Hamburg . Der weibliche Anteil beim Hamburger Stadtlauf ist sehr gering. Sport und Familie zeitlich zu vereinbaren, fällt vielen noch schwer.

Schöne Laufstrecken, breite Radfahrwege, gute Luft – drei Wochen vor dem Haspa-Marathon nutzen die Bögers den Osterurlaub, um sich vier Tage lang auf Fehmarn auf das 30. Hamburger Stadtrennen vorzubereiten. „Das ist unser kleines Trainingslager“, sagt Sandra Böger, 45, die am 26. April die 42,195 Kilometer zum sechsten Mal in Angriff nehmen will. Auf dem nebenstehenden Foto ist sie die Zweite von links. Für ihren Mann Thomas, 44, wird es der vierte Marathon, die Kinder, sieben und zehn Jahre alt, begleiten die Eltern auf ihren Fahrrädern bei den Trainingsläufen. Eine sportliche Familie.

Für viele Frauen ist der Marathon nicht nur eine physische, sondern vor allem eine organisatorische Herausforderung. „Es bedarf schon eines straffen Zeitmanagements, um Training, Beruf, Haushalt und Kinder in den Tagesablauf zu integrieren“, sagt Sandra Böger. Bei der Haspa betreut sie in der Zentrale am Wikingerweg in Borgfelde Unternehmenskunden.

Um keine Zeit zu verlieren, zieht sie nach der Arbeit häufiger mal die Laufschuhe an, joggt die 25 Kilometer bis nach Hause in Großhansdorf. „Mein großes Glück ist, dass die gesamte Familie sportbegeistert ist, wir an den Wochenenden Familienausflüge und Training wunderbar verbinden können.“ Deshalb stört es auch niemanden im Hause Böger, dass der Wecker selbst am Sonnabend und Sonntag um 7 Uhr morgens klingelt.

In Hamburg waren zuletzt 22 Prozent Frauen am Start

Frauen waren beim Marathon lange Zeit unerwünscht. Ihnen trauten Sportmediziner und besonders männliche Funktionäre nicht zu, die Strapazen der Strecke körperlich zu bewältigen. 1972 durften Frauen in Boston (USA) dann erstmals offiziell einen Marathon bestreiten, 1984 in Los Angeles zum ersten Mal auch bei Olympia. Heute beträgt in den USA bei den großen Stadtmarathons der Frauenanteil um die 50 Prozent.

Deutschland läuft da noch hinterher. In Hamburg waren zuletzt 22 Prozent weibliche Teilnehmer am Start, beim Herbstmarathon in Berlin 28 Prozent. „Je kürzer die Strecke ist, desto mehr Frauen machen mit“, weiß Hamburgs Marathon-Chef Frank Thaleiser. Frauenläufe über sechs, acht oder zehn Kilometer seien schnell ausgebucht, bei der 2012 ins Programm genommenen Hamburger Marathon-Staffel, die in vier Abschnitte über 16,3, 11,2, 5,4 und 9,4 Kilometer unterteilt ist, sind auch in diesem Jahr die Hälfte der Läufer weiblich.

Das Training für einen Marathon kostet über Wochen und Monate viel Zeit. Die hätten viele Frauen nicht, weil sie sich oft stärker als ihre Männer um familiäre Belange kümmern wollen oder müssen, sagt der Reinbeker Sportsoziologe Prof. Hans-Jürgen Schulke, früher selbst ein guter Marathonläufer. Frauen wiederum entwickelten meist nicht diesen verbissenen Ehrgeiz, der Männer manchmal zu extremen Leistungen treibe.

Entsprechend unterschiedlich sei dadurch das Trainingspensum. „Für viele Frauen ist Sport ein wichtiger Bestandteil ihres Lebens, für Männer kann er zum Mittelpunkt werden“, sagt Schulke. „Frauen laufen tendenziell erholsam-gesundheitsorientiert, ältere Läuferinnen eher in Gruppen und Lauftreffs, weniger extensiv, weil sie nur ein begrenztes Zeitbudget zur Vorbereitung haben. Jüngere Frauen rennen lieber allein, ohne große Wettkampfambitionen.“ Weitere Unterschiede gebe es zwischen Stadt, Land und Bildungsgrad.

Sandra Böger läuft fast das ganze Jahr über an vier Tagen in der Woche, mal kürzere, mal längere Strecken, „nicht immer macht das nur Spaß; wenn man an seine Grenzen geht, tut das auch schon mal weh“. Wichtig sei, für sich ein Ziel – wie die Teilnahme an einem Marathon oder eine bestimmte Endzeit, etwa vier Stunden – zu definieren, „das macht vieles einfacher“.

Dunja Wolf, 41, auf dem Foto die Dritte von rechts, Vermögensberaterin bei der Haspa in Altona, seit 21 Jahren bei der Sparkasse, will in drei Wochen ihren ersten Marathon laufen. Die Trainingspläne hat sie sich im Internet besorgt, den Entschluss fasste sie im vergangenen Jahr, als sie den Hamburger Marathon im Fernsehen sah. Seitdem ist sie meist abends – dann mit Stirnlampe – und an den Wochenenden mit Freunden und ihrem ständigen Laufpartner in Marmstorf unterwegs. Ihr Pensum: an fünf Tagen rund 60 Kilometer in der Woche, „da bleibt neben der Arbeit nicht mehr viel Zeit für andere Dinge“. Die Herausforderung aber, wenigstens einmal diese legendären 42,195 Kilometer zu schaffen, sei diesen Aufwand allemal wert.

Gespannt sei sie auf die Erfahrungen auf den letzten zehn bis zwölf Kilometern, wenn der Mann oder die Frau mit dem Hammer kommt, jener Zeitpunkt, wenn die Energiereserven aufgebraucht sind. „Frauen sind leidensfähig“, sagt Dunja Wolf, „da werde ich mich schon durchbeißen.“