Hamburg. Uni-Präsident Dieter Lenzen ruft Präsidenten von 50 Top-Hochschulen in die Stadt. Das Ziel: Gemeinsam ein Welthochschulsystem gründen.
Hamburg soll in der Wissenschaft das werden, was Davos für die Wirtschaft bedeutet: In der Hansestadt kommen im Juni die Präsidenten von rund 50 Top-Universitäten aus aller Welt zusammen, um drei Tage lang über die Zukunft der Entwicklung ihrer Hochschulsysteme zu beraten. Denn die stehen vor großen Herausforderungen: So wird das kontinentaleuropäische und das asiatische Hochschulmodell zunehmend von der angloamerikanischen Tradition beeinflusst.
Die Folge aus Sicht des Hamburger Universitäts-Präsidenten Dieter Lenzen: eine zunehmende Ökonomisierung der Hochschulbildung, die immer mehr Teil des Wirtschaftssystems wird, während sich der Staat aus der Finanzierung zurückzieht. Als Grundlage für das Spitzentreffen, das gemeinsam mit der Körber-Stiftung und der Hochschulrektorenkonferenz organisiert und von Außenminister Frank-Walter Steinmeier eröffnet wird, hat Gastgeber Lenzen ein Buch geschrieben mit dem Titel „Eine Hochschule der Welt“, in dem er für ein Welthochschulsystem plädiert. Worum es dabei geht und welche Agenda er verfolgt, schildert er im Gespräch.
Hamburger Abendblatt: Herr Lenzen, welchen Impuls erhoffen Sie sich von dem Hochschulgipfel in Hamburg?
Dieter Lenzen: Meine Absicht ist schon, von Hamburg aus einen Prozess zu etablieren, der ähnlich dem Wirtschaftstreffen in Davos von Dauer ist. Dabei wollen wir versuchen, ein World University Leaders Council zu etablieren, der möglicherweise längerfristig tätig ist. Wir müssen uns auf globaler Ebene zusammensetzen und sehen, ob wir zu einer gemeinsamen Übereinkunft kommen. Gut wäre es, wenn sich weltweit führende Hochschulen wie die New York University, Northwestern University, Berkeley, Fudan in China, und Todai in Tokio auf bestimmte Normen verständigen und sich verpflichten, nicht mehr hinter sie zurückzufallen. Die Kollegen in Stanford und Harvard haben die gleichen Probleme: Die Staaten versuchen, sich aus ihrer Finanzierungsverpflichtung zu verabschieden und den Bildungssektor zu einem Privatgeschäft zu machen. Ich bin aber überzeugt: Der Staat muss weiter Veranstalter und Kontrolleur des Bildungswesens sein.
Ihr Buch ist ein Plädoyer gegen die zunehmende Ökonomisierung von Bildung.
Lenzen: Das atlantische Bildungssystem, das maßgeblich aus Großbritannien stammt, hat Bildung nie als soziales Gut verstanden, sondern immer als Business, als Geschäft. Das geht auf das frühe 18. Jahrhundert zurück. Wir befürchten, dass sich dieser Weg fortsetzt. Das ist beispielsweise in China zu beobachten an den großen Super-Universitäten, die sehr hohe Gebühren verlangen. Die Eltern legen sich – wie teilweise in den USA – für die Bildung ihrer Kinder ein Leben lang krumm. Die Entwicklung hat nicht nur soziale Auswirkungen, sondern auch inhaltliche: Bestimmte Lehrinhalte kommen gar nicht mehr vor. In Großbritannien sind die Geisteswissenschaften praktisch im Verschwinden begriffen, weil die Studiengänge zwar sehr teuer sind, aber keine konkrete Berufsausbildung bieten. Das Interesse von Eltern, ihre Kinder unter diesen Bedingungen dafür anzumelden, sinkt. Die Folge ist, dass die Universitäten diese Studiengänge zunehmend einstellen.
Sie sprechen davon, dass universitäre Bildung mittelfristig Teil des Wirtschaftssystems zu werden droht. Auch in Deutschland?
Lenzen: Deutschland ist Kernland der kontinentaleuropäischen Tradition, hier ist die Gefahr geringer als anderswo. Doch die Situation hat sich auch bei uns in den vergangenen 20 Jahren geändert: Damals gab es zwei oder drei private Hochschulen, heute sind es 260. Dagegen ist nichts zu sagen, aber diese Branchenhochschulen sollten staatliche Angebote nicht zunehmend ersetzen. Ich bin sicher, dass auch die Diskussion über Studiengebühren wiederkommt und die Tendenz des Staates, sich aus sozialen und Bildungsverpflichtungen zu verabschieden, steigt.
