Hamburg. Aleksandar Denic stellt als Bühnenbild schon mal einen Hubschrauber der US-Armee ins Rampenlicht. Derzeit arbeitet er am Schauspielhaus.

Neulich, in München, für die urheberrechtlich schwer umkämpfte Inszenierung von Brechts „Baal“, da hat der Bühnenbildner Aleksandar Denic seinem Regisseur Frank Castorf einen echten ausgemusterten Hubschrauber der US-Armee ins Residenztheater-Rampenlicht gestellt. War nicht ganz einfach, der Papierkrieg zur Beschaffung dieser unhandlichen Requisite, aber wenn Denic in der Branche für eines bekannt ist, dann dafür: Im Zweifelsfall lieber ordentlich übertreiben beim Theater ums Theater. Und ansonsten: auch. Da ist er mit Castorf aber sowas von auf einer Linie.

„Als wir uns kennenlernten, haben wir über alles Mögliche gesprochen“, erinnert sich Denic, „aber nicht über Kunst. Später haben wir festgestellt, dass uns die postsozialistische Perspektive verbindet. Er hat in der DDR gelebt, ich in Jugoslawien. Unsere Zusammenarbeit ist intuitiv.“ Das Entwerfen von Grund auf liegt bei Denic in der Familie: ein Onkel war ebenfalls Bühnenbildner, ein anderer Architekt.

Der Belgrader Denic, der neben vielen Jobs für Theater und Oper auch etliche Kinofilme in seiner Vita hat, und der Berliner Castorf hievten im letzten Sommer mit vereinten Kräften und gegen viele Widerstände einen musikalisch oft, optisch aber immer überwältigend einfallsprallen „Ring“-
Zyklus auf die Bühne der Bayreuther Festspiele. Mit irre aufwendigen Installationen wie dem ideologisch verfremdeten Mount Rushmore mit Marx, Lenin, Stalin und Mao, oder einer rasanten Drehbühnen-Kombination aus Ostberliner Hinterhoftristesse und der Fassade der New Yorker Börse. Teile dieser Kulissen wurden übrigens in den Werkstätten von Studio Hamburg angefertigt.

Liebster von vielen Aufregern für ordentliche Wagnerianer auf dem Grünen Hügel waren die verliebten Krokodile im „Siegfried“, die zwar niemand so recht verstand und die auch nicht vom Komponisten vorgeschrieben sind. Aber dass sie ein täuschend echter Hingucker waren, das muss man Denic lassen. In eben diesem „Siegfried“ ließ Denic dem Titeltenor echte Spaghetti auftischen, um selbst im unerkennbaren Detail authentisch zu bleiben.

„Das ist absolut notwendig“, erklärt der Serbe seine ausufernde Theaterweltschöpfer-Philosophie, die ihm in Deutschland die Auszeichnung „Bühnenbildner des Jahres 2014“ einbrachte. „Ich entwickle einen Spielplatz mit 1000 Möglichkeiten, auf dem der Regisseur seine Fantasien verwirklichen kann.“

Castorf und Denic haben mittlerweile einige Erfahrungen miteinander gesammelt, das schweißt noch mehr zusammen als das ohnehin ähnliche Denken über Gott und den Rest der Welt. Die altehrwürdige Anweisungshierarchie – einer bestellt, der andere gehorcht und baut – ist bei ihnen außer Dienst gestellt. „Klingt vielleicht komisch“, sagt Denic und grinst beim Kantinenplausch, nicht zum letzten Mal. „Aber wir diskutieren nicht. Wir denken in die gleiche Richtung. Wir lachen über dieselben Dinge. Wenn Frank Castorf verrückt ist, bin ich es also auch.“

Das ginge doch auch einfacher? „Stimmt, aber so arbeite ich nun mal nicht“, amüsiert sich Denic. „Ich mag es kompliziert, ich mag es, wenn die Struktur vielschichtig ist und wenn die Leute darüber nachdenken müssen, was sie auf der Bühne sehen.“ Was wohl auch so gemeint ist, dass die Spezialisten in den Theaterwerkstätten seiner Meinung nach froh sein sollten, wenn sie mal so richtig hart fordernd rangenommen werden und an ihrer Berufsehre gepackt.

