Hamburg. Mit den aktuellsten Exemplaren erinnern Schüler in Barmbek an junge Euthanasieopfer der Nationalsozialisten aus ihrem Stadtteil.

Sie haben bunte Flyer gebastelt und im Internet über die Opfer der Nazis in Hamburg recherchiert. Sie sind in den Stadtteil gegangen und haben die Menschen auf der Straße um Spenden gebeten. Sie haben zahlreiche Stolpersteine in Hamburg geputzt, um einen neuen zu finanzieren. Sie haben so viel Geld gesammelt, dass es sogar zwei Steine geworden sind. Jetzt wurden die Stolpersteine der 24 Schüler der 7e der Helmuth Hübener Stadtteilschule in Barmbek in der Steilshooper Straße und in der Dieselstraße verlegt.

„Ein Mensch wird erst vergessen, wenn sein Name vergessen wird“, hat Gunter Demnig aus dem Talmud, dem bedeutenden Schriftwerk des Judentums, zitiert. Vor 20 Jahren hat der Künstler in Köln den ersten Stolperstein verlegt. Einen quaderförmigen, knapp zehn Zentimeter großen Betonstein mit einer Messingplatte. Auf ihr erinnert eine Inschrift an die Menschen, die in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt, ermordet, deportiert, vertrieben oder in den Selbstmord getrieben wurden.

Mittlerweile sind mehr als 50.000 Steine in Deutschland und anderen europäischen Ländern verlegt worden – das größte dezentrale Mahnmal der Welt. In Hamburg wurde fast auf den Tag genau vor zehn Jahren, am 29. März 2005, der 1000. Stein verlegt. Inzwischen sind es 4825 Steine mit 4825 Namen, die daran erinnern, dass das Grauen nicht erst in Auschwitz begonnen hat. Sondern in der Nachbarschaft, in der Straße, vor der eigenen Haustür.

„Wir haben natürlich schon vor der Aktion die Stolpersteine auf der Straße gesehen, aber wir wussten nicht richtig, wofür sie sind und was sie bedeuten“, sagen Sarah, 13, und Maxime, 12.

„Wir wussten ein bisschen etwas über Adolf Hitler“, sagt Lisa, 12. Und Lara, 13, ergänzt: „Aber wir haben nicht gewusst, wie viele Juden von den Nazis ermordet worden sind. Und vor allem nicht, dass so viele behinderte Kinder eingesperrt und getötet worden sind.“

Ganze, 13, sagt: „Wir wollten die Erinnerung an die schrecklichen Taten der NS-Zeit wachhalten.“ Und sie wollten ihren eigenen Stolperstein.

Für 120 Euro kann jeder die Patenschaft für die Herstellung und Verlegung eines Stolpersteins übernehmen. Also haben die Schüler gemeinsam überlegt, wie sie das Geld beschaffen könnten.

„Schließlich kamen wir auf die Idee, Stolpersteine zu putzen und dafür bei den Leuten um Spenden zu bitten“, sagt Batuhan, 12. War das schwer? „Überhaupt nicht. Die meisten Leute haben uns sofort etwas gegeben, immer so zwischen zwei und fünf Euro. Viele haben gesagt: ,Ihr seid so fleißig, dafür müsst ihr auch belohnt werden!‘“

Sie sind immer zu viert losgegangen. Zwei Schüler haben geputzt, zwei haben Geld gesammelt. Innerhalb von zwei Tagen hatten sie 240 Euro zusammen. Und haben dann überlegt, an wen die beiden Steine erinnern sollten. „Wir wollten an einen Menschen aus unserem Stadtteil erinnern, am besten jemand in unserem Alter“, sagt Josie, 13.

Im Rahmen einer Projektwoche hatten die Schüler zuvor auf dem Gelände der Alsterdorfer Stiftungen Menschen mit Behinderung getroffen. Sie entschieden sich für ein Euthanasieopfer und informierten sich mit Zeitungsartikeln und Filmen über Menschen, die in der NS-Zeit aufgrund ihrer Behinderung ermordet worden sind.

Vor dem Haus in der Steilshooper Straße 215 erinnert der Stolperstein der 7e jetzt an Lieselotte Ahrens. „Hier hat sie gewohnt, bevor sie mit zwölf Jahren in die Alsterdorfer Anstalten kam“, sagt Josie. In den Krankenhausakten über Lieselotte Ahrens ist zu lesen: „Sie weiß ihren Namen, sonst aber gänzlich desorientiert. Kann weder lesen noch schreiben, spricht nur einzelne Worte und diese sehr schwer verständlich. Diagnose: Idiotie.“

Als die Alsterdorfer Anstalten bei Bombenangriffen getroffen wurden, wurde Lieselotte mit 250 anderen Frauen und Kindern 1943 in eine Heil- und Pflegeanstalt nach Wien verlegt und ist dort am 7. November 1944 verstorben. Sie wurde nur 15 Jahre alt.

Der zweite Stolperstein erinnert an Horst Engelhardt. Er wurde 1936 geboren, kam mit fünf Jahren in die Alsterdorfer Anstalten. Auch bei ihm lautete die Diagnose Idiotie. In den Akten stand: „Es handelt sich um einen sehr unruhigen Pflegling, der sehr viel schreit. Sprachvermögen besitzt er nicht, er muss an- und ausgekleidet werden. Während er am Tage trocken gehalten werden kann, nässt er des Nachts sein Bett ein und beschmutzt sich auch. Sein Gesundheitszustand ist zufriedenstellend. Gez. Dr. Kreyenberg.“

Zwei Jahre später wurde Horst Engelhardt nach Bayern in die Heil- und Pflegeanstalt Mainkofen verlegt. Dort ist er nur acht Monate später, am 18. April 1944, an Lungentuberkulose gestorben. Am 8. Februar hatten seine Eltern in der Dieselstraße 24 in Barmbek noch einen Brief von dem Heim bekommen, weil sich das körperliche Befinden ihres Sohnes „stark verschlechtert“ habe. „Mit dem Ableben ist in absehbarer Zeit zu rechnen.“ Der Besuch wäre jederzeit gestattet, Unterkunftsmöglichkeit in Mainkofen bestehe aber nicht. „Sie müssten sich vorher in Deggendorf oder in Plattling ein Zimmer bestellen.“

Mit ihrer Stolperstein-Aktion haben sich die Schüler der 7e um den Helmuth-Hübener-Preis beworben. Die Lehrerin Sabine Krüger ist sehr stolz auf ihre Schüler, die aus aller Herren Länder kommen und von denen es viele nicht leicht haben. „Sie waren mutig, haben Passanten angesprochen und ihre Sache vertreten“, sagt sie. Manche hätten unterwegs sogar spontan eigene Putzlappen gekauft. Die ersten waren nach einigen Stunden so schmutzig, dass sie damit nicht mehr weiter arbeiten konnten – um die Erinnerung an die Nazi-Opfer aufrechtzuerhalten.