Lina G. Gyliené hilft litauischen Firmen bei der Ansiedlung in der Hansestadt. Dafür wurde eine neue Handelskammer gegründet. 50 Firmen sind bereits an der Elbe zu Hause – weitere auf dem Sprung.

Hamburg Gestern Litauen, heute Hamburg, morgen Berlin. Wenn Lina G. Gyliené unterwegs ist, versucht sie immer mehr deutsche Unternehmen für eine Ansiedlung in ihrem Heimatland Litauen zu begeistern. Oder sie hilft mit dem staatlichen Unternehmen Enterprise Lithuania, Firmen aus Litauen bei einer Ansiedlung in Deutschland zu unterstützen. Mehr als 50 Unternehmen aus dem Land, in dem zum Jahreswechsel der Euro eingeführt wurde, sind bereits in Hamburg aktiv.

Die Frau ist taff, für das Gespräch mit dem Abendblatt ist sie in Litauen extra um vier Uhr aufgestanden, um pünktlich zu kommen. Bei dem Gespräch im Möbelshowroom ihres Landsmannes Gintaras Grabliauskas an der Großen Elbstraße wirbt sie für deutsche Qualität mit immer noch niedrigeren Fertigungskosten in ihrem Heimatland. „Der Durchschnittslohn in Litauen liegt bei rund 1000 Euro, der Mindestlohn beträgt 330 Euro“, sagt die smarte Wirtschaftsförderin.

Von dem Gehaltsgefälle profitiert auch Grabliauskas, der viele seiner Designermöbel selbst entwirft. 60 Mitarbeiter produzieren in Litauen für den Unternehmer Tische, Sessel und andere Möbel. „Ich kam 1994 nach Hamburg und gründete ein Unternehmen, mit dem Auftrag, die erste litauische Privatbank komplett einzurichten“, sagt er. Er besorgte die Möbel und verschiffte sie in das Land.

In Deutschland ist er geblieben, öffnete sein eigenes Möbelgeschäft Modum und gründete Vitamin Design, seine Marke für hochwertige Massivholzprodukte mit ökologischem Anspruch. Mehrere Preise für seine Kreationen hat er bereits bekommen. „Neun Jahre war ich im Stilwerk präsent. Dann zog ich mit meinem Unternehmen in das Haus nebenan“, so der Unternehmer, der den Umsatz seiner Firma Dona Handelsgesellschaft nach eigenen Angaben seit Jahren um jeweils 20 Prozent steigert. Die Holzverarbeitung hat in dem baltischen Land Tradition.

Mit der Unterstützung der litauischen Regierung haben Grabliauskas und Gyliené jetzt die Deutsch-Litauische Handelskammer Lithuanian Chamber of Commerce Germany gegründet. Er ist Vorsitzender, sie seine Vertreterin. Von deutscher Seite sitzt als Mitgründer unter anderem der Hamburger Werber Axel Schempp in dem Gremium, der mit seinem Unternehmen MCCS litauische Unternehmen unterstützt, die in Deutschland ansässig werden oder hier Produkte wie etwa Lebensmittel verkaufen wollen. „Einige Produkte aus dem Land wie Käsespezialitäten werden in deutschen Lebensmittelgeschäften bereits gelistet“, so Gyliené. Litauische Bekleidung wird von vielen großen Anbietern wie etwa Hugo Boss, Karen Millen oder Nike bestellt. „Wir sind zwar nicht so preiswert wie die Asiaten, dafür aber qualitativ besser“, sagt sie.

Litauen ist zwar das größte baltische Land, aber mit nur drei Millionen Einwohnern ein kleiner Staat. „Wir legen großen Wert auf Bildung. Viele junge Leute bei uns suchen sich bewusst einen Studienplatz im Ausland. Sie streben nach neuen Ideen, sammeln Wissen und peilen oft die Selbstständigkeit an“, so die Wirtschaftsfachfrau. Auch Gyliené hat sich lange in der Welt umgeschaut, ihren Master gemacht und in Kanada, den USA, Großbritannien, Warschau, Lancaster und Stuttgart studiert. Seit 2008 führt sie das litauische Wirtschaftsförderungsbüro. Zuvor war sie Chefin des Hafens der litauischen Stadt Klaipėda. „Litauen ist das größte Transitland für den Güterverkehr in der baltischen Region. Wir haben in Klaipėda auch den zweitgrößten Containerumschlag nach St. Petersburg.“

In Deutschland leben bereits 36.000 Litauer, davon 1000 in Hamburg. Die neue Deutsch-Litauische Handelskammer will die Zahl der Firmen in der Hansestadt steigern. „Wir übernehmen alle Aufgaben, die die Botschaft nicht leisten kann“, sagt Gyliené. Es gibt viel zu tun. Litauische Unternehmen aus allen Branchen wie etwa Zulieferer aus der Plastikindustrie, die PET-Verpackungen für Deutschland herstellen, die Pharmaindustrie, Autozulieferer oder auch IT-Firmen haben in Deutschland bereits Kunden, genauso wie die Nahrungsmittel- und die Agrarindustrie.

Gyliené vermittelt Kontakte, zieht die Strippen, um ihr Land wirtschaftlich vorwärtszubringen. „Durch die Einführung des Euro gelingt es uns vielleicht, noch mehr deutsche Unternehmen in Litauen anzusiedeln. Es gibt eine Vielzahl von Vorteilen wie etwa qualifizierte Arbeitskräfte, eine ähnliche Mentalität, emotionale Intelligenz und natürlich auch geringere Lohnkosten“, sagt sie.

Auch zu den Hamburger Clustern, also den Branchennetzwerken hat die 40-Jährige bereits gute Kontakte geknüpft. „Wir arbeiten bereits mit dem Hamburger Cluster Life Science und der Nahrungsmittelindustrie zusammen“, sagt sie. Am meisten sitzt die Frau am Telefon. Es gibt kaum ein Tag, an dem sie nicht mit einem litauischen Unternehmen telefoniert, welches sie wegen eines Kontaktes nach Deutschland oder sogar einer Ansiedlung um Rat fragt. Deshalb hat sie eine 14-seitige Broschüre entworfen, in der sie erklärt, wie die deutsche Wirtschaft tickt und was sonst noch zu beachten ist.

Schon angesichts der kleinen Zahl an Einwohnern, sind in Litauen viele Frauen berufstätig. Gyliené bezahlt allerdings einen Preis für ihr Engagement. Ihren Mann, ein Banker und die drei Söhne, versucht sie so oft wie möglich zu sehen. Die Vielfliegerin hat Organisationstalent. „Wenn ich nicht da bin, betreuen meine Eltern und mein Mann die Kinder“, sagt sie. Den Auftrag von der litauischen Regierung, Unternehmen aus dem Land besser mit der deutschen Wirtschaft zu vernetzen, will sie erfüllen: „Mit der Deutsch-Litauischen Handelskammer Lithuanian Chamber of Commerce sind wir auf einem guten Weg.“