Rotwein, Ziegenkäse - und Politik: Wie der Bürgerschaftskandidat Till Steffen in privater Runde um Stimmen für die Grünen wirbt.

Lokstedt. Rotwein steht auf dem Tisch, dazu ein paar Flaschen Wasser. Es gibt überbackene Ziegenkäse-Häppchen und Salat. In der großzügigen Wohnküche brennt ein Feuer im Ofenkamin. Nach Wahlkampf sieht die Runde nicht aus, die sich an diesem Abend in Lokstedt im Haus der Familie Kuhlmann um den Esstisch versammelt hat. Eher wie ein gemütliches Treffen politikinteressierter Freunde. Und doch geht es genau darum – um Wahlkampf. Um Stimmen für die Grünen bei der bevorstehenden Bürgerschaftswahl.

Deshalb sitzt auch der Bürgerschaftsabgeordnete Till Steffen – offenes Hemd, blauer Pullover – mit einem Glas Wein in der Runde. Der Grünen-Politiker, bis 2010 Justizsenator in der schwarz-grünen Koalition, kämpft für ein gutes Abschneiden seiner Partei am kommenden Sonntag. An Infoständen, bei Podiumsdiskussionen und Presseterminen, aber eben auch mit dem, was die Grünen Küchenwahlkampf nennen.

Der Austausch ist viel intensiver als bei großen Veranstaltungen

Parteianhänger oder sonstige an Politik interessierte Bürger laden ihre Freunde zu sich nach Hause ein, dazu einen Bürgerschaftskandidaten – und dann beginnt ein Austausch, der sehr viel intensiver ist als bei größeren Veranstaltungen möglich. Persönlicher, direkter und auch differenzierter.

Andere Parteien haben diese Form des Wahlkampfs ebenfalls entdeckt. Das Kalkül: Hier lassen sich andere Wählergruppen erreichen als bei den klassischen Wahlveranstaltungen, die meist nur diejenigen anziehen, deren Stimmen die Partei ohnehin schon sicher hat: Anhänger und Mitglieder. Hier, in der Küche des Grünen Eimsbüttler Bezirksabgeordneten Dietmar Kuhlmann, wird um die kritischen Wechselwähler geworben, die in einer Metropole wie Hamburg besonders zahlreich und entscheidend sind.

Als die Vorspeisenteller abgeräumt sind, geht es um die Gestaltungsmöglichkeiten in der Politik, um die Vorteile von Regierungsverantwortung und die Nachteile von Opposition. Und schnell wird es ziemlich direkt: „Was hast du konkret in den vergangenen Jahren bewegt?“, fragt eine junge Studentin Till Steffen. Man duzt sich.

Der Grünen-Politiker trinkt noch einen Schluck Wasser und holt dann aus. Er verweist auf die Verkehrspolitik, um die er sich kümmere, und wo der SPD-Senat gerade im Hinblick auf den Radverkehr traurig wenig vorzuweisen habe. In der Regierungserklärung von Bürgermeister Scholz zum Amtsantritt sei das Thema praktisch gar nicht vorgekommen, argumentiert Steffen. Doch er selbst habe dann immer wieder Vorschläge gemacht, wie der Radverkehr zu verbessern wäre, Anfragen an den Senat gestellt und nachgehakt. „Wenn ich das Thema nicht so traktiert hätte, hätte sich die SPD nicht in den letzten Monaten noch bewegt – wenn auch nur mit ein paar symbolischen Vorhaben wie der Fahrradstraße an der Alster.“ Die Runde nickt. Das findet sie auch.