Universitäre Bildung wird immer mehr auf eine bloße Berufsausbildung verkürzt, lautet eine zentrale These Ihres Buches.
Lenzen: In der kontinentaleuropäischen Tradition, der sich auch die Universität Hamburg verpflichtet fühlt, war das Hochschulstudium als eine Veranstaltung gedacht, die der Ausbildung von Persönlichkeit dient. Ein Studierender sollte in seinem Leben nicht nur sich selbst, sondern auch der „Höherbildung der Menschheit“ verpflichtet sein, also die Gesellschaft im Sinne von mehr Humanität voranbringen. Das atlantische, sehr viel stärker berufsorientierte Modell drängt diese Aspekte zurück. Dabei droht das verloren zu gehen, was einmal mit Bildung durch Wissenschaft gemeint war: Junge Leute an Forschungsprozessen zu beteiligt und ihnen beizubringen, sich einer strengen wissenschaftlichen Methodik zu unterwerfen und nicht Meinung für Wahrheit zu halten. Durch das Vordringen des anglo-amerikanischen Modells, das das Studium als Berufsausbildung sieht, ist in Kontinentaleuropa ein Problem entstanden. Der Druck wächst, auch hier in Hamburg.
Wenn junge Leute bei der Studienwahl auch an ihre Berufsperspektiven denken, muss das nichts Schlechtes sein.
Lenzen: Das ist völlig berechtigt, kann aber nicht alles sein. Ich sehe die Gefahr, dass es am Ende des Tages keinen Ort mehr in der Gesellschaft gibt für das, was man als kritisches Denken bezeichnet. Die ETH Zürich, eine der weltweit führenden technisch-naturwissenschaftlichen Hochschulen, hat in jedem Fach Elemente von critical thinking im Curriculum eingeführt, um zu verhindern, dass die Lehre eindimensional verkürzt wird.
Ist die Berufsvorbereitung mit den Bachelor-Studiengängen an den Universitäten nicht längst eingeführt?
Lenzen: Ja. Grundsätzlich bin ich überzeugt, dass wir das Problem im europäischen Maßstab nicht mehr gelöst kriegen, weil der Druck sehr stark aus der Globalisierung erwächst. Das funktioniert nur – und das ist der letzte Versuch – , wenn wir uns weltweit zusammenschließen und darüber diskutieren, was wir eigentlich unter universitärer Bildung verstehen. Schaffen wir es, uns auf einen Katalog von Anforderungen zu einigen, hinter den wir nicht mehr zurückfallen?
Was ist Ihr eigenes Ideal von universitärer Bildung?
Lenzen: Vom Ende her gedacht bedeutet universitäre Bildung für mich, Menschen einen Weg in ihr berufliches wie auch privates Leben zu eröffnen, in dem sie souverän handeln können, also selbst die Regeln ihres Handelns bestimmen, die Welt reflexiv durchdringen, anstatt Handlungsweise einfach nur zu reproduzieren und im Bewusstsein der Verpflichtung gegenüber einer Gesellschaft leben, in der ich einen Beitrag zu leisten habe. Wir müssen mit den Egoismen vom Schlage der Wall Street aufräumen.
Was bedeutet die Ökonomisierung von Bildung für die Grundlagenforschung?
Lenzen: Die sehr hohen Kosten von Grundlagenforschung übersteigt vielfach die Möglichkeiten einzelner Einrichtungen. Deshalb sind es zunehmend nicht mehr die Universitäten, sondern große Gesellschaften wie Leibniz und Helmholtz, die darüber wachen, selbst aber nicht kritisch kontrolliert werden. So werden die Universitäten, insbesondere in den Naturwissenschaften, zunehmend entleert von der Möglichkeit, ihre Forschung selbst zu bestimmen.
Sehen Sie in Massenvorlesungen im Internet, sogenannten MOOCs, eher eine Chance oder ein Risiko?
Lenzen: Das kommt auf die Inhalte an. Es kann durchaus sinnvoll sein, E-Learning anzubieten in Bereichen, in denen es um hoch standardisiertes Wissen geht. Gefahr droht, wenn aus den MOOCs ein Geschäft wird. Es ist kein Beitrag zur Demokratisierung von Wissen, wenn ein Portal für eine Prüfung 45.000 Dollar verlangt. E-Learning muss unter den Bedingungen von akademischer Freiheit gestaltet werden und nicht nur von Zweckmäßigkeit.