Der chronisch zu kleine Kulturetat könnte diese Aufgabe wohl nicht stemmen. Was Hamburg trotzdem von London lernen kann und warum es waghalsig wäre, das beste Programm aller Spiele machen zu wollen.
Hamburg. John Neumeier, klar, der könnte es schaffen, das mit dem Dabeisein. 2024 wäre er gerade mal 82. Vier Jahre später, nur unwesentlich älter, und könnte als ewiger Ehrenintendant mit dem Hamburg Ballett einen siebenstündigen Schnelldurchlauf seiner schönsten 100 Choreografien liefern, falls es doch erst 2028 klappt mit Olympia und Hamburg. Die Elbphilharmonie hätte dann – hoffentlich – einige Jahre regulären Spielbetrieb und einige Intendanten hinter sich. Die Kunsthalle, das einzige verbliebene städtische Museum der Hansestadt, würde daran erinnern, dass man schon im Januar 2015 an einem Wochenende umsonst in ihre Ausstellungen durfte, wenn man in Sportkleidung an die Kasse kam.
Spaß beiseite: Sich jetzt schon Gedanken über Ausmaße und Geschmacksrichtungen eines Kulturprogramms für Olympische Spiele in Hamburg zu machen, ist sehr hypothetisch. Keiner der jetzigen Führungspersönlichkeiten der hiesigen Kulturszene dürfte dann noch in Amt und Würden sein. Falls Hamburg tatsächlich den Zuschlag bekäme, müsste vor allem geklärt werden, woher das Geld für Sonderangebote im Zeichen der fünf Ringe kommen würde. Und für was.
Der chronisch zu kleine Kulturetat der Stadt könnte diese Aufgabe nicht einmal ansatzweise stemmen. Kultur an sich mag Ländersache sein, diese Herkulesaufgabe wäre weit mehr. Die Wahrscheinlichkeit, dass ausgerechnet ein Hamburger das Kulturprogramm für Olympische Spiele in der Hansestadt plant und verantwortet, ist nicht besonders groß. Denn warum sollte es jemand aus dieser Stadt sein, wenn es um die Darstellung der deutschen Kulturvielfalt an sich geht? Als Kulturnation hat Deutschland dann doch deutlich mehr zu bieten als nur Hamburg.
In der hiesigen Kulturbehörde ist man momentan noch im frühen Sichtungsstadium, mehr als erste unverbindliche Gespräche hat es noch nicht gegeben. Wie auch: Planungssicherheit über die zwei Jahre eines Doppelhaushaltes hinaus bewegt sich im kulturpolitischen Denken dieser Stadt fast immer im Bereich der Utopie. „Wir wollen in Hamburg insbesondere auch von den Olympischen Spielen in London lernen, bei denen Kultur frühzeitig ein integraler Bestandteil der Planungen gewesen ist“, heißt es. "Zahlreiche Kultureinrichtungen haben bereits ihre Bereitschaft gezeigt, Olympische Spiele in Hamburg aktiv zu unterstützen. Diese Initiativen wird die Kulturbehörde bei einer Bewerbung Hamburgs aufgreifen.“
Mit einem Schlüsselbegriff aus der Sportpolitik zusammengefasst heißt das: Schau’n mer mal! Das gilt besonders für die Frage, ob Hamburg oder Berlin den Zuschlag erhält. Es kann durchaus sein, dass die derzeitigen guten Baufortschritte der Elbphilharmonie bei den sehr hohen Olympia-Funktionären besser ankommen als ein chaotischer Hauptstadtflughafen, der immer noch dramatisch weit von seiner Vollendung entfernt scheint.
Eines ist jetzt schon klar: Es würde teuer werden, sehr teuer wahrscheinlich, das lässt schon das Gesetz der Serie vermuten. Für die Olympischen Spiele 2012 in London wurde ein landesweites Kulturprogramm mit 25.000 Künstlern, 900 Veranstaltungen und 137 Uraufführungen entworfen, das mit vier Jahren Anlauf im „London 2012 Festival“ seinen Abschluss fand – und das, obwohl der britische Kulturetat ein Jahr vor den Spielen um gut ein Viertel gekürzt wurde. Es hatte rund drei Millionen Besucher, mal ist von 42Millionen Pfund (rund 56 Millionen Euro) als Kosten die Rede, mal sogar von 97 Millionen. Verbindliche Zahlen mochte das IOC in Lausanne nicht liefern. Mit dabei im olympischen Kultur-Ensemble waren unter anderem die Schauspieler Cate Blanchett, der Musiker Damon Albarn und der Maler David Hockney.