Momentan bringt Denic, trotz seiner hochtourig verbreiteten Freundlichkeit, das Personal des Hamburger Schauspielhauses ins Schwitzen. Dort hat am 19. März Hans Henny Jahnns Frühwerk „Pastor Ephraim Magnus“ Premiere. Jahnn selbst nannte es verdient „entsetzlich qualvoll“. Ein Berserker-Stück über eine sehr finstere Kombination aus Glaube, Liebe und Hoffnungslosigkeit, von Castorf inszeniert, der bekanntlich kein Typ für leise, behutsam inszenierte Kammerspielchen ist.

Aleksandar Denic zeigt im Bühnenbild Teile der Potsdamer Garnisonskirche

Zu viele Vorab-Informationen zu dem Jahnn-Stück, das würde den Spaß am staunenden Bilderrätseln beim Theaterbesuch verderben. Aber so viel verrät Denic selbst: Er zeigt Teile der Potsdamer Garnisonskirche. Symbolbrocken für das Hin- und Hergerissensein des Menschen zwischen Moral, Gut und Böse und Politik seien das. Die Wahl fiel ganz absichtlich auf ein leidenschaftlich umstrittenes Bauwerk.

Zum juristischen Stress mit den Nachkommen Brechts über Castorfs Münchner „Baal“-Inszenierung, der zum Zeitpunkt unseres Treffens nur noch zwei Aufführungen erlaubt waren, hat Denic eigentlich keine Meinung. Dennoch greift er fast unverändert auf die im „Spiegel“ zitierte Äußerung von seinem Partner in crime zurück, um die gemeinsame Haltung zur Klage des Suhrkamp Verlags zu erläutern. „Wenn man etwas verbietet, verbietet man etwas. Oder eben nicht. Alles andere wäre so, als wenn jemand mit deiner Frau schläft; du bist sauer, wirklich sauer und sagst dem Kerl: Fass sie nie wieder an – aber du kannst noch zweimal mit ihr schlafen ... Es ist lächerlich. Aber das ist nicht mein Pro­blem.“

Denic wirkt tatsächlich so, als würde er gedanklich ständig etwas skizzieren, passend machen oder an die ideale Stelle rücken und sich nicht um einzelne Probleme kümmern können, wenn das größere Ganze geregelt werden will. Stillsitzen scheint nicht seine allergrößte Stärke zu sein. Wer so gern so weit ausholt bei der Möblierung eines dramatischen Umfelds, der braucht penible Vorbereitung. Ins Staatstheater an der Kirchenallee kam Denic, wie es sich gehört, mit allen Ideen komplett umsetzungsbereit. In seinem Studio in Belgrad hat er Zeichnungen, Modelle und 3-D-Studien angefertigt. Den Rest soll die Werkstatt vor Ort übernehmen. Denic ist ein Teamplayer, der gern fordert. Und da er, genau wie Castorf, gern mit Videokameras arbeitet, die Einzelheiten des Bühnengeschehens zur Betonung und Vergrößerung auf Leinwände übertragen, ist ihm auch klar: „Kameras kann man eh nichts vormachen.“

Nachdem der offizielle Teil des Interviews vorbei ist, wird es, wie so oft, dann noch mal auf ganz andere Art interessant. Als Erklärung für die Terminfindungsprobleme kramt Denic sein Smartphone aus der Hosentasche und präsentiert, stolz wie Bolle, sein Beweisfoto für den Grund: Er in voller Montur neben der russischen Eishockey-Legende Slawa Fetissow. „Nur 3:8 haben wir verloren!“ Die Betonung liegt auf „nur“. Denic ist in Belgrad als Linksaußen Teil einer Mannschaft, die gegen ein Allstar-Team aus Moskau auflaufen durfte. „Mit Slawa auf dem Eis, das ist wie eine Fußball-Partie mit Pelé“, freut sich Denic mit der unbremsbaren Ehrfurcht eines Fans.

Da ist er wieder, der Teamplayer. Und dann ist Denic auch schon wieder weg aus der Schauspielhaus-Kantine, flott entschwunden. Wahrscheinlich Richtung Bühne.