Hamburg. Spieler lassen sich einschließen und müssen viele kleine Rätsel lösen, um den Schlüssel zur Freiheit zu bekommen, und das alles innerhalb einer Stunde.
Vivian, Joana und Ilona öffnen die Türen der Kommode, blättern in Büchern und schauen hinter die Bilder an der Wand. „Komm mal rüber mit der Taschenlampe, schnell“, ruft Ilona, „hier ist was“, flüstert sie aufgeregt, „schau mal, eine Schatzkarte“. Das Licht der Kerzen flackert, ein Bullauge an der Wand vermittelt die Illusion von einem Blick auf den Ozean. Ein Plüschpapagei sitzt in seinem Käfig in der Ecke, Seekisten und ein Kompass machen den Eindruck perfekt: Die Gruppe befindet sich an Bord eines Schiffes.
Die jungen Frauen stellen das Zimmer auf den Kopf, weil sie Teil eines Spiels sind. Ihr Ziel ist es, innerhalb von einer Stunde den Schlüssel zu finden. Nur so kommen sie aus der verriegelten Kapitänsstube wieder zurück in die Freiheit, bevor der Segler untergeht.
Das „Hidden in Hamburg“, in dem sich die Gäste mit einem leichten Gruselgefühl in den Raum haben einschließen lassen, ist Teil eines neuen Freizeittrends, der weltweit immer mehr Freunde findet. Es geht um Rätselräume als Abenteuerspielplätze für Erwachsene.
„Exit-the-Room“-Spiele
In Europa ist es vor allem Budapest, das Dutzende der so genannten „Exit-the-Room“-Spiele (deutsch etwa: entkomme aus dem Raum) bietet. Aber auch in asiatischen Städten wie Hongkong oder in den USA im Silicon Valley ist die Rätselei Kult, die Anbieter dort dehnen sich bereits als Ketten in weitere Regionen aus.
Auch in Hamburg buhlen schon eine ganze Reihe der Escape Rooms um die Kunden. Die Bewegung der Spaß-Gefängnisse ist an Alster und Elbe aber noch brandneu. Alle Anbieter der Events sind erst in den vergangenen Monaten an den Start gegangen. Teamescape, Adventure Team oder Team Breakout heißen die Veranstalter, die eine Idee verbindet: Die Spielergruppen gehen einer Reihe von geheimnisvollen Hinweisen nach, öffnen Schlösser, indem sie Zahlenkombinationen errechnen, lösen Worträtsel und verfolgen Fährten, um den Weg in die Freiheit zu finden.
Hier kommen Sie zu einer Übersicht über Escape Games
Die Kosten bewegen sich zwischen 17 und 35 Euro pro Person, und die Rätselwelten haben meist einen Hamburg-Touch: Es geht um einen Anschlag im Containerhafen oder einen Mord im Rotlichtviertel. „Ich habe die Idee in London kennengelernt und war sofort begeistert“, sagt Heinz Ruflair, Gründer von Exit2Life. Er hat 250 Quadratmeter in der Schanze gemietet, in einem ehemaligen Sadomasoclub. „Seit Oktober, als wir gestartet sind, hatten wir 1500 Kunden“, freut sich der gebürtige Sylter.
„99 Prozent der Leute kennen die Games noch nicht“
Viele Mitspieler seien so begeistert, dass sie schnell weitere Rätsel lösen wollten. „Deshalb bauen wir jetzt noch einen neuen Raum“, sagt der ehemalige Unternehmensberater. Das Problem der Branche sei zuweilen die mangelnde Bekanntheit der neuen Freizeitbeschäftigung. „99 Prozent der Leute kennen die Games noch nicht“, sagt Ruflair.
Doch viele Escape-Rooms sind bereits so beliebt, dass sie auf den Bewertungsseiten von Ausflügen in Hamburg unter den besten Tipps gelistet werden, gleichauf mit Hafenrundfahrten oder einer Führung im Michel. Auch die jungen Frauen, die im Rickmer-Rickmers-Raum bei „Hidden in Hamburg“ ihr Abenteuer bestehen müssen, sind als Touristinnen in der Stadt.
