Im Hamburger Rathaus beginnen die Koalitionsverhandlungen. Beide Seiten sind um eine entspannte Atmosphäre bemüht - Streitthemen warten genügend.
Hamburg. Mit Sondierungen halten sich SPD und Grüne in Hamburg gar nicht erst auf. Wenn Bürgermeister und SPD-Chef Olaf Scholz samt seiner neunköpfigen Verhandlungskommission an diesem Montag Grünen-Chefin Katharina Fegebank mit ihren Unterhändlern im Rathaus trifft, geht es direkt zur Sache. Und auch wenn es auf dem Weg zur zweiten rot-grünen Koalition in der Nachkriegsgeschichte Hamburgs an der einen oder anderen Stelle knirschen dürfte, gehen Beobachter dennoch davon aus, dass sich beide Parteien noch vor Ostern einigen könnten. Beim großen Wahlverlierer CDU dagegen dürfte es länger dauern, bis die Christdemokraten wieder auf die Füße kommen. Am Mittwoch steht erstmal die Wahl eines Fraktionschefs an.
SPD und Grüne haben sich für ihre erste Verhandlungsrunde unter den knapp 650 Zimmern des Hamburger Rathauses den Bürgersaal ausgesucht. Er soll an die „gute Stube“ in einem bürgerlichen Haushalt des 19. Jahrhunderts erinnern. In ihm gibt es auch geschnitzte Köpfe, die darstellen, was ausdrücklich draußenbleiben soll: „Ironie, Neid, Missgunst und Schadenfreude“. Sogar ein Kamin steht zur Verfügung. Der war zwar seit Fertigstellung des Rathauses 1897 noch nie in Betrieb – es gab von Anfang an Fernwärme und Strom – doch wenn eine kuschelige Atmosphäre nötig wird, könnte auch er helfen.
Schließlich gibt es durchaus schwierige Dinge zu besprechen zwischen SPD und Grünen. Etwa beim Thema Umwelt. Seit Scholz 2011 die Regierung übernahm – Hamburg war gerade Europas Umwelthauptstadt – beklagen die Grünen bei der SPD ein mangelhaftes Engagement. Scholz sagte zwar stets, er mache einen „ingenieurgetriebenen Umweltschutz“. Kritiker werfen ihm dabei jedoch eine reine Vernebelungstaktik vor. Tatsächlich unternehme er aus Rücksicht auf die Wirtschaft in Sachen Umweltschutz aktiv gar nichts und warte nur, bis irgendjemand etwas Brauchbares erfinde, klagen sie.
Aber auch bei den Themen Flüchtlinge und Verkehr dürften SPD und Grüne einige Zeit in angenehmer Atmosphäre benötigen, um sich zu einigen. So wollen die Grünen etwa das rund 260 Millionen Euro teure Busbeschleunigungsprogramm stoppen und dafür mehr Fahrradverkehr ermöglichen. Schließlich liegt Hamburg laut ADFC bei der Fahrradfreundlichkeit nur auf Platz 35 von 39 Großstädten. Außerdem verlangen sie eine Stadtbahn – was Scholz wiederum ablehnt. Er will die U-Bahn aus- und weiterbauen.
Spannend dürfte auch die Koalitionsrunde zum Thema Soziales werden. So hat SPD-Bundeschef Sigmar Gabriel am Tag nach der Wahl gesagt, Scholz habe gezeigt, „dass wirtschaftliche Kompetenz und soziale Kompetenz keine Gegensätze sind, sondern zusammengehören“. Genau das hat die SPD in Hamburg jedoch offensichtlich doch nicht hinbekommen. Laut Armutsbericht des paritätischen Wohlfahrtsverbands ist die Armut in keinem Bundesland so sehr gestiegen wie im reichen Hamburg zu Regierungszeiten von Bürgermeister Scholz.
„Es geht nicht um einen Umbau (...) sondern um einen Anbau“, hat Bürgermeister Scholz die Grünen vor überzogenen Forderungen gewarnt. Das Wahlergebnis von 45,7 Prozent für die SPD zu 12,3 Prozent für die Grünen sei eindeutig. Gleichwohl kann Scholz relativ entspannt in die Koalitionsverhandlungen gehen – zumindest im Vergleich zu den Dramen bei der CDU. Denn dort könnte die Woche für Scholz' Ex-Herausforderer Dietrich Wersich unschön werden. Am Mittwoch etwa entscheidet sich, ob der Fraktionschef eine politische Zukunft in der Bürgerschaft hat.
Hamburgs CDU-Chef Marcus Weinberg ist wegen der Wahlpleite bereits zurückgetreten, und nicht wenige in der CDU sind der Meinung, dass dies auch Wersich gut zu Gesicht stünde. Schließlich trage er die Verantwortung dafür, dass die CDU mit 15,9 Prozent nicht nur ihr schlechtestes Ergebnis aller Zeiten eingefahren hat, sondern beinahe auch noch von den Grünen überholt worden wäre.
Zuletzt hat Wersich erklärt, dass er sein Mandat annehmen, aber keinen Anspruch auf Ämter und Posten erheben werde. Mit dieser Demutsgeste hofft er Beobachtern zufolge, einerseits die 19 Fraktionskollegen zu besänftigen, damit diese dann andererseits bei einem Blick in die Runde feststellen, dass es eigentlich niemanden vom politischen Gewicht Wersichs gibt. Denn in der Tat stellt sich die Frage, wer außer dem früheren Sozialsenator das Amt übernehmen soll. Der Verlust von 7 der 27 CDU-Sitze macht die Suche da nicht gerade leichter. Hinzu kommt, dass fast die Hälfte der Abgeordneten neu ist – und sie damit als Fraktionschefs kaum infrage kommen.