Am Wochenende nimmt das Kraftwerk Moorburg die kommerzielle Stromerzeugung auf. Ein Rückblick auf mehr als zehn Jahre Plan- und Bauzeit.

Hamburg. Ein Chor aus Rauschen, Brummen und Summen erfüllt die Maschinenhalle im Kohlekraftwerk Moorburg. Am kommenden Wochenende soll dort nach mehr als zehn Jahren Planungs- und Bauzeit der Normalbetrieb aufgenommen werden. Die kommerzielle Stromerzeugung im ersten Block des Kraftwerks mit 827 Megawatt Leistung beginnt. Bis Ende Juni soll dann der zweite Block folgen.

Für Karsten Schneiker, den Leiter des Kraftwerks Moorburg, geht damit eine lange Zeit der Vorbereitung zu Ende. Vor einem Jahr lieferte Moorburg das erste Mal Strom ins Netz. Die Monate seither verliefen mit Test und Prüfungen, Schulungen der Mitarbeiter und Vertragsverhandlungen mit Zulieferern und Dienstleistern. Es gab Rückschläge und Verzögerungen, aber auch Fortschritte und Erfolge.

In Moorburg am südlichen Rand des Hamburger Hafens steht eines der modernsten Kraftwerke der Welt: vom Kohlenachschub über die Stromerzeugung bis zur komplizierten Kühlung der Anlage. Wären alle laufenden Kohlekraftwerke auf diesem Stand der Technik, würde der globale Ausstoß an Treibhausgasen auf einen Schlag rapide sinken.

Doch in Deutschland herrscht mittlerweile eine andere Sicht. Die Energiewende ist weit fortgeschritten. Wind-, Sonnen- und Biomassekraftwerke liefern hier zu Lande inzwischen mehr als ein Viertel des Stroms, mit steigender Tendenz. Kohlekraftwerke wie jenes in Moorburg gelten vielen nun als Relikte aus grauer Vorzeit.

Ein hochumstrittenes Projekt

Das Kraftwerk Moorburg war ein hoch umstrittenes Projekt in Hamburg. Zunächst nur geplant als Ersatz für ein überaltertes Wärmekraftwerk in Wedel, wurde es auf Intervention des Senats unter Ole von Beust (CDU) größer gebaut und kann nun 1654 Megawatt Leistung bereitstellen. Die Grünen kamen zu spät in die Regierung, um das Kraftwerk noch zu verhindern, verhängten aber strengere Umweltauflagen und verteuerten so das Projekt. Auch eine Wärmeleitung zur Fernwärmeversorgung des Hamburger Westens scheiterte. Der Knackpunkt der Kritiker: Moorburg wird mit Kohle betrieben und produziert bei voller Auslastung jährlich 8,5 Millionen Tonnen klimaschädliches CO2.

„Das sind 2,3 Millionen Tonnen weniger als ein Kohlekraftwerk älterer Bauart“, sagt Schneiker. Der Wirkungsgrad von Moorburg betrage 46,5 Prozent, gegenüber 38 Prozent im deutschen Durchschnitt. „Wir sind hoch effizient und holen aus einer Tonne Kohle 25 bis 30 Prozent mehr Strom heraus“, betont der Kraftwerksleiter. Das sei ein aktiver Beitrag zum Klimaschutz.

Der Wirkungsgrad kann aber auch nur 45 Prozent betragen – je nachdem, ob die Anlage mit einer Fließkühlung aus Elbwasser gekühlt wird oder in Kreislaufkühlung mit dem werkseigenen Kühlturm. Der Wirkungsgrad bezeichnet, welcher Teil der eingesetzten Energie in Nutzenergie wie Strom oder Wärme umgewandelt wird.

Fernwärme weiter möglich

Würde das Kraftwerk Fernwärme auskoppeln, hätte Moorburg etwa 61 Prozent Wirkungsgrad. "Die Option für die Auskopplung von Fernwärme besteht unverändert, da das Kraftwerk technisch dafür ausgelegt ist und die nötigen Anschlüsse vorhanden sind", sagt der Hamburger Vattenfall-Chef Pieter Wasmuth. "Solange keine Entscheidung über die langfristige Wärmeversorgung insbesondere des Hamburger Westens getroffen worden ist, stellt Moorburg damit eine verfügbare Alternative dar."

In einem der Gebäude steht ein grün gestrichenes Rohrsystem. Von dort aus kann Fernwärme aus dem Kühlkreiskauf des Kraftwerks entnommen werden. "Wenn keine Fernwärme ausgekoppelt werden soll, müssen die Anschlüsse gegen Korrosion konserviert werden", sagt Gudrun Bode von Vattenfall. "Das ist bislang noch nicht geschehen."

Lange Zeit war geplant, mit einer Leitung durch die Elbe den Hamburger Westen mit Fernwärme aus Moorburg zu versorgen und damit das alte Kohlekraftwerk in Wedel zu ersetzen. Doch Bürgerinitiativen und eine Klage des BUND verhinderten den Bau der Pipeline.

Umweltverbände sind weiter gegen Moorburg

Die Kritiker aus den Umweltverbänden meinen dagegen, eine „CO2-Schleuder“ wie Moorburg passe nicht mehr in die Zeit und sei angesichts des Ausbaus der erneuerbaren Energien schlicht überflüssig und unrentabel. Energiespeichern und dezentraler Energieerzeugung gehöre die Zukunft, nicht Großkraftwerken.

