Langenhorn. Ihr Hamburger Biograf Professor Reiner Lehberger über das späte Geständnis des Helmut Schmidt, seine Frau betrogen zu haben.

An diesem Sonnabend kommt Helmut Schmidts neues Buch auf den Markt. Der Titel ist Programm: „Was ich noch sagen wollte“. Dazu zählt – neben einer Liebeserklärung des 96-Jährigen an seine 2010 verstorbene Ehefrau Loki – das späte Geständnis eines dauerhaften Verhältnisses zu einer anderen Frau. Die Beichte beschränkt sich auf zwei Absätze, löste jedoch einen öffentlichen Donnerhall aus.

Wie hat Hannelore alias Loki Schmidt die Eskapade ihres Ehemanns damals aufgenommen? Innerhalb der SPD gilt es als offenes Geheimnis, dass diese keine Ausnahme war. Das Abendblatt sprach mit Professor Reiner Lehberger, Autor einer im Oktober 2014 bei Hoffmann und Campe erschienen, tiefgründigen Biografie über Loki Schmidt.

Hamburger Abendblatt: Herr Professor Lehberger, die Diskussion über Helmut Schmidt und die Frauen schlägt hohe Wellen. Sind Sie überrascht?

Reiner Lehberger: Über die Tatsache, dass Helmut Schmidt in den 60er-Jahren eine Beziehung zu einer anderen Frau hatte, war ich nicht überrascht. Der „Stern“ hat im Mai 1966 ausführlich darüber geschrieben. Loki Schmidt hatte mir von diesem Artikel berichtet. Den habe ich dann im Archiv gesucht und für das Ehekapitel meiner Loki-Biografie herangezogen. Als Biograf, vor allem wenn man wie ich auch über die innere Biografie schreiben will, konnte ich an den Krisen der so außergewöhnlichen Ehe der Schmidts schlecht vorbeigehen. Überrascht hat mich aber, dass Helmut Schmidt in seinem vielleicht letzten Buch darüber selbst spricht.

Wenn sie ja schon darüber geschrieben haben, warum dann erst jetzt die Aufregung?

Lehberger: Das persönliche Eingeständnis des Helmut Schmidt wiegt eben schwerer als die Beschreibung des Biografen seiner Frau. Bislang sprachen beide immer nur sehr vage über Krisen in ihrer Ehe. Nun ist er selbst erstmals konkret geworden.

Haben Sie eine Erklärung für diese späte Beichte?

Lehberger: Ich nehme den Titel des neuen Buches von Helmut Schmidt „Was ich noch sagen wollte“ sehr ernst und schließe daraus, dass es ihm wichtig war, für diesen Teil seiner Lebensgeschichte ein öffentliches Bekenntnis abzugeben.

Andeutungen, dass die Ehe auch schwere Zeiten zu durchstehen hatte, haben ja beide in den Nach-Bonner Jahren wiederholt gemacht und damit auch einer drohenden Idealisierung dieser lebenslangen Beziehung ein Stück weit gegengewirkt.

Gab es nur diese eine außereheliche Affäre?

Lehberger: Helmut Schmidt hat diese eine Beziehung nun öffentlich gemacht, da diese in seinem eigenen Leben offenbar von großer Bedeutung war. Die einzige Affäre in der Ehe Schmidt war dies wohl nicht.

Auch 1972 hieß es in der Presse, der damalige Finanzminister Schmidt halte seine Ehe nur noch aus Gründen der Parteiräson aufrecht.

Lehberger: Nach meinem Wissen stand für Helmut Schmidt eine Scheidung nie zur Debatte. Folglich war der damalige Hinweis auf die Parteiräson abwegig.

Sie haben mehr als 100 Gespräche mit Loki Schmidt geführt. Wie nahm sie die Affäre ihres Mannes auf?

Lehberger: Helmut Schmidt schreibt selbst, dass er die Dramatik dieser Affäre für seine Frau unterschätzt habe. Das ist mit Sicherheit so gewesen, denn Loki Schmidt hat diese Affäre schwer getroffen. Als die außereheliche Beziehung ihres Ehemannes öffentlich bekannt wurde, war Loki Schmidt in einer schwierigen gesundheitlichen Situation.

Warum?

Lehberger: Es war eine Zeit, in der Schwächen des Körpers und der Seele zusammenkamen, wie sie selbst formuliert hat. Seit Ende 1964 war sie wiederholt über lange Strecken krankgeschrieben, ab Ende 1966 konnte sie gar nicht mehr ihrem Beruf als Lehrerin nachgehen. Ihr Mann war seit Ende 1965 wieder in Bonn, Tochter Susanne stand nach dem Abitur an der Schwelle zu einem eigenständigen Leben. Da kam vieles zusammen. Mit Sicherheit brauchte Loki Schmidt all ihre Selbstdisziplin, um sich aus dieser schweren Lebenskrise wieder herauszuarbeiten.

Beide führten eine außergewöhnliche Ehe – in jeder Beziehung. Wie schätzen Sie das Verhältnis rückblickend ein?

Lehberger: Schon die Dauer dieser Beziehung ist ja beeindruckend: Mehr als 80 Jahre haben sie sich gekannt, länger als 68 Jahre davon verheiratet. Dann die hohe Übereinstimmung in allen wichtigen Fragen, die gegenseitige Wertschätzung und das Einstehen für einander. Loki hat ihren Mann nach außen immer verteidigt, Helmut Schmidt spricht bis heute mit Stolz über ihre naturwissenschaftlichen Leistungen und ihren Anteil an seinen eigenen Verdiensten in der Politik. Und schließlich hat diese Ehe Loki Schmidt den nötigen Freiraum gegeben, sich ihren Traum von einem zweiten Leben als Naturforscherin zu erfüllen. Dass die Frau des Bundeskanzlers einmal pro Jahr längere Forschungsreisen unternahm, war eine Besonderheit und damals keine Selbstverständlichkeit.

Ihr Fazit?

Lehberger: Auch das Ausstehen und Überstehen von Krisen, nicht auseinanderzugehen, sondern wieder zu einander zu finden, zeichnet diese Ehe aus. Dass Loki Schmidt dabei allerdings ein größerer Verdienst zukommt, steht außer Frage. Ohne ihre Nachsicht wäre das vielleicht nicht geglückt.