Wie die meisten anderen Besucher sind sie über das Internet auf das Event gestoßen und haben sich für diesen Tag bei „Hidden in Hamburg“-Betreiberin Rieke Muuß angemeldet. „Ich habe für ein Auslandssemester in Budapest studiert, und das ist ja zufällig die Hauptstadt der Live Escape Games“, sagt die 24-Jährige. Die ungarische Hauptstadt ist mit den Rätsel-Räumen quasi komplett unterkellert, und die gebürtige Kielerin probierte die Sache eines abends aus. „Ich war sofort begeistert, denn schon als Kind habe ich unheimlich gerne Detektiv gespielt“, sagt die „Hidden in Hamburg“-Chefin.
„Das war noch besser, als ich es erwartet hatte“
Neben dem Kapitänszimmer, in dem bei den Besucherinnen wegen der verrinnenden Zeit langsam der Puls steigt, sitzt ein Mitarbeiter, der das Team über eine kleine Kamera beobachtet. „Wenn ich sehe, dass sie nicht weiterkommen, gebe ich ihnen über einen Lautsprecher einen Hinweis“, sagt der Tippgeber, der sich jetzt auch gerade einschaltet bei Joana und Nina: „Schaut doch mal hinter dem Bild an der Wand“, hören die Mitspielerinnen und laufen sofort zu dem Kunstwerk, das einen kleinen Zettel verbirgt. Zehn Minuten später dreht sich der Schlüssel in der Tür, und die Kundinnen kommen heraus. Aufgeregt reden alle durcheinander, erst langsam fällt die Anspannung ab, und die Freude, es mit wenigen Hinweisen in die Freiheit geschafft zu haben, ist groß.
„Das war noch besser, als ich es erwartet hatte“, sagt Vivian Weitz, „wir waren unheimlich tief drin in der Geschichte und hatten wirklich Angst, dass wir mit dem Schiff untergehen. Der Adrenalinspiegel steigt an, und man muss mit Konzentration und Teamgeist die Aufgaben lösen“, freut sich die Touristin über das bestandene Abenteuer.
„Wir sind Gefangene in unserem eigenen Alltag ... aber in diesem Spiel können wir aus diesem Alltag ausbrechen und ihn vergessen“, sagte kürzlich Adam Pattantyus über den Reiz der Escape-Games. Der Ungar hat vor wenigen Monaten ein eigenes Festival für die Abenteuerspiele organisiert, mit Hunderten von Teams aus aller Welt, die versuchten, sich aus versperrten Räumen im ganzen Land zu befreien.
Lösung googlen
Aber nicht nur in der realen Welt, auch im Internet locken die Escape-Spiele immer mehr Nutzer in rätselhafte Verliese oder ganze Häuser. Es sind Browser-Spiele, bei denen man per Mausklick virtuelle Schlafzimmer, Büros oder Kriminalschauplätze durchsucht. Dort findet sich etwa in einer Vase ein Taschenmesser, mit dem man einen Buchrücken aufritzen kann und hier dann den Schlüssel für die Tür findet. „Ich habe das im Internet auch schon versucht“, erzählt Ilona Drojinski, eine der Spielerinnen bei „Hidden in Hamburg“, „und dann nach einer Weile die Lösung gegoogelt“.
Im echten Leben können da nur die Mitspieler helfen, oder der Tippgeber hinter der Kamera. „Bei uns hat es bis jetzt jeder wieder heraus geschafft“, beruhigt Ulrike Muuß. Zu den Kunden der Teamevents gehörten Touristengruppen, Familien oder Betriebsausflügler. Weil die Nachfrage schon jetzt so groß ist, dass die Gründerin so mancher Gruppe absagen muss, hat sie bereits Pläne für eine Expansion in der Schublade. Ideen für die Abenteuer hat die studierte Wirtschaftswissenschaftlerin genug, zumal sie sich die Begeisterung für Kriminalfälle bewahrt hat, sagt Ulrike Muuß lachend: „Auf dem Weg zur Arbeit höre ich immer die drei Fragezeichen“.