"Moorburg ist in punkto Klimaschutz und Luftschadstoffe eine Katastrophe. Aber auch die wirtschaftliche Perspektive für das Kraftwerk sehe ich sehr skeptisch", sagt Manfred Braasch, in Hamburg Landesgeschäftsführer des Umweltschutzverbandes BUND. Für die Anrainer des Kraftwerks im Süden Hamburgs, für Bürgerinitiativen wie auch für Klima- und Umweltschützer ist die Lage klar: Sie lehnen Moorburg nicht nur wegen seiner Emissionen ab.

Auch die Luftschadstoffe, die das Kraftwerk beim Betrieb in seine unmittelbare Umgebung entlässt, halten sie für nicht vertretbar, etwa Stickoxide, Schwefeldioxid, Quecksilber und Arsen. "Moorburg darf im Jahr mehr als 6000 Tonnen Stickoxide ausstoßen", sagt Braasch. "Das ist mehr als der gesamte Pkw-Verkehr in Hamburg."

Vattenfall würde Moorburg heute nicht noch einmal bauen

Planung und Bau des Kraftwerks glichen jahrelang einem chaotischen Machtkampf zwischen Unternehmen, öffentlicher Hand, Bürgerinitiativen und Umweltverbänden. Der Fall Moorburg ist in vieler Hinsicht vergleichbar mit dem der Elbphilharmonie. Für das Unternehmen Vattenfall allerdings ist das Kraftwerk deutlich teurer als es das Konzerthaus für Hamburg je sein wird. Für die Stadt wiederum hat das Kraftwerk weit reichende Folgen.

Unter den heutigen gesetzlichen und politischen Rahmenbedingungen würde sich Vattenfall nicht mehr für eine Investition wie Moorburg entscheiden. Das sagt der Konzern selbst. Doch die Entscheidung fiel 2006. Nun muss sich das Kraftwerk unter anderen Regeln am deutschen Strommarkt behaupten. „Wir sind so etwas wie ein Busfahrer, der die Anforderungen des Netzbetreibers erfüllt“, sagt Wasmuth. Deshalb ist das Kraftwerk flexibel. Es kann binnen einer Viertelstunde seine Leistung in einem Ausmaß so weit hoch- oder herunterfahren, die 100 Windkraftanlagen entspricht.

Sichere Versorgung für Großindustrie

Während Großkraftwerke wie Moorburg früher zur Grundlast-Versorgung mit 100 Prozent Leistung durchliefen, werden sie jetzt nur noch als Lückenfüller gebraucht – wenn Wind und Sonne nicht genug Energie liefern. Das aber ist in Hamburg fast immer der Fall.

Vor allem drei industrielle Großverbraucher – die Kupferhütte Aurubis, das Aluminiumwerk von Trimet und die Stahlwerke von ArcelorMittal – sind auf eine kontinuierliche und sichere Versorgung mit großen Mengen Strom angewiesen. Sie verbrauchen jeweils so viel wie eine ganze Stadt; zusammen rund ein Drittel des Hamburger Stroms.

„Ohne Moorburg müsste Hamburg in einigen Jahren von den Windparks auf der Nordsee versorgt werden, aus Brandenburg oder aus anderen Regionen“, sagt Werksleiter Schneiker. Doch der Aufbau der Offshore-Windenergie wird noch viele Jahre dauern. Weil Moorburg das effektivste und damit kostengünstigste Kohlekraftwerk im Norden sei, liefere es auch als erstes Strom ins Netz, wenn die erneuerbaren Energien nicht reichen. Schneiker erwartet durchschnittlich 7500 Betriebsstunden pro Jahr für Moorburg, von 8760 möglichen. „Moorburg stabilisiert das Stromnetz“, sagt Wasmuth. Wenn das Kernkraftwerk Brokdorf 2021 vom Netz geht, ist Moorburg das einzige Kraftwerk dieser Größenordnung im Norden.

Hilfe auch bei Blackout

Hinter vorgehaltener Hand freut man sich in Wirtschaft und Politik über den Start des Kraftwerks. Moorburg bringt vor allem Industrie- und Hafenbetrieben zusätzliche Sicherheit vor dem Hintergrund der Energiewende, für die es technologisch kein Vorbild gibt. Einer der wenigen, der das offen einräumt, ist Dietrich Graf, Chef des städtischen Netzbetreibers Stromnetz Hamburg: "In Deutschland gab es bislang noch keinen flächendeckenden Blackout. Würde es zu solch einem Notfall kommen, könnte Moorburg mithelfen, das Hamburger Netz wieder aufzubauen", sagt Graf.

"In einem solchen Ausnahmefall könnte das Kraftwerk die Stadt zu 100 Prozent mit Energie versorgen. Die Kraftwerke Wedel und Tiefstack, die bisher für einen derartigen Notfall zur Verfügung stehen, können Hamburg im Winter gemeinsam nur zu etwa einem Drittel versorgen, im Sommer zu drei Vierteln." Bis zu einem Drittel des in Moorburg erzeugten Stroms, schätzt Graf, könnte künftig in Hamburg verbraucht werden.

Der Betrieb des Kraftwerks werde rentabel sein, sagt Vattenfall. Was das genau heißt, ist unklar. „Die Erlöse aus dem Stromverkauf sind höher als die Kosten der Stromerzeugung“, sagt Wasmuth. Das gilt aber nur für den laufenden Betrieb. Die künftigen Strommengen und Strompreise sind kaum vorhersehbar. Gekostet hat Moorburg rund drei Milliarden Euro; nach Wertberichtigungen und Sonderabschreibungen steht es heute noch mit zwei Milliarden Euro in der Bilanz. Ob Moorburg die Investitionskosten während seiner Laufzeit wieder verdienen kann, steht in den Sternen.