Hamburg. Immer mehr Kleingärten müssen dem Wohnungsbau weichen. Dabei werden die Oasen der Erholung immer beliebter und Ersatzflächen knapp.

Jessica Ortmann wohnt mit ihren beiden Töchtern in einer 3,5-Zimmer-Wohnung auf 80 Quadratmetern. Der Balkon ist klein und geht nach vorne raus auf die Straße. „Dort ist es zu eng und zu laut, um gemütlich sitzen zu können“, sagt die Winterhuderin. Schon vor fünf Jahren hat sie sich daher im nahe gelegenen Kleingartenverein auf die Warteliste setzen lassen. Die lange Wartezeit nimmt sie in Kauf: Die Lage am Goldbekkanal ist begehrt. „Wir haben das Bedürfnis nach einem Stück Grün in der Stadt, wo wir uns draußen aufhalten können, ohne in der Öffentlichkeit zu sein“, sagt Jessica Ortmann. Sie wolle ein bisschen gärtnern, Obst und Gemüse anbauen, mit Freunden zusammensitzen und zur Ruhe kommen.

Auch anderswo sind die Wartelisten lang. „Die Nachfrage übersteigt das Angebot“, sagt Dirk Sielmann, Vorsitzender des Landesbunds der Gartenfreunde. Denn die Kleingartengesamtfläche in Hamburger hat sich schleichend verkleinert. Mittlerweile stehen nur noch 1560 Hektar für Lauben, Obststräucher und Gemüsebeete zur Verfügung, fast 100 Hektar weniger als noch vor 20 Jahren, 300 Hektar weniger als Ende der 1960er-Jahre.

Zwischen 2004 und 2014 kündigte die Stadt 692 Parzellen mit einer Gesamtpachtfläche von mehr als 31 Hektar. Zwar wurden etwa genauso viele Schrebergärten neu angelegt, doch die Gesamtfläche schrumpfte durch eine veränderte Parzellengröße auf rund 25 Hektar. Um nicht noch mehr Fläche zu verlieren, fordert Sielmann: „Kleingärten sollten als Ausgleichsflächen anerkannt werden, die die Stadt nach Eingriffen in die Natur durch Baumaßnahmen schaffen muss.“

Protest gegen Bauprojekt in Groß Borstel

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    Die gestiegene Nachfrage liegt seiner Meinung nach zum einen am Wohnungsbauprogramm des Senats, zum anderen an den veränderten Bedürfnissen junger Eltern. „Immer mehr Familien wollen innenstadtnah wohnen“, so Sielmann, in dessen Verband die meisten der rund 320 Kleingärtenvereine organisiert sind. „Einen eigenen Garten möchten sie aber trotzdem haben.“ Das spiegele sich in den Kleingartenvereinen bereits wider. Dort gäbe es jetzt mehr junge Mitglieder als noch vor zehn Jahren.

    Für ihre Besitzer sind Kleingärten Freizeitbeschäftigung, Lebensinhalt und Urlaubsort. Die Stadt schätzt sie als idyllische Naherholungsgebiete und interkulturelle Begegnungsstätten. Und Wissenschaftler bescheinigen ihnen, einen Beitrag zum Arten- und Klimaschutz zu leisten und als Frischluftschneisen für ein gutes Stadtklima zu sorgen. Trotz dieser einmütigen Anerkennung gehen in Hamburg immer mehr Kleingartenflächen verloren. Größter Konkurrent ist der Wohnungsbau, aber die Parzellen müssen auch Gewerbegebieten, Schulneubauten oder anderen Infrastrukturmaßnahmen weichen. Eine Auswertung des Nabu (Naturschutzbund) von 70 Hamburger Bebauungsplänen zwischen 2011 und 2013 hat ergeben, dass im Rahmen dieser B-Pläne insgesamt 172 Hektar Grün verloren gingen, davon entfielen 50 Hektar auf Kleingärten.

    Aktuell sind Hunderte Schrebergärten bedroht, darunter in Altona durch den A-7-Deckel, und in Groß Borstel und Barmbek durch den geplanten Bau von insgesamt mehr als 2000 Wohnungen. Viele Ersatzparzellen sollen hier durch Nachverdichtung in den Kleingartenvereinen geschaffen oder auf der Deckelfläche neu angelegt werden. Doch nicht für alle Schrebergärtner wird in ihren Vereinen, denen sie teilweise schon seit Jahrzehnten angehören, kein Platz mehr sein.

    Die meisten Hamburger Schrebergartenflächen wurden durch den Bau der Großsiedlungen Steilshoop, Osdorfer Born und Mümmelmannsberg sowie der Bürostadt City Nord vernichtet. Damit verbunden schloss Hamburg mit den Kleingärtnern 1967 den sogenannten 10.000er-Vertrag, in dem sich die Stadt verpflichtete, Ersatzflächen für gekündigte Schrebergärten herzurichten. Doch die Ersatzparzellen liegen immer häufiger weit weg von den alten Standorten oder am Stadtrand. „In unserer wachsenden Stadt werden die Ersatzflächen knapp“, so Sielmann.

    Das hat vor allem Nachteile für das Klima. Dass Parks und Kleingärten darauf eine positive Wirkung haben, wurde in Untersuchungen erwiesen. „In ökologischer Hinsicht sind die Schrebergärten aber weitaus wertvoller“, so Sielmann. „Hier siedeln sich durch die abwechslungsreiche Vegetation mehr Tiere an als in den pflegeleicht angelegten Parks.“ Die Wissenschaft bestätigt das – und fordert mehr der wertvollen Gärten: Einem Gutachten des Bundesamts für Naturschutz zufolge werden – gerade vor dem Hintergrund des Klimawandels – mehr Kleingartenanlagen benötigt, um „in den aufgeheizten und lufttrockenen Innenstädten ... Feinstaub zu binden und die Luft zu kühlen“. Was für das Klima in der Stadt wichtig ist, sei bei den Kleingärten vorhanden: die unversiegelten Böden seien wasserdurchlässig, die Pflanzen nähmen Schadstoffe auf und hielten die Luft feucht und sauber, Teiche und Laubdächer hätten Einfluss auf das Kleinklima.

    In einem 2012 von der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt (BSU) in Auftrag gegebenem Gutachten heißt es, die Vegetation trage zu einem „angenehmen kühlen Klima bei und bewirkt die Abkühlung der bebauten Bereiche“. Besonders nachts würden Grünflächen und Landschaftsachsen als „Durchlüftungskorridore“ die Stadt günstig beeinflussen. Gerade vor dem Hintergrund des Klimawandels sei eine „zukunftsorientierte räumliche Planung zur Erhaltung bioklimatisch unbedenklicher Lebensbedingungen“ wichtig. Derzeit erstellt die BSU eine Bedarfsanalyse, die die Wichtigkeit von Kleingärten bis 2025 untersucht. Die vorige hatte die Umweltbehörde 2003 vor dem Hintergrund des Leitbilds der „wachsenden Stadt“ initiiert. Damals ging man wegen der erwarteten sinkenden Bevölkerungszahlen nicht von einer steigenden Nachfrage aus. Angesichts des umfangreichen Wohnungsbaus heute fordert Sielmann: „Bei größeren Neubauvorhaben müssen nahe gelegene Kleingärten mit eingeplant werden.“