Kritischer sehen die Gäste da schon, dass die Grünen vor einigen Jahren mit der CDU ins Koalitionsbett gestiegen sind. „Das ist ein Grund, warum ich Euch eigentlich guten Gewissens nicht mehr wählen kann“, sagt eine Frau am Tisch. Steffen setzt zur Begründung an. Einigen sei es darum gegangen, die Bündnisfähigkeit der Grünen zu erhöhen. „Und als wir dann in konkrete Verhandlungen eingetreten sind, war es einfach so, dass uns die CDU sehr weit entgegengekommen ist. Das hat mich überzeugt.“ Muss eine Partei die ganze Politik einer Koalition mittragen – oder sollte sie nur an entscheidenden Stellen möglichst viel vom eigenen Programm umsetzen? Die Gäste sind sich uneins. Einer erzählt, seine Tochter sei jetzt bei der FDP. „Was hast du bei der Erziehung falsch gemacht?“, fragt ein anderer. Gelächter.

Zur Hauptspeise werden Kräuterspaghetti mit Fischrouladen serviert. Als sich die Teller leeren, spricht ein schwarz gekleideter Gast über die Harmoniesoße, die die Grünen nach seiner Ansicht über ihre Konflikte gießen.

„Für die anderen Parteien steht der Konsens im Vordergrund“, sagt er. „Die Grünen stehen dagegen für Disput und Diskussion, aber da passiert mir in letzter Zeit zu wenig.“ Die anderen pflichten überwiegend bei. Na ja, sagt Steffen. Es wäre ja verrückt, wenn sich die Grünen seit den 80er-Jahren nicht weiterentwickelt hätten. „Aber ich bin auch der Meinung, dass wir erkennbarer und risikofreudiger sein müssen.“

Es sei gut, wenn Wähler merkten, dass sich die Grünen dieselben Fragen stellten wie diejenigen, die von außen auf die Partei guckten, glaubt der 41-Jährige. Es geht Steffen an diesem Abend nicht nur darum, Stimmen zu werben. Er setzt auch darauf, dass bei so einem Küchenwahlkampf engere Bindungen entstehen als bei sonstigen Wahlveranstaltungen. „Wenn ich hier jemanden überzeuge, bleibt er länger dabei“, glaubt Steffen. Und schließlich könne er selbst an einem solchen Abend viel lernen – abseits der politischen Kreise, in denen Politiker in Ausschüssen, der Bürgerschaft und in Parteigremien meist nur wieder auf andere Politiker treffen. Die Betrachtung von außen kommt üblicherweise zu kurz – hier in der Küche steht sie im Mittelpunkt.

Von außen betrachtet, fragen sich die Gäste beispielsweise, ob die Grünen nach der Wahl mit der SPD koalieren sollten. „Wenn man Demokratie ernst nimmt, müssen Parteien, die rechnerisch eine Mehrheit hätten, über eine Regierungsbildung zumindest sprechen“, findet die 23-jährige Studentin.

„Reibung erzeugt Wärme – da können auch zwei sehr unterschiedliche Parteien zusammenkommen“, sagt ein Architekt. Steffen greift erst mal an: „Die SPD hat das sehr geschickt gemacht: Sie hat die Zahl ihrer Ziele sehr reduziert und darauf geachtet, dass diese messbar eingehalten werden. Viele andere wichtige Themen fallen dabei aber leider unter den Tisch.“ Im Hinblick auf Rot-Grün gebe es allerdings – anders als damals bei Schwarz-Grün – einen großen Erwartungsdruck bei Wählern, Bundesparteien und Medien: Das müsse möglich sein. Dabei sollten die Grünen im Fall von Verhandlungen aber sehr deutlich machen, auf welche Punkte es ihnen ankomme, sagt Steffen und nennt den Umwelt- und Klimaschutz, die Verkehrspolitik und die Hochschulpolitik. „Viele sagen, Olaf Scholz sei schwierig. Aber ich denke, er ist vor allem extrem professionell.“

Als der Rotwein ausgetrunken ist und die Gespräche langsam versiegen, ist der Kandidat zufrieden. „Nicht jeder hier wird am Ende grün wählen“, sagt Steffen. „Aber für einige dürfte dies ein positiver Anstoß gewesen sein.“