbeiterin. Ein Gast kam schließlich durch und drückte ihr sein Handy in die Hand. „Alles in allem“, schätzt die Kellnerin, „hat das Ganze vier Minuten gedauert.“ Wie sich im Krankenhaus herausstellte, hatte die Frau durch zuviel Alkohol einen Kreislaufkollaps erlitten.

Engpässe bei der Notrufannahme sind gar nicht so selten. Das geht aus der Senatsantwort auf eine Kleine Anfrage des innenpolitischen Sprechers der CDU-Bürgerschaftsfraktion, Dennis Gladiator, hervor. Demnach lag die durchschnittliche Wartezeit bis zur Notrufannahme im Vorjahr bei 13,2 Sekunden – bei insgesamt 564.000 Notrufen, die in der Rettungsleitstelle an der Wendenstraße aufliefen. Damit ist die durchschnittliche Annahmezeit noch einmal um 0,6 Sekunden gegenüber Stand August 2014 gestiegen und liegt nun 2,8 Sekunden über der Planvorgabe. Und: Es gibt sie, die extremen Wartezeiten. 2014 hing ein Anrufer 315 Sekunden in der Leitung, bevor ein Calltaker, wie die ersten Ansprechpartner bei der Feuerwehr heißen, den Notruf annahm. Vom 1. Januar bis 29. März 2015 lag der Spitzenwert in einem Einzelfall sogar bei 344 Sekunden.

Zustandekommen solche Wartezeiten vor allem durch viele gleichzeitige Anrufe etwa bei heftigen Unwettern. Allerdings baut die Feuerwehr bei planbaren Lagen vor und bezieht Reservedisponenten von den Wachen ein, um alle Abfrageplätze zu besetzen. Dass nicht immer alle Anrufer gleich durchkommen, liegt auch daran, dass bei Verkehrsunfällen auf belebten Kreuzungen oder Wohnungsbränden sehr viele Menschen gleichzeitig den Notruf wählen. „Nicht zwangsläufig muss bei einer großen Wartezeit auch eine Verzögerung im Ablauf der Rettungskette stattfinden, da gegebenenfalls das Ereignis schon anderweitig gemeldet wurde“, sagt Feuerwehrsprecher Hendrik Frese. Subjektiv kommt das bei den Anrufern natürlich anders an. Wer den Notruf wählt, befindet sich häufig am Limit seiner Belastbarkeit, und jede Sekunde in der Warteschleife zieht sich wie eine Ewigkeit, erzeugt Stress. Gleichwohl sollten Anrufer auf keinen Fall sofort auflegen, wenn sie warten müssen. Denn jeder neue Notruf landet in der Warteschleife auf der letzten Position.

Das eigentliche Problem sei die Rettungsleitstelle selbst, heißt es aus Feuerwehrkreisen: die personelle Ausstattung, die schlechten Arbeitsbedingungen, der hohe Stresspegel, die Platznot. Für die Mitarbeiter sei der Job noch belastender geworden, seit vor etwa zwei Jahren ein neues Standard-Abfrageprotokoll etabliert wurde, sagt der Chef des Berufsverbandes der Feuerwehr, Daniel Dahlke. Während früher „alle alles“ gemacht haben, ist die Arbeit jetzt zwischen Calltakern und Dispatchern aufgeteilt, letztere wählen das geeignete Rettungsmittel für den Einsatz. Die Calltaker nehmen inzwischen aber nicht mehr nur die Daten der Anrufer auf. Sie bleiben in vielen Fällen am Apparat, bis der Rettungsdienst eingetroffen ist, geben mitunter sogar Tipps zur Reanimation.

Bei der Feuerwehr ist der Job in der Rettungsleitstelle ungefähr so beliebt wie bei der Polizei das Knöllchenschreiben. Die Krankheitsquote schwankte zuletzt zwischen 14 und 17 Prozent, fast doppelt soviel wie beim Rest der Feuerwehr. Darüber hinaus sind von 82 Vollzeitstellen in der Rettungsleitstelle aktuell 7,5 nicht besetzt. Zwar sollen 2015 insgesamt 46 Feuerwehrleute zu Calltakern und Dispatchern ausgebildet werden. Mit diesem Personal-Reservoir ließen sich die vakanten Stellen auffüllen, sagt Dahlke. Dann könnten Mitarbeiter, die aus den Hamburger Wachen eher unfreiwillig den Dienst in der Leitstelle angetreten hätten, wieder wechseln. Tasächlich sei der Personalbedarf der Leitstelle wohl noch deutlich höher. Dahlke: „Wir benötigen mehr als 100 Vollzeitstellen.“

Nach Abendblatt-Informationen drängt die Feuerwehr auf ein Gutachten – das wiederum von der Innenbehörde nicht gewollt ist. Grund: Die „moderne“ Arbeitsteilung zwischen Calltakern und Dispatchern würde mit „einiger Wahrscheinlichkeit“ einen personellen und damit kostenaufwändigen Mehrbedarf begründen. Bisher heißt es im Koalitionsvertrag des rot-grünen Senats lediglich, man werde „die Möglichkeiten einer Verstärkung der Rettungsleitstelle prüfen“. Pure Augenwischerei, meint CDU-Mann Gladiator. „Prüfen reicht nicht, es müssen Tatsachen geschaffen werden.“ Der Senat solle zudem endlich den Bau der neuen Rettungsleitstelle veranlassen. Zumal in der alten Leitstelle offenbar einiges im Argen liege. Von der Raumnot abgesehen: Kaum ein Arbeitsplatz verfüge über einen Internetanschluss, was die gleichzeitige Recherche bei Rettungseinsätzen sehr erschwere.