Hamburg. Nachbarn und die Politik wollen die alten Arbeiterwohnungen erhalten, die Genossenschaft lieber neu bauen. Der Streit eskaliert.
Wandsbek hat kaum historische Bausubstanz. Der Bombenkrieg hat fast alles zerstört. Den kargen Rest beseitigen die Modernisierer. Bis heute. Jetzt soll es die Terrassenhäuser an der Wandsbeker Josephstraße treffen. Die Baugenossenschaft Hamburg-Wandsbek von 1897 e.G. (WHW) will sie mitsamt einer weiteren, straßenparallelen Häuserzeile abreißen und stattdessen 66 Wohnungen mit 27 Stellplätzen in einer Tiefgarage bauen.
Die Wandsbeker Geschichtswerkstatt und Bürgerverein laufen Sturm dagegen, die rot-grüne Koalition im Bezirk will die um 1900 gebauten Arbeiterwohnungen erhalten und lehnte schon vor drei Jahren einen Vorbescheidsantrag der WHW ab. Doch die Baugenossen um den Wandsbeker CDU-Bürgerschaftsabgeordneten und WHW-Chef Ralf Niedmers stellten den Antrag jetzt neu, schoben einen Abrissantrag hinterher und wehren sich mit Eingaben beim Petitionsausschuss der Bürgerschaft gegen den rot-grünen Vorstoß zum Erlass einer städtebaulichen Erhaltenssatzung im Bezirk.
Die Gemengelage ist unklar: Die Eingaben halten wegen ihrer aufschiebenden Wirkung die Erhaltenssatzung auf und Niedmers hofft, noch ohne Berücksichtigung denkmalschützerischer Belange eine Genehmigung erzwingen zu können. Die WHW-Anträge müssten normalerweise innerhalb von Wochen entschieden werden, und so schnell ist der Petitionsausschuss nicht. Der Bezirk hat jedoch erklärt, bis zur Entscheidung in der Bürgerschaft alle Anträge ruhen zu lassen – wegen der aufschiebenden Wirkung der Eingaben. Niedmers selbst wollte sich gegenüber dem Abendblatt nicht äußern. Stattdessen ließ er die Anwaltskanzlei Kues einen Schriftsatz schicken. Darin wird ausführlich dargelegt, dass Niedmers Arbeit für die WHW mit seinem Abgeordnetenmandat für die CDU nichts zu tun habe und dieser Umstand in früheren Zeiten schon einmal übersehen worden ist. Im übrigen habe Niedmers einen Rechtsanspruch auf die Abrissgenehmigung. Die Abendblatt-Anfrage, ob er dafür vor Gericht ziehen will, ließ auch die Anwältin offen.
Die Substanz der Häuser ist – unsaniert – in einem ähnlich guten Zustand wie die berühmten und in den 1970er Jahren hart umkämpften Terrassenhäuser am Eppendorfer Falkenried. Und sie sind die letzten ihrer Art im gesamten Bezirk Wandsbek. Sie gehören zum milieugeschützten alten Fabrikrevier Neumann-Reichardtstraße und sind der Beitrag der Gründerzeit gegen die Wohnungsnot: Damals wurden quer zur Straße dreigeschossige Häuserzeilen entlang einer Stichstraße in die grünen Höfe gebaut, um die Fabrikarbeiter, Fuhrleute, Handwerker und die Dienstboten unterzubringen, die „Herrschaften“ residierten in den Vorderhäusern.
Terrassenhäuser sind die architekturgeschichtlichen Vorläufer der Schumacher-Bauten in der Winterhuder Jarrestadt oder der jetzt ebenfalls der Abrissbirne zum Opfer fallenden Backsteinburg am Elisabethgehölz in Hamm. Das Denkmalschutzamt legte dem Bezirk nahe, eine Erhaltensverordnung zu erlassen.
Der WHW sind die Wohnungen in den Terrassenhäusern zu klein und zu teuer. „Nicht marktgerecht“, heißt das in Immobilienkreisen. „Aber die WHW ist doch gemeinnützig“, sagt Sigrid Curth von der Geschichtswerkstatt Wandsbek. „Wenn Renditegesichtspunkte selbst in Genossenschaften nicht zurückstehen können, wo dann?“ Sie warf WHW-Chef Niedmers, der den „einfachen Putzfassaden-Häusern“ keinerlei Erhaltenswürdigkeit zugestehen wollte, Rücksichtslosigkeit vor.
Niedmers Rechtsanwältin erklärte, die Genossenschaft sei nicht gemeinnützig und die Terrassenhäuser existierten gar nicht. „Das typische an Terrassenhäusern ist die Hinterhofbebbauung. Da es hier kein Vorderhaus gibt, gibt es auch keine Hinterhofbebauung und damit keine Terrassenhäuser.“ Die Vorderhäuser waren zerbombt und wurden nach dem Krieg nur teilweise wieder aufgebaut.
Der SPD-Stadtplaner Rainer Schünemann sprach von „bestens erhaltenen Gründerzeitfassaden“ und will Niedmers auf einen geschichtsfreundlicheren Kurs einschwören. „Der Erhalt der Terrassenhäuser träfe ja nicht das ganze Bauvorhaben. Für die straßenparallele Zeile Josephstraße 12 bis 18, also die Vorderhäuser, würden wir einen Neubau befürworten.“ Auch die Grünen halten den Erhalt der Gründerzeithäuser für unbedingt geboten, zumal Wandsbek nur noch im „Schoko-Viertel“, benannt nach den Reichardt-Schokoladen-Werken um die Ecke, die für die Vorkriegszeit typische Mischung von Wohnen und Gewerbe zeigt.
Laut Schünemann wäre keine Top-Sanierung der Joseph-Terrassen nötig. „Die Wohnungen wären sehr schnell an Studenten zu vermieten.“ Weil sie klein sind und mit der Stichstraße eine Art Hof schaffen, der, abgewandt von der Straße, ein kommunikatives Miteinander fördert. In der Schanze funktioniert das so seit Jahrzehnten.
Niedmers hat dafür nichts übrig. Die WHW hat die Wohnungen schon komplett leer stehen und zum Abriss vorbereitet. Niedmers Anwältin führte eine Bewohner-Initiative an, die den Abriss unterstütze. „Ein Phantom“, sagte Schünemann, „sie besteht aus zwei Mietervertretern.“ Am Montag soll ein Gespräch mit Bezirksvertretern Spielräume für eine Einigung mit der WHW ausloten.
Sie sind vielleicht größer, als es den Anschein hat: In Bramfeld plant der Investor der neuen Dorfplatzpassage sogar im Neubau sogenannte „Mikrowohnungen“ – 23 Quadratmeter groß, auf Empfehlung seiner Marktforscher. Sie sehen einen wachsenden Markt für Studenten und die ärmer werdenden, alleinstehenden Senioren.