Bei der Eröffnungsfeier 2014 in Sotschi sang Anna Netrebko
Für die anschließenden Paralympics gab es das „Unlimited Festival“, zwei Dutzend Komponisten schrieben Auftragsarbeiten, und natürlich wurde auch ein „World Shakespeare Festival“ auf die Beine gestellt. Denn die Briten wollten nicht nur das größte, sondern auch das beste Programm aller Zeiten bieten. Der Großteil war gratis. Und die auch wegen ihrer Selbstironie grandiose Eröffnungsfeier hatte der Regisseur Danny Boyle inszeniert, vier Jahre, nachdem sein Film „Slumdog Millionaire“ acht Oscars erhalten hatte. Das in etwa ist die qualitative Flughöhe, die es bei zukünftigen Spielen in Hamburg tunlichst zu toppen gilt.
Kein Wunder also, dass der oft in zaristischen Dimensionen denkende Wladimir Putin für die Winterspiele 2014 in Sotschi die Devise „Noch toller, teurer, größer“ ausgab: Bei der Eröffnungsfeier sang Anna Netrebko, für das Kulturprogramm wurden mehr als 5000 Künstler aus 70 Regionen nach Sotschi gebracht. Der Bratschist und Dirigent Juri Baschmet war als Kopf eines spartenübergreifenden Musikfestivals verpflichtet worden. Und als Kontrastprogramm zu dieser staatlich organisierten Harmonie wurden die Musikerinnen von Pussy Riot im Olympiapark nach einer Protestaktion festgenommen.
2010 hatte Vancouver für seine Winterspiele etwa 200 schicke Veranstaltungen organisiert, doch die Strafe dafür folgte umgehend: Schon vor Beginn der Spiele hatten Lokalpolitiker angekündigt, dass sie als Ausgleich für die Kosten bis zu 90 Prozent der Kultursubventionen streichen würden. Und nicht nur das – die Herren der Ringe hatten den gebuchten Künstlern in ihre Verträge diktiert, dass sie kein böses Wort über alles verlieren dürften, was irgendwie mit Olympia zu tun hatte. „Take the money and run“, so lautete das zynische olympische Motto der kanadischen Künstler.
Kultur hat große Tradition in der Geschichte der Spiele
Die Idee, dass die Begegnung mit Kultur Sportler nicht automatisch verdummen lässt, hat große Tradition in der Geschichte der Olympischen Spiele. Von Pierre de Coubertin, dem Ahnvater der neuzeitlichen Spiele, ist die Ansicht überliefert, dass Olympia „keine reine Sportveranstaltung ist, sondern mit Bildung und Kultur verschmelzen soll“.
Die Voraussetzungen dafür sind in der Olympischen Charta festgeschrieben – das Kulturprogramm soll mindestens so lange dauern wie die Spiele selbst. Zwischen 1912 und 1948 waren Architektur, Literatur, Musik, Malerei und Bildhauerei sogar olympische Disziplinen, mit Medaillen und allem Drum und Dran für Kunstwerke, die allerdings vom Sport inspiriert sein mussten.
Einer der Olympia-Befürworter aus der Hamburger Kulturszene ist Thalia-Theater-Intendant Joachim Lux. Konkret besprochen sei noch nichts, sagt er „das ist das Prinzip Hoffnung. Aber gut wäre ein Programm, das der Stadt für die Zukunft etwas bringt – anstelle von Events, die einfach nur hereinschneien und dann wieder verschwinden.“
An einer Erkenntnis der Briten über die Gemeinsamkeit von Sport und Kultur können sich Olympiakultur-Planer für Hamburg schon orientieren: „Man darf nichts vermasseln, man hat nur eine Chance“, so die Londoner Kultur-Organisatorin Ruth Mackenzie über ihre Arbeit.