Es gibt ein ungeschriebenes Gesetz, wenn es um Politiker und ihr Privatleben geht. Es lautet: Alles, was politisch ist, ist öffentlich, alles andere nicht. Daran hielten und halten sich selbst die Hauptstadt-Journalisten, also jene Medienvertreter, die so dicht an Kanzlern und Ministern dran sind, dass sie allein über deren Liebesleben Bücher schreiben könnten. Tun sie aber nicht, auch wenn die Details noch so interessant beziehungsweise pikant sind.

Das war in der alten Hauptstadt Bonn so, das ist in der neuen Hauptstadt Berlin so geblieben. Und selbstverständlich halten sich auch die politischen Berichterstatter in den Bundesländern daran. So war Hamburger Journalisten über Jahre bekannt, dass Bürgermeister Ole von Beust homosexuell ist. Thematisiert wurde das aber erst, als dessen Vater öffentlich darüber gesprochen hatte.

Die Trennung von Politik und Privatleben ist in Deutschland zu Recht ein hohes Gut, weil sie unter anderem dafür sorgt, dass Politiker im Wesentlichen an ihrer inhaltlichen Arbeit gemessen werden, nicht an möglichen privaten Schwächen oder Fehltritten. Deshalb sind Politiker gut beraten, ihre Familien- und anderen Verhältnisse aus der Öffentlichkeit, sprich: dem Rampenlicht, herauszuhalten. Die aktuell erfolgreichsten Vertreter der Branche wissen das und achten extrem darauf, dass ihr (weniges) Privates auch privat bleibt. Das gilt für Bundeskanzlerin Angela Merkel genauso wie für Bundespräsident Joachim Gauck oder Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz. Ihre Weigerung, mehr als ihre politische Identität preiszugeben, ist nicht nur Schutz, sondern auch Strategie.

Denn es gibt zu viele Beispiele von Politikern, deren Scheitern am Ende auch damit zu tun hatte, dass sie sich, ihre Familie oder Teile ihres Privatlebens zu stark inszeniert hatten. Der ehemalige Hamburger Bürgermeister Christoph Ahlhaus, der sich unter anderem mit seiner Frau für ein Klatschmagazin in der glamourösen Halle des Hotels Vier Jahreszeiten fotografieren ließ, gehört genauso dazu wie der ehemalige Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg. Und auch der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff würde in Sachen privater Öffentlichkeitsarbeit heute sicher einiges anders machen als noch vor einigen Jahren.

Einer der nach wie vor angesehensten Politiker dieses Landes hat sich Zeit seines langen Lebens an das ungeschriebene Gesetz gehalten. Mehr noch: Altkanzler Helmut Schmidt wollte immer als kluger Sachpolitiker verstanden und gesehen werden; sein Privatleben tat, wie man in Hamburg sagt, nichts zur Sache. Umso erstaunlicher ist es, dass er sich nun, mit 96 Jahren, in seinem neuen Buch zum Privatesten äußert, was er hat: zu seiner Liebe zu Ehefrau Loki und der Beziehung zu einer anderen Frau.

Wer Helmut Schmidt und seine intelligenten Analysen der Weltlage verfolgt, wundert sich, ja, er ärgert sich vielleicht auch. Warum muss ausgerechnet einer wie er, der Prototyp eines klaren, seriösen Politikers, auf einmal einen derart tiefen Einblick in sein Privatleben geben? Warum öffnet Schmidt die Haustür, die doch, im Sinne aktueller und künftiger Politikergenerationen, fest geschlossen bleiben sollte, damit prominenten Politikern nicht dasselbe Schicksal widerfährt wie prominenten Schauspielern oder TV-Größen?

Klatsch soll bitte Klatsch bleiben und Politik Politik. Lassen wir unseren Kanzlern, Ministern und Bürgermeistern ein Mindestmaß an Privatem, gestehen wir ihnen zu, dass sie außerhalb von Parlamenten und Behörden genauso Menschen sind wie alle anderen. Und hoffen wir ausnahmsweise, dass das Beispiel Schmidt dieses Mal nicht Schule macht.